Samstag, 31. Mai 2008

99 francs

Jan Kounen, Frankreich 2007
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Die stets gefährliche Ambivalenz von Affirmation und Kritik, die (post)modernen Filmen nur allzu gerne innewohnt, findet in 99 francs ihren durchorchestrierten Höhepunkt. Der Film erzählt sich sozusagen selbst über den Erzähler, der als Werbefuzzi seinen Zynismen letztlich erliegt, und sie rückblickend noch einmal für das Publikum offenlegt.

Der Punkt ist hierbei nicht die Klischeekiste, in der Neununddreißigneunzig - so der hübsche deutsche Titel - unverhohlen wühlt, sondern die Machart, die ganz ungeniert ein Getümel zelebriert, dass dem Betrachter über den Kopf wächst. Wie soll man auch koksende Unmoralisten anders darstellen?

"Aus dem wahren Leben eines Werbetexters" - ja, das dürfte so ungefähr stimmen. Plot Point mäßig zumindest. Figurentechnisch weniger. Da geht viel Heuchlertum ab. Zu viel, und selbst wenn sein Vorhandensein stets gepredigt wird, müssen wir uns doch auf die eigenen Vorurteile und Erfahrungen verlassen.

Dafür ist 99 francs knallbunt und hysterisch. Wenn man jahrelang auf Koks in dieser Welt gehangen hat, dürfte ein Film darüber auch nicht anders aussehen. Da guckt der ein oder andere Medienfachmann verstohlen zu Boden. Gekotzt, gekackt und geblutet wird da. Recht so.

Stehlen muss auch drin sein, weiß der Film. Handelt ja schließlich vom Motiv des "Arbeitswertverlustes" - also hält Fight Club ebenso her wie In the Mood for Love oder 2001. Stört niemanden mehr, der auch die konsumkritischen Kompaktpassagen ausgehalten hat.

Zwischen herzhaftem Lacher, Überdruß und Angewidertheit entscheidet sich letztlich das Spiel.

Dienstag, 27. Mai 2008

Auge in Auge - Eine deutsche Filmgeschichte

Michael Althen & Hans Helmut Prinzler, Deutschland 2008
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Will man über deutsche Filmgeschichte reden, stellen sich zunächst einmal ein paar Probleme. Schließlich soll so eine Doku ja doch einen möglichst positiven Impetus besitzen. Was macht man also angesichts der Nazipropaganda, der seichten Nachkriegsfilme, des heutigen qualitativen Vakuums, welches die Filmlandschaft einnimmt.

Klar, thematisieren immer (außer das mit dem Vakuum, das wird natürlich totgeschwiegen), ergibt immerhin eine schöne Dramaturgie. Und dann haben wir da ja noch die Anfangsjahre des Kinos (immerhin sind ja auch WIR die Erfinder des Kinos, die Lumieres wussten nur mehr damit anzufangen), in denen Deutschland immerhin glänzen konnte. Michael Althens und Hans Helmut Prinzlers Schnippsel-Collage wird nach Themen (mit guten Ideen, z.B. Frauenblicke und schlechten Stichwörtern, wie Raucher) und nach Personen geordnet. Die Personen sind aktuelle deutsche Filmemacher, die ihren Lieblingsfilm jeweils in einem anderen, renommierten Arthouse-Kino vorstellen.

Hier ergibt sich dann ein zweites Gefälle, das problematisch wird. Stellt man neben gemachte und reflektierte Filmemacher wie Christian Petzold und Dominik Graf etwa eine Doris Dörrie, die von ihrem Trip nach New York erzählt und in diesen Momenten auf eine Stufe mit Filmkunst gestellt wird, ist das schon zum Augenrollen. Jeder stellt seinen Lieblingsfilm vor, Dresen mit typischer Heiterkeit natürlich ganz Ossi "Solo Sunny", Graf kann erstaunlich wenig Ergiebiges zu Lemkes "Rocker" beisteuern. Erkenntnisreicher da schon die Ausführungen Wolfgang Kohlhaases (Siodmaks "Menschen am Sonntag") und Christian Petzolds (Käutners "Unter den Brücken"). Caroline Link, die sich mit der Dörrie in Sachen Qualität ja auch nichts nimmt, wählt ausgerechnet einen Wenders, dem also - dies wird damit signalisiert - natürlich zu huldigen weil Teil der Filmgeschichte ist ("Rainer Werner war ein guter Freund von mir..."). Auch Michael Ballhaus bekleckert sich nicht mit Ruhm, als er einfach einen alten Fassbilder auskramt und sich nochmal an bestimmte Kameraeinstellungen erinnert (Kameramann selbstredend: Er selbst).

Am Ende also besinnt sich die für ihre Verhältnisse einigermaßen gelungene - da auf Analyse der Geschichte setzende - Dokumentation also auf die Anfänge, die ja eben Deutsch waren (Max & Emil Skladanowsky im Berliner Wintergarten). Das hätte nicht sein gemusst. Aber nochmals: Auch so eine Reflektion mag nicht ohne dramaturgische Schikeria auskommen.

