Mittwoch, 25. Juni 2008

La Graine et le mulet

Abdellatif Kechiche, Frankreich/Tunesien 2007
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Kechiches Familienkaleidoskop öffnet den Blick. In charmantester und naiver Weise wirbelt eine Kamera zwischen unzähligen Figuren einer maghrebinischen Großfamilie in Marseille umher. Schreiereien, Diskussionen, hier kommt man nicht hinterher, dort entdeckt man einen großartigen Dialog. Vollkommen losgelassen zelebriert Kechiche seine Figuren, meist ganz ohne Psychologisierungen, ohne sie zu denunzieren. Einfach ein öffnender Blick.

COUSCOUS MIT FISCH ist Komödie und Tragödie, Familien- und Liebesgeschichte, Sozial- und Migrantendrama, und doch überaus lebensfroh. Der Film ist roh, langsam, lang (151 Minuten), fordernd (mindestens die volle Aufmerksamkeit), eigentlich fast ausverschämt, weil man in seinem sozialen Realismus zunächst wenig filmische Finesse vermuten mag.

Kechiche teilt seinen Film in ein überlanges Sprachwirrwarr aus Diskussionen, alltäglichem Nebenbei, wichtigen Lebensplanungen, affektiven Streitereien und schmissigen Dialogen. Alles bleibt in der Familie. Dann wird er - eine halbe Stunde vor Apfiff - fast unerwartet exzessiv. Intensiv war er schon die komplette Laufzeit über, doch nun wird COUSCOUS MIT FISCH zur puren Extase. Die beiden Hauptfiguren (die sich auch erst jetzt als diese so richtig herauslesen lassen), nämlich der Vater (Habib Boufares) und die Stieftochter (unglaublich betörend und präsent: Hafsia Herzi) werden gegeneinander montiert. Sie rettet die Einweihungsfeier seines Restaurants mit einer nicht enden wollenden Bauchtanzeinlage, in der sie sich vollkommen hingibt. Er versucht verzweifelt dem verlorenen Couscous hinterher zu rennen. Vergeblich und tragisch. Extase, Musik und Tragödie treffen aufeinander, wenngleich die Hoffnung und die Ironie nicht aus dem Bild genommen werden.

LA GRAIN ET LE MULET ist ein warmherziger Film, in dem die Frauen kämpferisch, pfiffig und überlebenswillig - selbstredend damit einhergehend auch zutiefst hysterisch und affektiv - die Männer hingegen im Bild des Vaters als melancholisch, stur und vom Leben gezeichnet gezeigt werden. Das Geschrei ist kaum auszuhalten (der Höhepunkt ist eine 10 minütige Sequenz, in der sich der Vater von einer betrogenen Schwiegertochter anhören muss, dass sein Sohn der größte Arsch der Welt ist), und doch mag man der sinnlichen Zuneigung der Kamera zum Weibe wie zum Manne gerne zuschauen. Kechiche gelingt echtes Weltkino, dem mit Kraft und Anstrengung zu begegnen ist. In den Familienverband integriert, steht man dies aber nur allzu gerne durch.

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