Woody Allen, Spanien/USA 2008 / Sam Mendes, USA 2008
2 Filme verhandeln dieser Tage geschlechterhafte Beziehungsgeflechte auf ihre Art und Weise. In den Einen strömen sie derzeit alle, vor allem das Studentenvolk, so auch ich mit zwei bezaubernden Damen, ganz im Sinne Woody Allens, dem Neurotiker mit der neu entdeckten Leidenschaft für junge Musen, die vielleicht der wesentliche Ausschlag sind, warum Woody im hohen Alter endlich mal durchdachtere Konzepte vorlegt ohne stets Ich-bezogen durch seine eigenen urbanen Neurotismen zu marschieren. Der Andere wird ab Januar vermutlich eher betagtere Menschen ins Kino ziehen und als nicht ganz so hip gehypt werden. Beide verhandeln aber praktisch die gleiche Frage.
In VICKY CRISTINA BARCELONA, den manche interessanterweise als "luftige Sommerkomödie" wahrnehmen, widmet sich Allen dem Partnerschaftschaos einer Generation, die eine Vielfalt an Beziehungskonstellationen zur Verfügung hat. Es treffen die unterschiedlichsten Philosophien und Konzepte von Liebe aufeinander. Das Paar an Gegensätzen heißt Rebecca Hall und Scarlett Johansson. Sicherheit, Treue und Planbarkeit treffen auf Freiheit, Unentschiedenheit und Ausprobieren. Genauer genommen ist der Beziehungszirkus aber vor allem eines: Ein Film über den Einbruch der Leidenschaft in die Realität.
Die beiden Damen treffen auf Lebensgenießer und Chauvi-Charmeur Javier Bardem, dessen Liebeskonzept dem der Johansson natürlich näher steht. In der Dynamik der Liebe gefangen kommt es jedoch selbstverständlich auch zur Eruption der Emotionen zwischen der sonst stets kalkulierenden Hall und dem zwischen sensibler Lethargie und relaxtem Feuer changierenden Bardem. Und als man denkt man kenne nun die Geschichte taucht auch noch Penelope Cruz auf und bringt das Klischeebild des sich bis aufs Blut hassliebenden Künstlerpärchens auf.
Auch wenn Cruz allerorts als herausstechend über den Klee gelobt wird, ist gerade diese Episode vielleicht etwas zu viel des Guten. Die Beziehungsgeflechte sind zwar für die kaspernde Apparatur ganz nett, die grundlegende leichte Tragik der ewigen zwischenmenschlichen Probleme wird dadurch jedoch etwas desavouiert. Allens Barcelona-Trip ist trotz des lockeren Mundwerks nämlich durchaus nicht so angenehm, wie es die Temperaturen vermuten lassen könnten. Die ewigen Konflikte um die Vergänglichkeit der Liebe, um Unvereinbarkeiten, um den Dualismus Rationalität und emotionales Ausbrechen sind hier weitaus weniger banal abgearbeitet als es in gewöhnlichen Romantic Comedies der Fall ist. Und das liegt nicht an Allens Intellektualisieren des Ganzen. Es ist grundlegender, Allen lässt seine Figuren einfach machen, denken und erleben, so dass man ihnen sehr nah kommt.
Trotzdem stößt der Allen typische leichte Zynismus seltsam auf. Allen legt einen nüchternen Erzähler als Verbindungsstrick über seine Narrationsknäuel. Der schafft eine in diesem Fall unnötige Distanz, auf das wir ja merken, dass wir in einem Allen Film stecken. So ganz traut sich der Mann anscheinend immer noch nicht dem Gezeigten einfach den Platz einzuräumen, der ihm zusteht. Im Falle dieses ansonsten zwischen Verspieltheit und bitterem Ernst feinsinnig wechselnden Luststücks allerdings passt der übergezogene "tone" trotzdem hinein. Der Natürlichkeit der Erzählung sei Dank.
Über Zynismus und der Haltung eines Films gegenüber seinem Sujet musste man sich anno 1999 bei Sam Mendes suburbanen Zersetzungsdrama AMERICAN BEAUTY noch viele Gedanken machen. Knapp 10 Jahre später nahm sich der Engländer der Kritik scheinbar an und schlägt mit REVOLUTIONARY ROAD einen weitaus ernsteren Ton an. Die Verfilmung von Richard Yates Novelle nimmt sich mehr oder minder dem gleichen Thema wie Allens angeblicher Sommerluftikuss an: Der Gegenüberstellung eines sicheren, aber starren gegen ein ausbrechendes, aber risikoreichen Beziehungskonzeptes. Hier nun schmeißt uns der Film direkt in eine Ehe - die vorausgegangenen Bilder sind austauschbar. Auf Party kennen gelernt, etwas Smalltalk, humorige Wellenlängen, gemeinsame Träume, irgendwo dazwischen so eine vermutete Seelenverwandtschaft. Nach 5 Minuten sind wir aber bereits im neuen Eigenheim, 2 Kinder gibt es auch schon, wie der Film erst spät in einer denkwürdigen Szene offenbart (Die Kinder warten mit Mutti auf Papi mit der Geburtstagstorte - Papi kommt gerade heim vom beliebigen Fremdgehen mit einem Naivchen).