Montag, 26. Mai 2008

Keine Sorge, mir geht's gut

Philippe Lionet, Frankreich 2006
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Mit Genrezuschreibungen ist das so eine Sache. Je vais bien, ne t'en fais pas ist eindeutig kein Thriller, bezeichnet sich aber selbst als einer. Journalisten übernehmen dies gerne, ob es nun stimmt oder nicht. Don't Worry, I'm Fine erzählt von Lili (Mélanie Laurent), deren Bruder verschwunden ist. Ihre Eltern bleiben zunächst verschlossen, sie hingegen macht eine Entwicklung von einer heftigen Neurose zur zurück ins Leben findenden Tochter durch. Kein Spur von Spannung und Suspense. Keine Sorge... ist eindeutig ein Drama, und nichts Anderes. Die großartig zurückhaltende Kamera erzählt in leisen Bildern von Figuren und ihrem Verhalten zueinander. Sieht man es dem Werk zunächst nicht an, so entwickelt es doch eine erstaunliche und unerwartete Komplexität, lässt die Charaktere nicht in ihrem Klischee zurück, sondern entwickelt vollkommen entgegengesetzte Szenarien.

Es ist ein anti-hysterisches Nebenbei, was der Film entwickelt. Die Geschichte treibt ungemein schnell voran, wirkt dabei aber nie gehetzt und irgendwann wird dem Zuschauer klar, dass hier der Plot und das Konventionelle doch nicht in dem Maße im Vordergrund stehen, wie man dies nach den ersten 30 Minuten vielleicht noch vermuten konnte. Es sind die Figuren, die hier interessieren. Fast ausschnitthaft, mit Sprüngen und Leerstellen versehen zeigt Lionet genau so viel, dass wir am Ende verblüfft sind, ob der genauen Beobachtungen, welche die Kamera gemacht hat. Ja, wir nehmen ihr alles ab, was den Film automatisch zum gelungenen Abschluss bringt.

Dabei fungiert der verlorene Bruder tatsächlich als personeller MacGuffin. Über Verlust und Sensibilität erzählt Keine Sorge..., über Antizipation und verstandene Gefühlswelten. Ein Hauch von Depression legt sich stets über die Bilder, dabei bleibt der Film seltsam geduldig und entspannt. Lionet ist ein starkes Drama gelungen, dass eine Ausbalancierung der Gefühle zum Thema hat und selbst orchestriert.

Sonntag, 25. Mai 2008

The Killing of a Chinese Bookie

John Cassavetes, USA 1976
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Bei Cassavetes-Filmen ist das so: Man kann mal kurz aufs Klo gehen und braucht gar nicht die Pause-Taste zu drücken. Wem das zu vermessen klingt, der sollte bedenken, dass dies auch ein gutes Zeichen sein kann. Bei Cassavetes lässt man den Film Film sein und begibt sich gegebenenfalls in diese Welt oder lässt sie nebenher laufen. Ein feiner New York Flavour der 60er und 70er kommt dabei herum. Viel Cinema Direct, Direct Cinema ist der Impuls für die Familienstücke Cassavetes.

Man kann das nun Unbedarftheit nennen, oder Nachlässigkeit, oder einfach nur Lässigkeit, oder die Definition von Independent, Improvisationsgeilheit, unfilmisch oder gerade das Aufdecken einer Filmrealität, die der wahren da draußen eben nicht entspricht. Cassavetes als antiintellektuelle Avant-Garde, Cassavetes aber letztlich sowieso nur wieder als Familienvater.

Ich habe mich ja nach Sichtung von Shadows auf eine Begriffsbestimmung wie "bewusster Dilettantismus" festgelegt. Direct Cinema, irgendwie ja, aber sich der Taten doch sehr bewusst. Freiheit der Schauspieler, Freiheit der Kamera. Das einzige, auf was anscheinend geachtet wird: Die Dunkelheit, die Schattierungen. Die mussten es schon sein.

The Killing of a Chinese Bookie treibt ein ganz besonders eigenes Spiel. Es ist irgendwo im Zeichensystem der Genres verortet (Neo Noir, Thriller), aber schert sich darum einen Dreck. Es erzählt von einem Übervater (herausragend: Ben Gazzara) und seinen Schäfchen, die er zu behüten hat. Es erzählt von einem Jungen (once again Ben Gazzara), der leichtfertig Wettschulden macht. Doch schon allein diese einfachen Plotelemente flankieren den Rest des Films in solcher Beiläufigkeit, dass eine Inhaltsangabe - wie bei Cassavetes üblich - unnötig ist. Den Rest des Films?: Improvisation? Ambiente? Gazzara? Cassavetes macht so unheimlich leichtfüßige Filme, die so unglaublich sperrig sind, es bleibt häufig die Frage zurück: Wo ist denn jetzt der Film geblieben?

White Dog

Samuel Fuller, USA 1982
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Fuller erzählt in seinem fast verschollenen Rassismus-Drama eine höchst simple, aber effektive Geschichte. Eine Frau fährt nachts einen Hund an und nimmt ihn mit zu sich, päppelt ihn wieder auf und lässt ihn zu ihrem Begleiter und Beschützer werden. Nach kurzer Zeit muss sie jedoch feststellen, dass ihr neuer Freund ein "White Dog" - also darauf abgerichtetet ist, Schwarze zu attackieren. Sie gibt ihn in die Hände eines Tierdompteurs, der versucht ihn darauf zu konditionieren, Farbigen wieder Vertrauen entgegen zu bringen.

