Sonntag, 28. September 2008

Filmfest Hamburg 2008 # 1+2

From low culture to low culture
Eine hochgeschätzte Schreiberin aus der taz erquickt sich regelmäßig daran, dass auf Filmfestivals (v.a. Venedig) auch mal B-Movies oder von ihr betitelte Abbildungen der "low culture" ihren Platz finden. Dass sollte auch auf dem Filmfest Hamburg nicht anders sein, und so startete die Filmrundschau für mich persönlich dieses Jahr mit dem Sundance-Erfolg und potentiellen San Sebastian Sieger Frozen River von Courtney Hunt (nein, den Opener Nordwand habe ich mir wohlweislich nicht gegeben. Nichts kann einem schlechtere Laune bereiten als die trendige deutschtümelnde "Geschichtsaufarbeitung"). Der kleine Ami konzentriert sich auf das White Trash Milieu im State of New York und beobachtet eine vom Leben gezeichnete Mutter bei ihren Bemühungen durch das Schleusen illegaler Einwanderer das letzte, nötige Cash zusammenzukratzen. Wo Überlebenkampf endet und Menschlichkeit anfängt beschreibt das verschneite Drama in ruhigen Bildern. Eine "low culture" beschreibt auch der argentinische Zeitdehner Liverpool von Lisandro Alonso. Der Film gehört zu den Kandidaten, die ihre ungläubig zu bestaunenden Landschaftsbilder ausstellen (das ländliche Argentinien von Schnee bedeckt) und meinen damit alles gesagt zu haben. Die Geschichte des blass-trüben Seemanns, der seine Mutter, die ihn nicht mehr wiedererkennt, besucht könnte jedenfalls nicht unmaßgeblicher sein. Die Kamera bleibt hängen an ihren elend-langen Einstellungen und penetriert die Nerven des Zuschauers. Die Hälfte des Publikums hat dies nicht durchgehalten.

Filmfest hin oder her, unglücklicherweise wurde ein weiterer, großer Event der low culture auf diesen Freitag gelegt, nämlich das Fußballrowdytum, das sich allwöchentlich über Testosteron - besser: Bierbauch-Deutschland legt, hatte einen Pflichttermin zu verbuchen: Nach 6 Jahren spielte der FC St.Pauli wieder bei Hansa Rostock. Das bedeutete in vergangenen Tagen (den 90ern) 10% rechte Stiernacken-Hools und 90% durchtrainierte Bierbauch-Bauern treffen auf allerlei linkes Gesindel vom gemäßigten Pädagogik-Studenten bis zum radikalen Antifa. Heutzutage sieht das Bild nicht viel anders aus, doch irgendwie sind alle müde geworden und hängen nur noch schlaff in der Kurve. So fuhren wir auch gleich in einer Karre mit einem Rostocker Anhänger (30-jähriger Ex-BWL-Student, Gel-Haar, Kennzeichen: markige Runterbuttersprüche) und einem Pauli-Fan (19, Zivi, Ziegenbärtchen). Alles nicht mehr so dicke mit der Feindschaft, und so sah das behäbige 3:0 auch wie ein Sieg gegen jeden anderen Gegner aus, wenngleich die Fans ihre kreativen "Scheiß Pauli" Rufe gut und gerne alle 5 Minuten erneut aufführten. Das heilige Ritual von Menschenähnlichem hinter mir bepöbelt und angemacht zu werden durfte nicht fehlen, hier zeigte sich Fußballgott allerdings ungleich kreativer als beim Spiel an sich und ließ eine Dorfdiscopille mit dem Charme einer echten Nordostdeutschen die Worte "Du Scheiß Eunuch!" mehrmals wiederholen. Mein Beklatschen zur kreativen Wortwahl wurde mit Bespucken quittiert. Das ist doch mal ein fairer Gestenabklatsch oder?!

From low culture to high culture
Zurück beim Filmfest heute in aller Herrgottsfrühe erwartete mich zunächst einmal filmkünstlerisch Hochwertiges: Der Brite Terence Davies erschafft mit Of Time and the City eine Hommage an Liverpool, eine Filmcollage mit viel Archivfootage und Elegie, deren Bilder leider anscheinend nicht für sich selbst stehen können und einen Märchenerzähler an die Seite gestellt bekommen, der die Tonspur durchweg dominiert. Der große mexikanische Abräumer beim Festival in Guadalajara The Desert Within im Anschluss benötigt solcherlei Erzählmodus nicht. Das bleischwere katholische Drama berichtet vom Vater, der seinem Fehler das Leben eines Priesters durch den Egoismus sein Kind unbedingt taufen lassen zu wollen aufs Spiel setzt, in religiösem Übereifer ummünzt und die Schuld auf das getaufte Kind projiziert. Die Tiefe Tragik und der herunterziehende Gemüt des Films ändern nichts an den zwei möglichen Lesarten - neben jener der Kritik eines religiösem Fanatismus gibt es auch den Präsenzgestus, der an Erhabenheit und tiefer Erfurcht vor dem Katholizismus nichts vermissen lässt. Technisch perfekt umgesetzt, schwitzt man als Betrachter ob des Popanz doch etwas.