Kate Winslet ist die Mutter und Hausfrau und möchte ausbrechen. Allerdings: Mit ihrem Mann, mit dem es zwar zu krachen vermag, aber den sie dennoch immer noch liebt, vor allem mit dem Gedanken an die gemeinsamen Träume (Paris). Leonardo DiCaprio ist Bürotrottel und kommt auch sonst nicht sehr gut weg (Affäre, Schlappschwanz, Choleriker). Die Besetzung ist natürlich der ultimative Wink schlechthin. Nunmehr 11 Jahre nach der romantischen Fast-Vereinigung auf der TITANIC offenbart sich hier ein Morast an menschlichen Bündeleien, an ehelichen Automatismen, an Träumen die längst geplatzt sind. DiCaprio - so sehr ich ihn in den letzten Jahren als Schauspieler zu schätzen gelernt habe - passt vorne und hinten nicht. Die Winslet da schon weitaus mehr.
Mendes geht es wie schon in AMERICAN BEAUTY aber auch dezidiert um die Offenlegung eines puritanisch-spießigen Vorortamerikas, um tratschende Nachbarn und verdrängte Ängste einer hysterischen, auf Sicherheit getrimmten Generation (55 spielt der Film, also auch weitaus später als die Zuckerwatten-Romantik der TITANIC). Alle Figuren sehen stets bleich aus, den Frohsinn in die Welt tragend, während es drinnen düster ausschaut. Mendes lässt, anders als im Oscarabräumer 99, alles ungebrochen auf den Zuschauer los. Der Gestus eines Theaterstücks ist stets spürbar, die Schauspieler bestimmen das Tempo, ironische Anfälle finden sich nicht.
Das ist zwar ziemliches Oscar -Theater, aber doch recht gutes. Zu beanstanden gibt es nicht allzu viel, meines Erachtens empfand ich es lediglich als seltsam, wie hier die bereits vorhandenen Kinder praktisch durchgängig ausgespart werden. Ganz so als ob sie auf die Ehe, Familiengestaltung, und -atmosphäre rein gar keinen Einfluss hätten. Sollte das bewusst angelegt worden sein, verstehe ich es nicht. Ich vermute aber eher, das hier einige Szenen der Schere zum Opfer fielen und darunter vor allem die Ausgestaltung der Eltern-Kinder-Szenerie zu leiden hatte.
Kleine inhaltliche Patzer also, ansonsten aber lässt sich REVOLUTIONARY ROAD als Gegenstück bzw viel eher ungleicher Bruder von VICKY CRISTINA BARCELONA sehen. Einer, bei denen die Gedanken nicht ganz so wirbelig sprießen und schießen wie im Allen. Einer der die ganze Chose um Liebe, Leben, Leiden etwas tragischer nimmt. Einer, der dadurch vielleicht auch noch ein wenig mehr mitnimmt. Eigentlich tat dies aber das Sommerlustspiel trotz seiner humorigen Ansprüche ähnlich brachial. Das ist durchaus eine ziemliche Leistung.
Donnerstag, 18. Dezember 2008
Mittwoch, 17. Dezember 2008
Wolfsburg
Christian Petzold, Deutschland 2003
Bevor ein Regisseur die ruhmreichen Hallen des Wettbewerbs eines Arthouse-Festivals betreten darf, muss er sich seine Sporen verdienen. Mitunter auch gerne mal mit großen Filmen in Nebensektionen, einfach weil der "Name noch nicht groß genug ist". Christian Petzold - inzwischen mit Yella bei der Berlinale und Jerichow in Venedig reüssiert - hatte 2003 das Pech mit seinem überragenden WOLFSBURG ausgerechnet im seit Jahren darbenden Berlin in die Panorama-Sektion verschoben zu werden.
Bevor also Petzold in den Folgejahren in den mystisch-matten Osten weiterwandert verwandelt er die Autostadt in einen verklärten Ort. Viele Grundmotive sind schon hier - ein Autounfall als Katalysator der Geschichte, vorbelastete Beziehungen oder die Ruhe im Sturm, die Petzolds Filme seit jeher auszeichnen. Und doch das wichtigste Motiv der Folgefilme fehlt noch: Das Geld.