Fullers Drama ist gradlinig, fast konventionell erzählt. Die Sprengkraft entsteht aus dem Sujet und dem Thema - Rassismus wird offen ausformuliert als unheilbare Krankheit einer Gesellschaft, exemplarisch verdeutlicht am von ihr dressierten, unschuldigen Tier. Der Hund ist unberechenbar und wird nicht umsonst in einer Schule für "wilde Tiere" - zwischen Löwen und anderen Raubtieren - erzogen. Und selbst diese Erziehung muss letztlich scheitern. Der Mensch kann als Raubtier eben auch nicht seine Untugenden "auslöschen" und "wegtrainieren".

Das besondere Gefälle entsteht in Szenen, wie dem Aufeinandertreffen der Frau und des ehemaligen Besitzers des Hundes - keinem kahlen Nazi, sondern einem gebrechlichen Opa, dessen zwei Enkelinnen gerne wieder mit dem Hund spielen würden. Der Rassimus ist so tief in der Gesellschaft verankert, dass eine einfache Gut-Böse Unterscheidung kaum mehr möglich ist. Der liebevolle Familienhund ist gleichzeitig ein wütender Reißer - es kommt nur auf die Umstände an.

Viel zum gelungenen Auftritt des Films trägt Ennio Morricones großartiger Score bei. Er verleiht der einfachen Geschichte einen würdigen und gehaltvollen Rahmen. WHITE DOG war in den USA jahrelang zensiert und ist über diese Ausblendung leider vielfach in Vergessenheit geraten. Criterion arbeitet nun an einer Veröffentlichung auf DVD, bis jetzt bekam der Film auch diese versagt. Gerade deshalb ist der Hinweis auf den Film dringend nötig, ist er doch ein wichtiger Beitrag zu einem Thema, welches Fuller immer wieder in seinen Filmen aufgriff.

Donnerstag, 22. Mai 2008

Ben X / Cassandra's Dream / XXY

Zwischen all dem Hokuspokus um Medienwechsel, den Nic Balthazars Ben X veranstaltet, lässt sich vor allem eine todtraurige Geschichte um Ausgrenzung und Anderssein lesen. Die Unfähigkeit der Umwelt mit einem "speziellen" Menschen wie Ben umzugehen spielt die gewichtigste Rolle. Die Nicht-Kompatibilität des überforderten, übersensiblen Individuums mit einer interpersonell intelligenzschwachen Gesellschaft lässt den Konflikt in diesem sehr bewusst auch als Kinder- und Jugendfilm konzipierten Drama (BEN X lief im Berlinale Generationenprogramm) bis zum emotionalen Schock anschwillen. Die letzten Sequenzen, in denen Ben immer mehr in Wunschträume flüchtet (eine selten intensive Love Story), verdeutlichen die Wucht des Zusammenpralls von Realität und eigenem Vermögen.

Woody Allen ist ja neuerdings so uneitel und inszeniert tatsächlich auch Filme, in denen er nicht neurotisch durchs Bild hüpft. Nach MATCH POINT ist nun Cassandra's Dream ein weiteres, goutierbares Erlebis, wenngleich es auch aussieht wie ein Johansson-Epigone. Das gleiche Krimischema um Schuld und Sühne im neureichen Europa wird angewandt und ist ebenso ansehnlich und mit Suspense gespickt. Viele mochten es nicht, und sicherlich ist CASSANDRA'S DREAM beinahe eben so unnötig wie der Großteil aus Allen Oevre, und trotzdem: Missfallen hat er mir nicht.

XXY von Lucia Puenzo ist puristisches Arthousekino aus Argentinien. Die Schauspieler füllen die Leinwand wie sie es nach ihrer Profession gehend tun sollten. Die Geschichte hingegen ist zu eindeutig und stromlinienförmig als das sie mehr ist, als das Erzählte. Ein starker Moment, dieser Film. Mehr leider nicht.

Dienstag, 20. Mai 2008

An American Crime

Tommy O'Haver, USA 2007
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Die Unfassbarkeit im konventionellen Gewand

| Das biedere Kostüm, das sich AN AMERICAN CRIME anzieht, sieht ein wenig ausgeblichen aus. Wäre die Geschichte nicht wahr, man würde auf den Film schimpfen, weil er schrecklich unmotiviert konstruiert wäre, und doch würde dies stilitisch nicht passen wollen.

AM AMERICAN CRIME ist nämlich narrativiertes Schauspielerkino, das in hübsch zurecht gemachtes, glattes Geschenkpapier eingewickelt ist. Das fängt mit einer Ellen Page als fehlbesetzte Kämpferin ohne Motiv (anstatt verängstigtem Mädchen) an, und hört bei Katherine Keener als sexy diametrale, aber labile Milf-Hunterin (anstatt inhumane Horror-Mutter) auf. Alles schön zurechtgestutzt. So auch die Tatsache, das wir uns hier im White Trash der 60ies bewegen, ohne davon je etwas zu spüren.

Der Schauder an AN AMERICAN CRIME entsteht praktisch vollkommen aus den Tatsächlichkeiten, die der Film ohne Blick fürs Filmische abbildet. Page und Keener spielen klasse ohne Frage, nur was sie da spielen müssen ist doch zweifelhaft. Letztlich führt sich der Film vor allem auch dadurch ad absurdum, dass er mehrmals (und natürlich vor allem am Schluss) ungeniert einem Pathos frönt, das einem schlecht werden möchte. Als würde er nicht einmal auf den Horror der Tatsachen vertrauen.