Gut und gerne als schwarz/weiß-Reinfall möchte ich All That She Wants von der "kanadischen Arthouse-Hoffnung" (Programmheft) Denis Côté bezeichnen. In lässiger Lethargie wird hier kanadischer White Trash (Aha, wieder unten angekommen!) gezeigt, und irgendwo zwischen den "Schockbildern" einer angedachten Vergewaltigung einer minderjährigen Russin und dem Stemmen gegen eine "männerdominierte Welt" (nochmal Programmheft) darf sich jeder seinen eigenen Reim auf einen Film machen, dessen Figuren nicht kaltherziger gezeichnet hätten werden können. Das Gleiche in schwarz (man verzeihe mir diesen Kalauer) dann im Anschluss aus Südafrika mit Darrell Roodts Zimbabwe, nur ungleich naiver, arthousebefreiter, moralverseuchter und technisch abgefuckter. An die Digitalkamera ohne Windschutz muss man sich erstmal gewöhnen, irgendwann klappt es aber und wir bekommen die Geschichte eines Mädchens erzählt, das nach dem HIV-Tod der Eltern nacheinander von Tante, Cousin, Zwischenhändler, Aufsichtsperson und weißem Chef und Chefin (bei denen sie putzt) ausgenutzt wird. Dem schnurgeraden Filmchen steht es da gut zu Gesicht, dass er seine Figuren rund um die Hauptfigur bitterböse zeichnet und am Ende nicht davor zurückschreckt gleich auf 3 Vergewaltigungen anzuspielen. Keine Frage, die Weißen sind hier vor allem die Bösewichter in ihren Stahlzaunkolossen in Johannesburg, aber damit möchte ich eigentlich kein Problem haben. Eher vielleicht mit dem zu stark im Vordergrund stehenden Dilettantismus und der simplen Moral am Ende.

Angekommen in der Höchstkultur
Eigentlich mal Zeit für einen guten Film, oder?! Mit Adoration verband ich am heutigen Tage meine größten Hoffnungen. Der kanadische Arthouseliebling mit ägyptisch-armenischen Wurzeln - Atom Egoyan - bekam den Douglas-Sirk-Preis verliehen, und wie schon im letzten Jahr gab es in der Hamburger Gute-Laune-Kultur-Society erst einmal eine Laudatio. Eine doppelte wohlgemerkt, denn er bemüßigte sich nach dem selbstbeweihräucherndem Auftritt von Wim Wenders auch Vizebürgermeisterin Christa Goetsch auf die Bühne. Nachdem Wenders schläfrige olle Kamellen aus der Mottenkiste ausgepackt hatte (in den 80ern hat er seinen Preis in Montreal an den damals noch jungen Egoyan weitergereicht - Klatsch! Klatsch! Herr Wenders), durfte Goetsch den Namen des Geehrten auch nochmal falsch aussprechen, um sich dann über sein "Oevre", dass er ja besitzt wie Festivalleiter Albert Widerspiel so gedankenscharf feststellte, zu freuen. Die ganze Chose gab es ja im letzten Jahr bereits ebenfalls, nur konnte/wollte sich dort Laudator Matussek nicht so lange auf der Bühne halten wie es Wenders und Goetsch taten. Nach 45 Minuten durfte dann der Film beginnen. Mein erster Egoyan begann erwartet bedeutungsschwer, aufgeladen und verstrickt. "Assoziativ" wurde das genannt, nun ja, anstregend und figurendistanziert ist es zunächst. Das Besondere am neuen (und den alten?) Egoyan ist nun die langsam greifende Psychologisierung der Protagonisten. Weiter und weiter dringt man in ihre Welt vor, erfährt informationsmanagementmäßig hübsch gelöst viele charakterliche Wendungen und muss sich umorientieren. "Plottwists" mag der Film zwar auch, die sind aber tatsächlich nur Nebensache. Stattdessen dominieren zunächst viele angeschnittene Diskurse - Terrorismus und seine Argumentationslogik, Xenophobie, die Möglichkeit von Ver- und Misstrauen in der aktuellen Gesellschaft, Identitätsfindung bei gleichzeitiger Trauerverarbeitung. Alles bekommt seinen Spielraum, am Ende interessieren jedoch allein die Figuren. Wer hier welche Rolle hatte - das auch, aber weniger als etwa wer hier welche Gefühlsachterbahnen durchmachen musste. Ein schöner Film, der Lust auf mehr vom Egoyan macht, die glücklicherweise demnächst im Metropolis-Kino befriedigt werden darf. (oder auch nicht, wie ich gerade lese, da sich die Werkschau auf 3 Tage während des Fests beschränken)