In WOLFSBURG fährt Yuppie Philipp das Kind von Arbeiterin Laura tot (Benno Fürmann und Nina Hoss - beide sehen wir auch in JERICHOW gemeinsam Seite an Seite). Philipp kommt mit seinem schlechten Gewissen nur mäßig zurecht und nähert sich Laura behutsam an, rettet sie gar vorm Selbstmord und verschafft ihr am Ende die nötige Karthasis.
Neben dem letzten Moment, dem die tiefe Tragik eines Shakespearschen Dramas innewohnt, der wie nach einer durchgemachten Nacht als Film nebenher läuft, der sich zuspitzte und nun implodiert - neben diesem brutalen Moment der Erkenntnis, der Rache und des Sühne, macht Petzold in seinem Film vor allem Eines: Er stellt vollkommen nüchtern und präzise zentrale Lebenseinbrüche - der Tod, der Verlust, die Trauer, die Schuld - alltäglichen Banalitäten gegenüber. Der Film überbetont die unterkühlte Beziehung zwischen Philipp und seiner Frau, es gibt Streitereien, einmal gar versteht sie sein Geständnis der Tat vollkommen falsch und denkt, er habe sie schlichtweg betrogen. Die Kommunikation ist am Ende, die Gefühle ausgestorben. Und dort drüben, am anderen Tischende sitzt jemand, der gerade alles verloren hat, der alle bösartigen Gefühlszustände durchleben muss, und mit dem Gedanken spielt, sich das Leben zu nehmen.
Wenn jedoch kein Geldmangel, -gier oder -not thematisiert wird, dann aber doch die Arbeitswelt. Die macht Laura in Form ihres eifersüchtigen Arschlochs von Chef nämlich auch zu schaffen, während Philipp Autos verkauft und sich von seinem Schwager täglich anhören muss, dass er doch bitte nicht die Schwester verletzen möge, sonst setzt's was. "Eine Kleinfamilie braucht Sicherheit im Wagen, also erzähl denen nicht was von Pferdestärken!"
Sicherheit und Halt hat hier keiner mehr, das Unumkehrbare ist geschehen und nun labt sich der Film am Kloß der ihm im Hals steckt. In die pure Depression getrieben, fühlt man sich wie übernächtigt und kann den karthatischen Moment nicht einmal mehr genießen. Das Motiv heißt hier Zerstörung. Ein wesentlicher Bestandteil menschlichen Lebens.
Bevor ein Regisseur die ruhmreichen Hallen des Wettbewerbs eines Arthouse-Festivals betreten darf, muss er sich seine Sporen verdienen. Mitunter auch gerne mal mit großen Filmen in Nebensektionen, einfach weil der "Name noch nicht groß genug ist". Christian Petzold - inzwischen mit Yella bei der Berlinale und Jerichow in Venedig reüssiert - hatte 2003 das Pech mit seinem überragenden WOLFSBURG ausgerechnet im seit Jahren darbenden Berlin in die Panorama-Sektion verschoben zu werden.
Bevor also Petzold in den Folgejahren in den mystisch-matten Osten weiterwandert verwandelt er die Autostadt in einen verklärten Ort. Viele Grundmotive sind schon hier - ein Autounfall als Katalysator der Geschichte, vorbelastete Beziehungen oder die Ruhe im Sturm, die Petzolds Filme seit jeher auszeichnen. Und doch das wichtigste Motiv der Folgefilme fehlt noch: Das Geld.
In WOLFSBURG fährt Yuppie Philipp das Kind von Arbeiterin Laura tot (Benno Fürmann und Nina Hoss - beide sehen wir auch in JERICHOW gemeinsam Seite an Seite). Philipp kommt mit seinem schlechten Gewissen nur mäßig zurecht und nähert sich Laura behutsam an, rettet sie gar vorm Selbstmord und verschafft ihr am Ende die nötige Karthasis.
Neben dem letzten Moment, dem die tiefe Tragik eines Shakespearschen Dramas innewohnt, der wie nach einer durchgemachten Nacht als Film nebenher läuft, der sich zuspitzte und nun implodiert - neben diesem brutalen Moment der Erkenntnis, der Rache und des Sühne, macht Petzold in seinem Film vor allem Eines: Er stellt vollkommen nüchtern und präzise zentrale Lebenseinbrüche - der Tod, der Verlust, die Trauer, die Schuld - alltäglichen Banalitäten gegenüber. Der Film überbetont die unterkühlte Beziehung zwischen Philipp und seiner Frau, es gibt Streitereien, einmal gar versteht sie sein Geständnis der Tat vollkommen falsch und denkt, er habe sie schlichtweg betrogen. Die Kommunikation ist am Ende, die Gefühle ausgestorben. Und dort drüben, am anderen Tischende sitzt jemand, der gerade alles verloren hat, der alle bösartigen Gefühlszustände durchleben muss, und mit dem Gedanken spielt, sich das Leben zu nehmen.