Donnerstag, 15. Mai 2008

*One Sentence per garbage*


Selbstgespräche ist der Max-Ophüls-Preis Gewinner und dabei wieder nur eine Enttäuschung. Stromberg light, family values und die verpasste Chance, wirklich Kritik zu üben. Denn in Call-Centern geht's wirklich anders zu als im deutschen Fernsehfilm. Das weiß auch Günther Walraff, der sich hier seltsamerweise als Gimmick hergibt.

Wenn Opulenz, Kitsch und Pathos das Ruder in einem Hollywood-Opus vollends übernehmen, dann entsteht dabei eine Luft-Schmonzette wie Elizabeth: The Golden Age. Ganz, ganz furchtbar und überflüssig.

Da will jemand den derzeitigen Poker-Hype ausnutzen und dreht einen vollkommen belanglosen Film drüber: Deal kommt dabei heraus und lässt Burt Reynolds tatsächlich nochmal auf die Menschheit los.

Happy Old School, gute Laune und sujetbelastetes Abfilmen: Young@Heart erfüllt alle Erwartungen an den modernen Dokumentarfilm: Subjektiv zu sein!

Österreich kann auch deutsche Filme machen: Falco - Verdammt wir leben noch! ist Fernsehkaudawelsch mit Wiener Schmäh. Herzhaft nichtig und noch nicht mal witzig gemeint.

Böser 68er-Kitsch ist Bertolucci mit The Dreamers gelungen. Be naked, be free, be artsy!

Wohin Asia Argento mit ihrem seltsamen The Heart is Deceitful above all Things will, blieb mir unklar. Es spricht für sich, dass der Film kürzlich in der Reihe Arte Trash lief.

Rumor Has It... endet tatsächlich mit einer Hochzeit! Ich dachte, das machen nur Pornos?!

Moment, ich justiere noch mal... Nein, keine Chance, Bubba Ho-tep ist nicht lustig.

Charlie Bartlett ist ein soweit nicht auffälliges Feel-Good-Movie, lediglich Robert Downey Jr. liefert mit der Rolle des Alki-Schuldirektors angesichts seiner Biografie eine irgendwie interessante Darbietung.

Krasser Trittbrett-Scheiß: I Am Omega ist schrottöser Zombie-slashender Low-Budget-Müll, der sich leider auch noch ernst nimmt, so weit dies denn noch geht.

Der neue Gothic-Chic without Substance: Gabriel

Staham vs. Li im Actionregal: War immerhin übersichtlicher als Hitman.

Wer mag nicht China? Black Sun: The Nanking Massacre zeigt exploitativ, warum China gut und Japan böse ist.

Zum Abschluss: Barfuss und dazu fehlen mir selbst die letzten missmutigen Worte. Deutschlands Toilettenschacht geht wahrlich tief.

Montag, 12. Mai 2008

Elegy

Isabel Coixet, USA 2008
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Wie ist das eigentlich, wenn eine gestandene Frau einen Altherrenroman verfilmt? Das Experiment war es Lakeshore wert, Isabel Coixet auf Philip Roths Roman "Dying Animal" anzusetzen.

| Für die einen kommt dabei ein seltsamer Knetball aus Hochkultur und Beziehungskitsch heraus. Für die anderen ist es ein Kammerspiel, dass Ben Kingsley und Penelope Cruz tragen. Kingsley spielt einen New Yorker Intelligenzija Professoren, der sein unabhängiges, bindungsfreies Leben genießt. Mit seinem Kumpel, einem Poeten (Dennis Hopper) sinniert man über Hedonismus, junge Dinger, Ehegelübte und nochmals junge Dinger. Penelope Cruz nun verdreht dem gestandenen Herren den Kopf, lässt ihn obsessiv und ihr hörig werden. Glücklichweise verwandelt sie sich daraufhin nicht in eine femme fatale, sondern von hier an beginnt das Beziehungs-Drama seinen Lauf.

ELEGY ist zum Einen ein Film über die Angst vorm Altern. Kingsley sitzt häufig in abgedunkelten Räumen und sinniert im Off über seine Befürchtungen vor den natürlichen Prozessen. Zum Anderen setzt sich der Film mit dem Clash des Zeitgeistes und der hier entstehenden Bildungsproblematiken zwischen Mann und Frau auseinander. Schön ist, wie er den zynischen Hedonismus thematisiert, den die Herren ganz eloquent praktizieren. Weniger schön ist, welche reaktionären Muster sich finden lassen, wenn es darum geht, andere Lebenskonzepte zu diffamieren und als "offensichtlich nicht funktionsfähig" abzuwerten.

Denn ELEGY ist ja eben auch ein Liebesfilm, wenngleich ein tragischer. Über das Suchen und Finden der Liebe handelt er im Kern, am Ende bricht sich das Emotionale hinter dem abgeklärten Zynismus des Intellektuellen seine Bahn. Er muss erkennen: Der Blick auf die Oberflächlichkeiten hat ihn seiner Sensibilität beraubt. Cruz und ihre "Merkmale" - Lippen, Augen, perfekte Haut, perfekte Brust - fungieren als dauerhaftes Symbol dafür für "das Trugbild der Perfektion", was intellektuell inhaltlich immer wieder thematisiert und abgearbeitet wird.