Aus Belgien dann zum Abschluss des Tages 2 ein verknappter, entschlackter Michael Haneke: Happy Together von Geoffrey Enthoven erzählt von einer einer Bürgerlichkeit, die beim ersten Anzeichen von Misserfolg zusammenbricht. Das ist nicht besonders originell und durchaus plakativ, aber sowas sieht man allemal lieber als Steppenfilme über Bergbauern aus Kasachstan.

Mittwoch, 3. September 2008

Slam

Marc Levin, USA 1998

Die größte Leistung von SLAM ist vielleicht das Desavouieren des Ghetto-Klischees, wie es "Rap-Filme" im Mainstream nur allzu gerne annehmen und weiterspinnen. Ray Joshua wird gespielt von Saul Williams, einem schmächtigen intellektuellen Youngster ohne Muskeln und Tattooes, dafür mit Grips und lyrischem Talent gesegnet. Der ultrarealistische Film kann nur so funktionieren, mit echten Figuren und echten Emotionen.

Ray Joshua kommt unschuldig in den Knast (soviel Erzählkino muss sein) um sich dann erstmal ein kleines, freundschaftliches Rapbattle mit Momolu Stewart zu liefern. 5 Minuten freestylen die beiden drauf los, während Wand und Töpfe als Beatmaker herhalten dürfen. SLAM versinkt gerne in solchen Momenten und hat dazu alle Zeit der Welt, denn der Film, der den großen Jurypreis in Sundance 1998 gewann, ist selbst ein Freestyle. Ein anderer Moment, in dem er sich ganz im Geschehen verliert ist der starke Augenblick als Ray Joshua sich mit Lauren (Sonja Sohn) - der Knastsozialarbeiterin mit Hang für sensible Typen - im Park streitet. Selten eine so intensiv gespielte Szene gesehen. Der Fahrradfahrer, der zwischen den beiden durchfährt wirkt nicht wie bestellt. Alles bleibt sich hier selbst überlassen.

Es ist also weniger die allseits bekannte Geschichte, die im Kopf bleibt als vielmehr einzelne herausstechende Momente, die den Film definieren. Dass er 10 Jahre nach seiner Entstehung so in Vergessenheit geraten ist und anderen Stylefabrikaten aus der aktuellen Mainstreamkultur weichen musste, ist traurig. Zeit, sich zu erinnern. Wenngleich dies leider viel zu früh geschehen muss.

Schläfer

Benjamin Heisenberg, Deutschland 2005
Das Feuilleton überschlug sich geradezu mit Lobpreisungen des achso leisen Films, der ja so gar nicht seinem Genre (Psychothriller, Untersorte: Intrige) entsprach, sondern einen persönlichen Konflikt angesichts einer angespannten, politischen Situation im Hintergrundrauschen bebilderte. Ein deutscher Durchschnitt (Bastian Trost) wird dabei vom Geheimdienst auf einen algerischen Mitarbeiter (Mehdi Nebbou) angesetzt. Obwohl sich der "integere" Typ sich zunächst weigert sorgen aufkommender Neid und eine komplizierte Dreieckskonstellation mit einer Frau für ein Umdenken.

Heisenberg filmt seine Figuren in langen, kühlen Einstellungen in langen, kahlen Gebäuden. Der depressive Grundton dominiert den gesamten Film und verleiht ihm schnell die gewünschte Atmosphäre zwischen "Besonderem" und "Realismus". Ob dabei gerade die verstockten Darsteller ihr Zutun bewusst oder unfreiwillig ins Werk bringen, ist nicht ganz zu orten. Der Witz allein bleibt, wie hier das Politische mit dem Privaten verbunden wird. Denn eigentlich erzählt SCHLÄFER lediglich die Geschichte einer privaten, kleinen Intrige auf dem Rücken eines bedrückenden Politszenarios. Dass dabei zwischen 9/11-Sicherheits-Hysterie und DDR-Vergangenheit der Knopf beim Rezipienten schnell umgeschaltet werden kann ist mitnichten ein Beweis der Vielseitigkeit des Films, der in seiner Überkonstruktion schnell Gefahr läuft in sich zusammenzubrechen. Das eigentliche Thema - Sicherheitsbedürftigkeit vs Datenschutz - findet nicht Erwähnung, und so ergeht sich SCHLÄFER letztlich nur in der Darstellung einer rauen, unwohnlichen Welt. Dafür hätte es nicht dieses Aufhängers bedurft.