Wenn jedoch kein Geldmangel, -gier oder -not thematisiert wird, dann aber doch die Arbeitswelt. Die macht Laura in Form ihres eifersüchtigen Arschlochs von Chef nämlich auch zu schaffen, während Philipp Autos verkauft und sich von seinem Schwager täglich anhören muss, dass er doch bitte nicht die Schwester verletzen möge, sonst setzt's was. "Eine Kleinfamilie braucht Sicherheit im Wagen, also erzähl denen nicht was von Pferdestärken!"
Sicherheit und Halt hat hier keiner mehr, das Unumkehrbare ist geschehen und nun labt sich der Film am Kloß der ihm im Hals steckt. In die pure Depression getrieben, fühlt man sich wie übernächtigt und kann den karthatischen Moment nicht einmal mehr genießen. Das Motiv heißt hier Zerstörung. Ein wesentlicher Bestandteil menschlichen Lebens.
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The Warriors
Walter Hill, USA 1979
New York ist ein Dschungel. Kein Großstadtdschungel im klassischen Sinne, sondern eine Wildnis in einem grimmig-düsteres Alptraummärchen. Die U-Bahn-Schächte und Stahlkonstruktionen ersetzen die Pflanzen, das Graffiti der Straße nimmt sich der urbanen Transportmittel an, die abgefuckten Toiletten dienen als Handlungsorte. Es wird physisch, denn nur mit seinem Körpereinsatz kann man hier überleben.
In Walter Hills 79er Street Clash Reißer THE WARRIORS muss sich eine zu einer Gang zusammen getane, recht wenig homogene Horde Jugendlicher (schwarz, weiß und latino - entscheidend ist nur die Herkunft, nicht die Hautfarbe) einem Spießrutenlauf durch die Stadt New York unterziehen. Alle Gangs sollten geeinigt werden unter einem Führer, so der Ursprungsplan, doch schon in der Ermordung dieses Leaders verbreitet der Film seine Prämisse: Life's a struggle until ya die und jeder muss seinen eigenen Kampf austragen. Die Warriors sollen es gewesen sein, verbreiten tun das klassische Antagonisten, eine Horde homosexuell konnotierter YMCA-Hedonisten, die ihren Gewaltakt mit reinem Spaßgewinn rechtfertigen. Bevor sich unsere kühnen Recken jedoch diese Würstchen vornehmen können müssen sie der Reinfolge nach an Skins, Muttersöhnchen, Clockwork Orange Baseball Monstern, Kampflesben, Stadthillbillys und immer wieder an zuschlagenden Cops vorbei, die eine Art weitere Gang bilden. Jede Gang hat ein Territorium, alles abgeschnittene autarke Bereiche, Coney Island ist der Zielpunkt der Warriors, die Cops - so könnte man sagen - versuchen sich ganz New York unter den Nagel zu reißen.
Hill inszeniert seinen Kurzweiler ultraschnell, schön dreckig und on Point. Der treibende Score von Barry de Vorzon - und nicht nur der - erinnert eklatant an John Carpenters 3 Jahre zuvor erschienenes Straßenkampf-Meisterwerk Assault on Precinct 13, nur das diesmal die Guten eine Jugendgang ist, und die Cops nur eine weitere gesichtslose Masse an böswilligen Stolpersteinen darstellen. Wie die Frauen in dem Werk einzuordnen sind, wäre eine andere spannende Frage. Der Anführer der Warriors "händelt" eine auf dem Weg eingesammelte Latina - weist sie ab, kommt ihr näher. Eigentlich ist sie eine Schlampe, aber eine toughe. Das Gesellschaftmodell der heiligen Familie passt ihr nicht und sie nimmt sich was sie will. Der Mini-Antagonist in den eigenen Reihen wiederum wird beim Versuch der Vergewaltigung festgenommen - sein Opfer war ein weiblicher Zivilbulle. Die Lesbinnen, denen drei der Crew in die Fänge gehen, werden allerdings dann doch als bissige Kampfbitches eingeführt und schüren die Kastrationsangst. Überhaupt bleiben Frauen hier zumeist aushandelbares Objekt. Zwischen Mysogenie und starkem Frauenbild liegen manchmal nur Minuten.