Coixet schafft es immerhin eine gewisse Klebrigkeit des Altherrenromans dem Filmstoff auszutreiben. Als reine Charakterstudie, auch durch die Herausstellung des offenkundigen und lebensfeindlichen Zynismus, legt der Film es auf ein fast verkitschtes Beziehungsdrama an. Zu monolog- und dialoglastig bleibt die Literaturverfilmung und zieht sich ein wenig gegen Ende. Der penetrant blinzelnde Blick auf die Hochkultur, in dem sich ELEGY badet (und die Vorteile auskostet: Beethoven, Bach, Vivaldi - sie alle müssen zur Untermalung der Bedeutungsschwere herhalten), verkünstelt das Sujet nachhaltig. Nichtsdestotrotz ist ELEGY goutierbar, nicht unklug und letztlich ein Kino, das durch 2 Gesichter beseelt wird.

Mittwoch, 7. Mai 2008

Electroma

Thomas Bangalter/Guy-Manuel De Homem-Christo, Fr/USA 2006
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Verlängerter Musikschock & postapokalyptische Clipfragmente

| Thomas Bangalter und Guy-Manuel De Homem-Christo sind Daft Punk, Musiker aus Frankreich, die von den 90ern bis in dieses Jahrhundert hinein einen gewissen Einfluss auf die Musikkultur hatten, mit Michel Gondry Videos drehten und einen eigenen Funk-Elektro.Stil prägten. Mit ELECTROMA legten sie 2006 in Cannes einen Langfilm vor. Wenn man das so nennen kann.

ELECTROMA ist genau genommen eine Collage aus Story- und Musikfragmenten. Man kann den Film fein säuberlich in Abschnitte aufteilen: 2 Roboter fahren aus der Wüste in die Stadt - Sie sehen das Alltagsleben - Sie kommen in ein Labor, dass ihnen menschliche Gummigesichter anfertigt und aufsetzt - Sie kommen aus dem Labor, werden von den Bewohnern beäugt, es schmelzen ihre Masken in der glühenden Sonne, worauf hin die Bewohner sie durch die Straßen jagen - Sie flüchten wieder zurück in die Wüste - Der Eine hilft dem Anderen den Selbsttötungsautomanismus auszulösen, und er explodiert - der Andere wandert weiter - Als er selbst den Automanismus im Moment der Aufgabe nicht betätigen kann, nutzt er die Sonneneinstrahlung, zerbricht seinen Helm und setzt sich mit Hilfe des Glases selbst in Brand - In der letzten Szene geht er brennend 3:20 Minuten lang langsam durchs Bild.

Die Bild- und Musiktableaus sind fein austariert, von Brian Eno über Joseph Haydn bis hin zum Blues-Gitarristen Jackson C. Frank wird Musik aus den verschiedensten Richtungen und Epochen eingesetzt. Die Bilder und die Diegese hingegen schreiten dabei unheimlich langsam voran.

Das persönliche Dilemma, die eigene Depression steht in ELECTROMA einer allgemeinen Zivilisationskritik gegenüber. Die Symbolik ist platt: Eure biedere, uniformierte Welt akzeptiert nichts "Anderes", keine Menschlichkeit, wir sind verdammt zu flüchten, allein zu sein im Nichts. Stilistisch irgendwo zwischen Gus van Sants GERRY und einem emotionalisierenden Musikclip angesiedelt kann der Zuschauer entscheiden, ob ihm dies nun zu plakativ ist, oder er sich fallen lässt in Bilder und Musik.

Zweiteres lohnt sich. Nicht immer, aber in einzelnen Passagen, etwa wenn die beiden Roboter unter Electro- und Bassrauschen in die Spießer-Stadt einfahren oder wenn Linda Perhacs den fantastischen Song "If You Were My Man" singt und man währenddessen über Wüstenlandschaften streift, um am Ende in einer Einstellung aus den Konturen eines Hügels in der Abendsonne eine Vagina entstehen zu lassen in die wir eintauchen. Ganz besonders aber in der grandiosen Endsequenz, in welcher zu Jackson C. Franks "Dialogue" der brennende, aber nicht sterbende Roboter aus den Bildern, und damit aus dem Film gleitet - "I want to be alone" sind die Refrain-Zeilen des Stückes, und ja, dieser Abschluss ist zutiefst berührend in seiner Einfachheit und seinem Minimalismus.

Die Frage bliebe zu klären, on nun ELECTROMA ein "Langfilm", "Spielfilm", "Experimentalfilm", "Musikcollage", oder "verlängerter Videoclip" sein soll/kann/muss. Die Wirkung auf den einzelnen Zuschauer allein lässt diesen entscheiden. Finde es lächerlich, finde es berührend - finde es primitiv, finde dich und deine Philosophie darin wieder. Eines ist ELECTROMA jedoch mit Sicherheit: Eine Homage an die aufgeführten Musiker.

The Unknown

Giuseppe Tornatore, Italien/Frankreich 2007
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Hitchcock, De Sica und hysterische Beiläufigkeiten

| Nach und nach deckt sich die Geschichte von Irena (Kseniya Rappoport) auf. Mit jeder Kehrtwendung ändert sich auch das Genre von Giuseppe Tornatores Preisabräumer LA SCONOSCIUTA. Capri, Moskau, den europäischen Publikumspreis und alle wichtigen Preise des italienischen Filmpreises David wurden eingeheimst. Rühmen kann sich DIE UNBEKANNTE also.

Tatsächlich aber besteht der Film aus allerlei abstrusen, emotional immer - meist durch die Musik Ennio Moriccones - erhöhten Versatzstücken. Zunächst ist THE UNKNOWN ein Thriller in Hitchcock-Manier, voll auf Suspense setzend, höchst hysterisch durch viele Zeitsprünge determiniert. So wirkt das Geschehen wie beiläufig, gehetzt, mit Sorgenfalten versehen.

