Mittwoch, 28. Januar 2009

Solyaris

Andrei Tarkowskij, Sowjetunion 1972
7 Jahre bevor Andrej Tarkowskij mit STALKER seinen Meilenstein schuf, der sich längst aus Genrepfaden herausgelöst hatte, probierte er sich an einer Geschichte von Stanislaw Lem. SOLARIS versteht sich allerdings nur im Mantel, im Rahmen des Science-Fiction-Films, wenngleich alle Motive darauf hindeuten. Vielmehr ist auch dieser Film ein philosophischer Weitläufer, ein gigantisches Gedankengeflecht, ein textbessenes Kopfgespinst.

Ähnlich dem STALKER entwirft der Film ein Szenario, das sich konzentriert auf die Unterschiede der Begriffswelten Tarkowskijs. Gleich zu Beginn zieht uns der Film in eine prächtige, fließende Naturlandschaft hinein. Familie als Thema bekommt auch nur in diesem Raum ein reales Gesicht. Der Protagonist verabschiedet sich und fliegt per Raumblase (Huhu, Fountain!) zu einer Raumstation. Bereits vorher bekommen wir eine bemerkenswert dichte, grobe Sequenzen zu sehen, die Tarkowskij Jahre später mit der Draisinen-Fahrt im STALKER wiederholen sollte. Die industrielle Blechlawine verdichtet sich zum traumatischen Motiv der Entfremdung. Die Straßen kreuzen sich, der Geräuschpegel wird grenzwertig, der Vorgänger im All - jemand der dank seiner Widerrede gegen die Zivilisation der Wissenschaftlichkeit von dieser bereits geschasst wurde - steckt fest im dynamischen Strom des Lichtermeeres. Die Unnatürlichkeit kontrastiert der Film gleich im nächsten Schuss schon wieder mit dem ruhenden Organischen des Flußes auf dem Familienlandsitz.

Unser Protagonist kommt auf der Raumstation an und findet eine chaotische Müllhalde vor. Unheimliches geht vor sich, der Film bekommt gar einen schauerhaften Touch. Die zwei Überlebenden in diesem Gefährt ins Nichts stellen den Dualismus dar, welcher einen Tarkowskij so gerne durchzieht. Steht der schon leicht verrückt gewordene Snaut für eine Sicht des "mit sich geschehen lassens", der Intuition, Transzendenz, auch der Tragik des Lebens, ist Sartorius ein streng gebliebener, eiskalter Wissenschaftler, ein Erklärer, in der Hybris gefangener. Jemand der sich nicht beirren lässt. Wenn die Familiensequenzen als Umrahmung dienen und vor allem Wärme und Geborgenheit (auch: im Heimatlichen) vermitteln, prallen hier auf engstem Raum - im Mittelteil des Stücks - die philosophischen Ebenen aufeinander.

Entscheidender Katalysator für die Handlung ist das Auftreten der Imagination, des Verdrängten, des Erinnerns. Seine nach der Trennung von ihm sich selbst das Leben genommen habende Frau erscheint und ist nicht wieder los zu bekommen. Hier vermischt sich der entscheidende Diskursantrieb mit dem bereits statisch Vorgegebenen - es wird beinahe plastisch. Inwieweit "konstruiert" der Mensch sich sein Leben, seine Umwelt, ja gar seine Mitmenschen? Was, wenn das Verdrängte, im Gedächtnis verankerte, die schmerzhafte Erinnerung sich ihre Bahn bricht? Wer ist Subjekt, wer Objekt, wo ist der Blickpunkt, wer entscheidet hier überhaupt?

Dieser seltsame Nebel, Urschlamm, dieses Gebilde, welchem das Raumschiff stehts gegenüber steht - dies ist die nicht definierbare, nicht untersuchbare Masse, die hier die Gedanken steuert. Was will der Mensch da noch machen? Was ist Chimäre, was real? Bei der Konfrontation mit all den Fragen nach dem Leben wird der Mensch depressiv und bringt sich um oder wird verrückt. Zumindest aber wandelt er seine Sinne, unser Protagonist wird vom gläubigen Fortschrittsdenker zum suchenden Gläubigen.

SOLARIS ist im Gegensatz zum STALKER nicht sehr ästhetisch geraten. Die enge Sterilität der Raumstation weiß dies allein schon zu verhindern. Umso mehr wirken die gegen geschnittenen Naturszenen. Noch viel mehr als beim STALKER wird hier der Kontrast gesucht - das kalte, irrige Fortschrittsdenken gegen die monumentale Kraft des Unerklärbaren, des Lenkenden, des den menschlichen Geist Durchkreuzenden. Tarkowskij muss sich hier auch den Vorwurf gefallen lassen, dass er seine Erzählung im Glauben an das Übernatürliche, mit religiösen Mystifizierungen sonnt, und am Ende einen Hoffnungsschimmer aufblitzen lässt, den Lem in seiner Vorlage so nicht vorgesehen hatte.

SOLARIS ist auch ein Film über den männlichen Perspektivverlust. Die Frau, das unbekannte Wesen, die Frau als Heilsbringerin, als konstitutives Element in der Narration eines männlichen Lebens. Frau, Geliebte, Mutter. Die Fühlbarkeit der Natur. Als Eigengeburt der Imagination entschlüpft das Weibe auf der Raumstation dem männlichen Verlangen, Unterbewusstsein, Erinnerung, Sehnsucht. Noch ist sie konstruiertes Objekt, doch die Menschwerdung steht bevor, und schnell ist die Bindung wieder so eng, dass gar Zukunftspläne (tragisch-unumsetzbare natürlich) geschmiedet werden. Hinter all dem destruktiv-depressiven Gedankenapparat - die Liebe als heran imaginierte, selbst konstruierte Pseudo-Macht - eine Suche nach dem Zusammenhalt gefunden, ist eine Menschwerdung - und Subjektwerdung - in der wahren Liebe möglich. Die Hoffnung versiegt in diesem Film nie so wirklich, selbst wenn das letzte Bild sich dagegen vielleicht noch einmal aufbäumen will.

Die vollkommen desillusionierten Gesichter freilich erzählen stets ihre eigene Geschichte. Trotz allen Glaubens an den Glauben, an Humanität, an Denkgebilde und Kommunikation - Tarkowskijs Filme bleiben immer ruhelos, besinnt zwar und poetisch, doch mit dem tief tragischen Blick auf die kaputten Strukturen. So gerne er es hätte - hier wird niemand glücklich. Außer in seiner Imagination.

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