THE WARRIORS scheint wie ein Jump'n'Run Spiel auszusehen, ist in seiner Konzentration auf Bewegung, Musik und Körper geradezu stilbildend und simpel zugleich. Wie ein bloßes Abfertigen von Plot Points sieht der Film zu keiner Zeit aus. Jede Konstruktion beinhaltet einen wichtigen weiteren Schritt, einen weiteren Initiationsritus - ob es die einfach zu besiegenden und leicht zu manipulierenden Muttersöhnchen der Orphans, dann die unmenschlich-monströs anmutenden Baseball Furys oder das unheimliche und sirenenhafte andere Geschlecht, die Lizzies (set an e for an i) sind - all die Wegpfeiler im Leben eines Jungen müssen genommen werden um am Ende bei Sonnenaufgang am Strand von Coney Island stehen und endlich frei atmen zu können. Heimaterde
New York ist ein Dschungel. Kein Großstadtdschungel im klassischen Sinne, sondern eine Wildnis in einem grimmig-düsteres Alptraummärchen. Die U-Bahn-Schächte und Stahlkonstruktionen ersetzen die Pflanzen, das Graffiti der Straße nimmt sich der urbanen Transportmittel an, die abgefuckten Toiletten dienen als Handlungsorte. Es wird physisch, denn nur mit seinem Körpereinsatz kann man hier überleben.
In Walter Hills 79er Street Clash Reißer THE WARRIORS muss sich eine zu einer Gang zusammen getane, recht wenig homogene Horde Jugendlicher (schwarz, weiß und latino - entscheidend ist nur die Herkunft, nicht die Hautfarbe) einem Spießrutenlauf durch die Stadt New York unterziehen. Alle Gangs sollten geeinigt werden unter einem Führer, so der Ursprungsplan, doch schon in der Ermordung dieses Leaders verbreitet der Film seine Prämisse: Life's a struggle until ya die und jeder muss seinen eigenen Kampf austragen. Die Warriors sollen es gewesen sein, verbreiten tun das klassische Antagonisten, eine Horde homosexuell konnotierter YMCA-Hedonisten, die ihren Gewaltakt mit reinem Spaßgewinn rechtfertigen. Bevor sich unsere kühnen Recken jedoch diese Würstchen vornehmen können müssen sie der Reinfolge nach an Skins, Muttersöhnchen, Clockwork Orange Baseball Monstern, Kampflesben, Stadthillbillys und immer wieder an zuschlagenden Cops vorbei, die eine Art weitere Gang bilden. Jede Gang hat ein Territorium, alles abgeschnittene autarke Bereiche, Coney Island ist der Zielpunkt der Warriors, die Cops - so könnte man sagen - versuchen sich ganz New York unter den Nagel zu reißen.
Hill inszeniert seinen Kurzweiler ultraschnell, schön dreckig und on Point. Der treibende Score von Barry de Vorzon - und nicht nur der - erinnert eklatant an John Carpenters 3 Jahre zuvor erschienenes Straßenkampf-Meisterwerk Assault on Precinct 13, nur das diesmal die Guten eine Jugendgang ist, und die Cops nur eine weitere gesichtslose Masse an böswilligen Stolpersteinen darstellen. Wie die Frauen in dem Werk einzuordnen sind, wäre eine andere spannende Frage. Der Anführer der Warriors "händelt" eine auf dem Weg eingesammelte Latina - weist sie ab, kommt ihr näher. Eigentlich ist sie eine Schlampe, aber eine toughe. Das Gesellschaftmodell der heiligen Familie passt ihr nicht und sie nimmt sich was sie will. Der Mini-Antagonist in den eigenen Reihen wiederum wird beim Versuch der Vergewaltigung festgenommen - sein Opfer war ein weiblicher Zivilbulle. Die Lesbinnen, denen drei der Crew in die Fänge gehen, werden allerdings dann doch als bissige Kampfbitches eingeführt und schüren die Kastrationsangst. Überhaupt bleiben Frauen hier zumeist aushandelbares Objekt. Zwischen Mysogenie und starkem Frauenbild liegen manchmal nur Minuten.