Besorgt, weil wir gehen den Weg mit der Protagonistin, von Anfang bis zum Ende. Wird sie uns von Beginn an sympathisch gemacht, kann man sich doch nicht wirklich sicher sein, ob sie nicht doch Böses im Schilde führt. Spätestens beim Fast-Mord kommt man ins Stutzen und denkt zwangsläufig an die blonden femme fatales aus Hitchcocks Klassikern.

Mit der langsamen Auflösung - die der Geschichte nebenbei gesagt auch alles Mysteriöse nimmt - entspinnt sich auch ein Melodram, das gegen Ende immer aufgesetzter und törichter wirkt. Die Geschichte um Zwangsprostitution und Kindesentziehung wirkt nach dem angedeuteten Thriller in ihrem überhöhten Pathos unglaubwürdig und seltsam.

Aber vielleicht sind das auch schlichtweg italienische Tugenden. Bestenfalls erinnert man sich noch an Vittorio De Sica - an seine melodramatischen Härten des Lebens, an die Liebe zu den Kindern in seinen Filmen, an den kräftigen Musikeinsatz, der alles zu verschlingen drohte. Wenn der moderne italienische Film aber nur derlei Versatzstücke aufbieten kann, mag das zu wenig sein.

The Ruins

Carter Smith, Australien/USA 2008
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Öko-Rassimus und die Natur als body snatcher

| Die Amis dürfen von nun an nicht nur Angst vor ominösen Osteuropäern, europäischen Huren und verdreckten Hostel-Badezimmern haben, sondern können sich endlich auch einmal ihrer Angst vor den Urbewohnern ihres Kontinents stellen. Und nicht nur der.

4 amerikanische Studenten verirren sich, angeführt vom Deutschen Matthias (der ein Englisch mit französisch/spanischem Akzent spricht) in eine Ruine der Mayas. Hurtigst tauchen deren Nachfahren auf und drängen partout darauf, dass die jungen Dinger und Kerls nicht mehr ausbüchsen können. Obskure Rituale werden durchgeführt, ein Kind erschossen, dass mit einer Pflanze in Berührung gekommen ist.

Nach soviel rassitischem Klischee (inkl. eines mexikanischen Tequilla-Taxifahrer), kommt es dann zum body horror der besonderen Art. Die Planzen haben es aufs Fleisch des Studentenpacks abgesehen. Sie vereinnahmen diverse Körperteile, vor allem des Deutschen, dessen Beine darauf hin amputiert werden müssen. Ihgitt.

In THE RUINS werden die Planzen zum Körperparasiten, verändern die Wahrnehmungen der Kids und imitieren deren Stimmen und Handytöne klanglich. Das Ökosystem schlägt zurück. Schlitzereien und massig Blut sind die Folge. Da Pflanzen nur einen eingeschränkten Handlungsspielraum besitzen, richtet sich die Gewalt des Menschen auf sich selbst. Er fuhrwerkt an seinem Körper herum, den die Natur nun für sich eingenommen hat.

THE RUINS ist unter dieser Prämisse ein recht ungewöhnlicher Horrorfilm, der weniger mit Urängsten und nur vereinzelt mit Schocks arbeitet. Vielmehr ist es die eigene Körperlichkeit, die hier zum Ekel anregt. Damit ist der Film zwar leidlich spannend, aber immerhin einmal ein anderer Ansatz zum zur Zeit standartisierten Folter- oder Asiengrusel.

Dienstag, 6. Mai 2008

Surveillance

Jennifer Lynch, USA 2008
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Das alte Moralspielchen

| Im schlechten Eindruck des halbdementen und beinahe senilen David Lynch bei dessen Auftritten der Betrachtungen jener "schönen, neuen Welt" Visionen seiner Sektenfreunde könnte man meinen, Lynch würde jetzt nur noch Happy Hippo Werbevideos drehen wollen. Dass nun ausgerechnet seine Tochter unter seinen Fittichen mit SURVEILLANCE so eine düstere Vision vorlegt, ist da doch erstaunlich.

Eine junges Kokstantchen und ein kleines Mädel müssen die Morde von 2 Maskierten an ihrem Freund bzw. der ganzen Familie mitansehen. 2 FBI Detectives wollen die Sache in Parallelinterviews auflösen.

Der Fall liegt klar - die Welt der Erwachsenen ist eine moralisch verkommene. Selbst die Cops in diesem Film sind durch und durch korrupt, pervers und infantil. Die seltsam lynchsche Atmosphäre wirkt trotz einzelner durchgeknallter Anwandlungen der Figuren zwar etwas deplatziert, aber weist bereits hin auf die kranke Richtung, die der Film dann einschlägt.

Die Erwachsenenwelt ist kaum verständlich und vollkommen pervertiert. Das wird "gerächt", zumindest abgestraft durch Mörder, die hier wie ein Fallbeil auf alle Figuren niedergehen. Das ist ein altes Spiel - das der noch böseren Mächte, die aber durch ihre Strafungen eine moralisch höhere Position erhalten. Normalerweise ist dies noch religiös unterlegt, bei SURVEILLANCE reicht die bloße Erscheinung ohne Nennung von Gründen. Katharsis, die übel aufstößt.