THE WARRIORS scheint wie ein Jump'n'Run Spiel auszusehen, ist in seiner Konzentration auf Bewegung, Musik und Körper geradezu stilbildend und simpel zugleich. Wie ein bloßes Abfertigen von Plot Points sieht der Film zu keiner Zeit aus. Jede Konstruktion beinhaltet einen wichtigen weiteren Schritt, einen weiteren Initiationsritus - ob es die einfach zu besiegenden und leicht zu manipulierenden Muttersöhnchen der Orphans, dann die unmenschlich-monströs anmutenden Baseball Furys oder das unheimliche und sirenenhafte andere Geschlecht, die Lizzies (set an e for an i) sind - all die Wegpfeiler im Leben eines Jungen müssen genommen werden um am Ende bei Sonnenaufgang am Strand von Coney Island stehen und endlich frei atmen zu können. Heimaterde
Freitag, 12. Dezember 2008
Waltz with Bashir
Ari Folman, Israel/Deutschland/Frankreich/USA 2008
Was ist Vorgabe, was ist Nachinterpretation? Was ist Rekonstruktion, was ist filmische Konstruiertheit? Bei keinem Film war das dieses Jahr so schwer auseinander zu halten wie bei WALTZ WITH BASHIR. Die Prämisse ist simpel: Ein israelischer Regisseur macht sich auf die Suche nach seiner Erinnerung an die Teilnahme im Libanon-Krieg 82. Er befragt Freunde, rekonstruiert ihre Geschichten per Animation, einerseits um Distanz für die Protagonisten, andererseits auch für die Zuschauer zu schaffen. Alles wird wiedergegeben. Auch Träume oder von Psychologen erzählte Verhaltensmuster und Geschichten.
Das Paradoxon am Film ist nun, inwiefern diese "Tatsachenberichte", diese subjektiven Dokumentationen echter Personen sich abgrenzen lassen zum Gestus und Habitus des Films. Denn WALTZ WITH BASHIR ist geschickt berechnet. Er zieht uns schon frühzeitig hinein in einen depressiven Sog, lässt uns Angstzustände und alptraumhafte Kurzepisoden durchleben. Viel Musik (v.a. von Max Richter) dient der Erhöhung der düsteren Anspannung. Schnell wird klar, dass WALTZ keinerlei wertfreie Dokumentation über die "Wiedererlangung einer Erinnerung" ist, sondern eine trüb-subjektive Färbung als Grundelement in seiner Zusammensetzung enthält. Noch genauer genommen: WALTZ spielt sehr bewusst mit seiner nach dem Muster der An- und Entspannung gesetzten Taktung von nüchternen Erzählungen und Stimmungsbildern.
Diese für den Film nur allzu effektive Strukturierung wird dann problematisch, wenn man Ari Folmans Erzählung für bare Münze nimmt. Nach den Strukturen des Films "entdeckt" Folman seine Erinnerung nach und nach. Nur so entsteht eine Dramaturgie, die den Zuschauer zum Mitentdecker macht, nur so ist eine emotionale Zuspitzung möglich, die am Ende - logischerweise - zu den "echten" Nachrichtenbildern führen muss, und damit den Endpunkt der Erinnerungswiederfindung, sowie den Endpunkt der tragischen Erzählung finden kann. Es sind die gleichen Nachrichtenbilder, die objektiv längst vorgelegen haben, lange vor der Planung des Films.
Als Platzhalter für die Entdeckung, die Folman nicht von alleine machen konnte, hält übrigens ein israelischer Reporter her, der tatsächlich als ein den Kugelhagel tapfer durchwandernder Heroe eingeführt wird. Eine der vielen pathetischen Szenen, die manchem zynisch aufgestoßen sind. Diverse Kriegsfolklore (saubererweise immer mit negativem Einschlag) werden angestimmt, es wird Waltzer auf dem Parkett des Todes getanzt.
Aber all das macht Folmans Film eigentlich auch nur so gut. Er ist waghalsig, kritisch, lässt nichts aus zugunsten einer einwandfreien Darstellung. WALTZ WITH BASHIR schafft es sich einer politischen Tragödie riesigen Ausmaßes mit der einzig adäquaten Methode zu nähern - mit dem subjektiven Blick. Der Film steckt voller Nostalgie, voller Zeitkolorit, er erschafft empathische Bilder, die trotz ihres überschwänglichen Pathos äußerst ehrlich wirken. Überhaupt ist diese grobkantige Animation schon deshalb ein voller Zugewinn weil sie Bilder erschafft, die hängen bleiben, und davon nicht wenige. Keine Szene ist hier zuviel, jede Emotionssteuerung funktioniert. WALTZ ist ein Film, der einen hineinzieht und am Ende zielgerichtet erschüttert. Mag sich der Eine oder Andere vorgeführt vorkommen wegen falscher Prämissen oder erzwungener Strukturen - WALTZ ist ein Antikriegsfilm der neuen Wege, oder - um am Ende nochmal platt zu werden - die Fortführung des in den letzten Jahren fast eingeschlafenen Antikriegsfilms mit anderen Mitteln.
Was ist Vorgabe, was ist Nachinterpretation? Was ist Rekonstruktion, was ist filmische Konstruiertheit? Bei keinem Film war das dieses Jahr so schwer auseinander zu halten wie bei WALTZ WITH BASHIR. Die Prämisse ist simpel: Ein israelischer Regisseur macht sich auf die Suche nach seiner Erinnerung an die Teilnahme im Libanon-Krieg 82. Er befragt Freunde, rekonstruiert ihre Geschichten per Animation, einerseits um Distanz für die Protagonisten, andererseits auch für die Zuschauer zu schaffen. Alles wird wiedergegeben. Auch Träume oder von Psychologen erzählte Verhaltensmuster und Geschichten.
Das Paradoxon am Film ist nun, inwiefern diese "Tatsachenberichte", diese subjektiven Dokumentationen echter Personen sich abgrenzen lassen zum Gestus und Habitus des Films. Denn WALTZ WITH BASHIR ist geschickt berechnet. Er zieht uns schon frühzeitig hinein in einen depressiven Sog, lässt uns Angstzustände und alptraumhafte Kurzepisoden durchleben. Viel Musik (v.a. von Max Richter) dient der Erhöhung der düsteren Anspannung. Schnell wird klar, dass WALTZ keinerlei wertfreie Dokumentation über die "Wiedererlangung einer Erinnerung" ist, sondern eine trüb-subjektive Färbung als Grundelement in seiner Zusammensetzung enthält. Noch genauer genommen: WALTZ spielt sehr bewusst mit seiner nach dem Muster der An- und Entspannung gesetzten Taktung von nüchternen Erzählungen und Stimmungsbildern.
Diese für den Film nur allzu effektive Strukturierung wird dann problematisch, wenn man Ari Folmans Erzählung für bare Münze nimmt. Nach den Strukturen des Films "entdeckt" Folman seine Erinnerung nach und nach. Nur so entsteht eine Dramaturgie, die den Zuschauer zum Mitentdecker macht, nur so ist eine emotionale Zuspitzung möglich, die am Ende - logischerweise - zu den "echten" Nachrichtenbildern führen muss, und damit den Endpunkt der Erinnerungswiederfindung, sowie den Endpunkt der tragischen Erzählung finden kann. Es sind die gleichen Nachrichtenbilder, die objektiv längst vorgelegen haben, lange vor der Planung des Films.
Als Platzhalter für die Entdeckung, die Folman nicht von alleine machen konnte, hält übrigens ein israelischer Reporter her, der tatsächlich als ein den Kugelhagel tapfer durchwandernder Heroe eingeführt wird. Eine der vielen pathetischen Szenen, die manchem zynisch aufgestoßen sind. Diverse Kriegsfolklore (saubererweise immer mit negativem Einschlag) werden angestimmt, es wird Waltzer auf dem Parkett des Todes getanzt.
Aber all das macht Folmans Film eigentlich auch nur so gut. Er ist waghalsig, kritisch, lässt nichts aus zugunsten einer einwandfreien Darstellung. WALTZ WITH BASHIR schafft es sich einer politischen Tragödie riesigen Ausmaßes mit der einzig adäquaten Methode zu nähern - mit dem subjektiven Blick. Der Film steckt voller Nostalgie, voller Zeitkolorit, er erschafft empathische Bilder, die trotz ihres überschwänglichen Pathos äußerst ehrlich wirken. Überhaupt ist diese grobkantige Animation schon deshalb ein voller Zugewinn weil sie Bilder erschafft, die hängen bleiben, und davon nicht wenige. Keine Szene ist hier zuviel, jede Emotionssteuerung funktioniert. WALTZ ist ein Film, der einen hineinzieht und am Ende zielgerichtet erschüttert. Mag sich der Eine oder Andere vorgeführt vorkommen wegen falscher Prämissen oder erzwungener Strukturen - WALTZ ist ein Antikriegsfilm der neuen Wege, oder - um am Ende nochmal platt zu werden - die Fortführung des in den letzten Jahren fast eingeschlafenen Antikriegsfilms mit anderen Mitteln.
Montag, 24. November 2008
The Fall
Tarsem Singh, Indien/Großbritannien/USA 2006
In all der Simplizität der Erzählung, in all dem sehr einfachen und offenen Umgang mit dem Rezipienten bleibt es mir doch fast unergründlich - wie schafft Tarsem diese Bilderproduktion?
Manch einer will Film ja gerne auf die Bilderwelten reduzieren. Den Moment des a priori. Auch gerne ein Blick durch Kinderaugen. Aber waren es früher die Bilder, die uns vornehmlich bewegten, oder sind sie es nur, die "im Kopf hängen blieben"? Waren es nicht vielmehr Stereotype, Konturen, Erzählstränge u.Ä. die maßgeblichen Einfluss hatten? Die Frage mag vielleicht jeder auch für sich anders beantworten.