Die Perspektive des Kindes soll unsere sein - so richtig zeigen tut SURVEILLANCE dies aber mit filmischen Mitteln nicht. Lediglich das Schlussbild (und Interviewfetzen) zeugen von dieser möglichen Lektürerezeption. Am Ende überlebt nur das kleine Mädchen, und das nur aus zufälligen, "romantischen" Motiven der Mörder. Die Beliebigkeit, mit der auch der Film seine Gewalt ausstellt ist erschreckend und damit tatsächlich ein kalter Schock für den Zuschauer (wie für das Mädchen). Lynch bleibt ein Label für düstere Visionen.

Things We Lost in the Fire

Susanne Bier, USA 2007
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Plädoyer für die Solidargemeinschaft

| Susanne Biers erste US-Produktion behandelt genau genommen 2 persönliche Traumata - zum Einen den Verlust einer geliebten Person (Halle Berry verliert Ehemann David Duchovny), zum Anderen Drogensucht und das Loskommen von ihr (Benicio del Toro). Die Verwebung der beiden Stoffe gelingt nur bedingt (diegetisch so gelöst, dass del Toro der beste Freund des Ehemanns war), vor allem der motivische Zusammenhang spielt die übergeordnete Rolle.

THINGS WE LOST IN THE FIRE behandelt nämlich im Grunde genommen das Thema der Solidargemeinschaft. Die Familie des Toten übt sich nänlich - in der gemeinsamen Trauer - als Ersatz für (beide Seiten) und Retter des Drogenkranken. Alle kümmern sich nun aufrichtig um del Toros Figur, selbst die Kinder sind so erwachsen, dass sie die Situation intuitiv zu verstehen scheinen. Es gibt keine Reibungspunkte - keine Upper Class-Freunde, die damit ein Problem hätten, keine Schwiegermutter, die sich ekelt vor der sozialen Verantwortung.

Im Gegenteil formuliert der Film gar ein klassischen Gegensatz aus - zwischen dem, der es geschafft hat, erfolgreich ist, die perfekte (im übrigen: schwarz-weiße!) Familie hat, alles wie mit links zu schaffen scheint - und dem, der auf der Strecke blieb, gesellschaftlicher Außenseiter wurde, es versaut hat. Der Clou nun wird hier am deutlichsten: Der Gegensatz wird ausdrücklich dargestellt, hat aber keine negativen Konsequenzen für die Beziehungen. Kein Neid, keine Angewidertheit, keine bösen Worte, keine Reibung - nur Hilfe, Mitgefühl und Familienverband.

Das mag dem Einen oder Anderen vielleicht sogar übel aufstoßen. Weil es ein idealistisches und unrealistisches Bild der Gesellschaft abbildet und damit ziemlich konstruiert wirkt. Wie immer bei Bier hält dafür das "Außerordentliche" der Situation her. Mit "Unfassbarkeiten" kann man sich narrativ so Einiges erlauben, das war bei OPEN HEARTS und BROTHERS nicht anders.

THINGS WE LOST IN THE FIRE funktioniert als tieftrauriges Drama natürlich trotzdem. Bier ist eine zu gute, zu präzise Filmemacherin. Eine, die es wie kaum ein zweiter Realisateur versteht Figuren zu inszenieren und Schauspieler ans Limit ihres Telents zu bringen. Freilich hat sie dieses Mal mit Halle Berry und insbesondere Benicio del Toro auch noch eine ideale Ausgangsbedingung an die Hand bekommen. Dass der Film bei den Oscars keinerlei Erwähnung fand, ist vor allem in Bezug auf del Toros Darstellung merkwürdig und gar respektlos.

Letztlich kann Bier mit ihrem leisen und behutsamen Stil, ihrem einfühlsamen Inszenierungsgeschick im modernen Hollywood-Melodram für Belebung sorgen. Der mangelnde Erfolg indes weist wohl leider darauf hin, dass ihr Besuch nur ein Ausnahmefall war. Bleibt abzuwarten, was Benioff/Sheridan mit BROTHERS, und Zach Braff mit OPEN HEARTS anzustellen vermag.

Montag, 5. Mai 2008

All The Boys Love Mandy Lane

Jonathan Levine, USA 2006
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Wenn ein Genre sein Sujet ernst nehmen will

Drehbuchautor Jacob Forman und Regisseur Jonathan Levine hatten da eigentlich eine schöne Idee. Einen High-School-Film machen. Und weil's einfacher ist so an Geld zu kommen, darf es auch ein Slasher sein. Denn Teenie im Slasher, das passt schon ganz gut zusammen.

An sich ist ALL THE BOYS LOVE MANDY LANE tatsächlich ein streckenweise beeindruckender Film, weil er sich eben so locker und unbedarft gibt, weil er an manchen Stellen auch gerade dadurch als Horrorfilm funktionieren mag. Mit Nostalgie und viel Musik versucht der Film auch den Nerv eines Publikums zu treffen, dass die Minderjährigkeit überschritten hat. Allein die Figurenausgestaltung mag da nicht immer gelingen. Am Ende handelt es sich doch nur um Dudes und Bitches.

Folgerichtig hält der Plot, als er zunehmend zum Slasher wird, auch nicht durch. Der Mörder enttarnt sich (wäre auch später keinerlei Überraschung mehr gewesen), die Morde laufen zusehends langsamer ab. Als Genrefilm versagt ALL THE BOYS LOVE MANDY LANE vor allem im Mittelteil, denn die flirrenden Bilder wollen nicht über die fehlende Spannung hinweg täuschen.

Als Slacker Vertreter kann er sich freilig nun auch nicht mehr ernsthaft gebärden. Spannend bleibt allein das Rekurrieren des Films auf seine Vorbilder - die grobpixeligen Landschaftsaufnahmen erinnern an TEXAS CHANSAW MASSACRE, die Versuche sich intuitiv in Mädchenprobleme einfühlen zu wollen an VIRGIN SUICIDES. Die letzte Szene verziert den Film gar als Augenzwinkern an die 70ies female-revenge-movies.

Überhaupt kann man über den Plottwist noch mehr sagen, ohne zuviel vorweg zu nehmen aber scheint mir vor allem interessant, wie hier die latente männliche Angst vor einem übermächtigen "final girl" thematisiert wird. Gute Ideen hat er viele, im Endeffekt aber merkt man ALL THE BOYS LOVE MANDY LANE sein ambivalentes Drehbuch zu sehr an.

Samstag, 3. Mai 2008

Shock Corridor

Samuel Fuller, USA 1963
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| Milos Formans EINER FLOG ÜBERS KUCKUCKSNEST sollte 1975 ein großer Erfolg werden. Samuel Fullers SCHOCK CORRIDOR schaffte dies 12 Jahre zuvor nicht, sondern wurde sogar bis 1990 in England verboten. Dabei liegt das Böse, Zermürbende und psychisch Gewalttätige auch hier eng verbunden mit einem grotesken Humor, den ein Film der in einer Irrenanstalt spielt fast zwangsläufig ausstrahlen muss.

Der Journalist Johnny (Peter Breck) lässt sich in die Psychatrie einweisen, weil er einen Mordfall aufklären will, um - nicht gerade uneingennützig und hoch ehrgeizig - den Pulitzer-Preis zu gewinnen. Schon hier ein Einhaker: Unser Protagonist ist - ein wenig Noir-technisch - moralisch nicht einwandfrei, sondern entwickelt aus einem Behauptungswillen heraus einen fast unnatürlichen, ihn folgerichtig dann auch ins Verderben führenden Ehrgeiz. Hier schnappt die kritische Falle schon ein erstes Mal zu.

Mit der seinen Charakter bestimmenden Hybris (seine Freundin einmal: "Hamlet was made for Freud. Not you!") denkt er sich dann - filmisch fast vulgärpsychologisch gekoppelt an schief hängende Bilder von Freud - eine Geschichte aus, die ihn schnurstracks ins Irrenhaus befördert: Er habe seine Schwester begehrt - seine eigentlich Freundin (Constance Towers) spielt das Spiel mit und verhilft ihm trotz Bedenkens hinter die geschlossenen Mauern.

Johnny denkt einen Schritt voraus - nichts kann ihn erschüttern: innerer Monolog: Right about now is when he's supposed to ask me if I hear voices... Doktor Cristo: Do you hear voices, John?

In diesem Spiel der Selbstüberschätzung und Unterschätzung seines Gegenübers (die Wirkungen der Behandlungen, Verlustkontrolle über sich selbst, letztlich seiner manipulierten Biologie) kommt im Individuum zum Ausdruck, was SCHOCK CORRIDOR nun im Kernteil des Films eigentlich ausformulieren will. Der Film zeigt Amerika als kranken Patienten, schon vollkommen schizophren geworden, ob der eigenen Hybris.

Denn der aufzuklärende Mordfall fungiert hier nur als McGuffin, als Katalysator der symbolischen Handlung, an der Fuller eigentlich interessiert ist - 3 Zeugen gibt es, die abgearbeitet werden: Zeuge Nr. 1 spielt gerne den Bürgerkrieg nach, weil er als Frontsoldat meschugge geworden ist. Zeuge Nr.2 (grandios: Hari Rhodes) ist ein Schwarzer, der die Sprüche und den Hass des Ku-Klux-Klans überzeugend nachpredigt. Zeuge Nr.3 eine Atomphysiker, der an der Atombombe mitgebaut hat und nun auf dem Stand eines 6-Jährigen den ganzen Tag Bilder malt.

Krieg, Rassimus, Hiroshima - Amerikanische Traumata, die SCHOCK CORRIDOR abarbeitet, eindeutige Symbolismen, Absichten, Aufklärung. Nochmals ziemlich vulgärpsychologisch versimplifiziert entlockt Johnny den Dreien die Fakten über den Mord, indem er sich ihrer annimmt und ihr Spiel mitspielt - irgendwann tritt schon der "normale" Charakter hervor. Dem gegenüber steht die schöne Idee, jene "Verrücktheiten" auch für den Zuschauer sichtbar zu machen und diegetisch zu verarbeiten (z.B. in Farbaufnahmen der Gedanken der Insassen). Wir sprechen hier schließlich nicht distanziert über irgend jemanden, sondern auch du - lieber Zuschauer - bist hier angesprochen.

Am Ende also ist Johnny seiner Frau, seines Lebens, seiner Hybris - wohl aber nicht des Pulitzer Preises beraubt. Der Grund wohl, warum der Film so stiefmutterhaft ausgenommen wurde, schlicht die Konsequenz, diese fies ausgespielte Hoffnungslosigkeit. SCHOCK CORRIDOR gebührt damit höchste Sympathie und ein Zurückrücken ins öffentliche filmhistorische Gedächtnis.