Tarsem Singh nun kann man eine Bilderproduktion rein für das kindliche Auge vorwerfen oder nicht. Ankommen tut sie jedenfalls auch beim Erwachsenen. Er schoss die surrealsten Bilder an den abgelegensten, unrealsten Orten in 18 verschiedenen Ländern und befindet sich ohne auch nur einmal künstlich oder unbelebt zu werden ad hoc in den Sphären eines Märchens. Und dessen Struktur ist bei weitem nicht so simpel wie sie von den Kritikern geredet wurde.
Ein osteuropäisches Mädchen lauscht gespannt den Worten eines verunglückten Stuntmans in einem Hospital im Los Angeles der 20er Jahre. Er erzählt ihr eine Geschichte von 5 Männern verschiedenster Herkunft und Coleur, die sich aus unterschiedlichsten Gründen an einem Gouverneur rächen wollen. Als das Mädchen selbst Einfluss auf die Erzählung nimmt, vermischen sich ihre Eindrücke aus dem täglichen Leben im Hospital und der Fiktion der Geschichte zusehends...
Was ist nun THE FALL außer einer Bilderexplosion noch? Ein Film über die Frage nach Autor und Rezipient. Ein sehr simples, emotionales Werk über die Opposition von Lebensoptimismus (Mädchen) und -pessimismus (Mann). Ein sehr einfaches Märchen, narrativ gar nicht so minder komplex zusammenerzählt. Zuweilen auch elegisches Kino der Flächen, Weiten und Farben.
Interessant und fast ein wenig unverständlich bleibt in diesem Zusammenhang die Auswertung des Films. THE FALL lief nicht etwa im großen Stil auf Festivals oder bekam einen mustergültig beworbenen Kinostart. Sein größter Erfolg blieb gerade einmal der Gewinn des kristallinen Bären der Kindersektion in Berlin sowie den Hauptpreis beim Nischenfestival des fantastischen Films in Sitges. Nun, 2 Jahre nach Fertigstellung der Produktion drängt er vollkommen verspätet auch in die deutschen Kinos und scheint an einem DVD-only Release nur knapp vorbei geschrammt zu sein.
Erstaunlich, dass die Erwachsenen mit diesem offensichtlich als Kinder- oder Genrefilm abgestempelten Werk nicht unzugehen wissen. Dabei ist die Bilderkonzentration des Filmes dieses mysteriösen Inders, der vorher vor allem Werbefilmer war, in Zeiten der Vollemotionalisierung in allen erdenklichen Sparten der audiovisuellen Verköstigung eine willkommene ehrliche Abwechslung. In einer Art surrealen Naivität kann man sich hier in eine Welt fallen lassen, die tatsächlich das Momentum des Eskapismus, einer wahrhaftigen Welt, die Singh mit seiner Kamera gefunden hat, auslebt. Wenn Kino vor allem auch Bilderproduktion, -verarbeitung und -genuss ist, dann wäre THE FALL das Meisterwerk. Und auch ohne solcherlei Bohei ist er immer noch eine verdammt beeindruckende Gestalt.
In all der Simplizität der Erzählung, in all dem sehr einfachen und offenen Umgang mit dem Rezipienten bleibt es mir doch fast unergründlich - wie schafft Tarsem diese Bilderproduktion?
Manch einer will Film ja gerne auf die Bilderwelten reduzieren. Den Moment des a priori. Auch gerne ein Blick durch Kinderaugen. Aber waren es früher die Bilder, die uns vornehmlich bewegten, oder sind sie es nur, die "im Kopf hängen blieben"? Waren es nicht vielmehr Stereotype, Konturen, Erzählstränge u.Ä. die maßgeblichen Einfluss hatten? Die Frage mag vielleicht jeder auch für sich anders beantworten.
Tarsem Singh nun kann man eine Bilderproduktion rein für das kindliche Auge vorwerfen oder nicht. Ankommen tut sie jedenfalls auch beim Erwachsenen. Er schoss die surrealsten Bilder an den abgelegensten, unrealsten Orten in 18 verschiedenen Ländern und befindet sich ohne auch nur einmal künstlich oder unbelebt zu werden ad hoc in den Sphären eines Märchens. Und dessen Struktur ist bei weitem nicht so simpel wie sie von den Kritikern geredet wurde.
Ein osteuropäisches Mädchen lauscht gespannt den Worten eines verunglückten Stuntmans in einem Hospital im Los Angeles der 20er Jahre. Er erzählt ihr eine Geschichte von 5 Männern verschiedenster Herkunft und Coleur, die sich aus unterschiedlichsten Gründen an einem Gouverneur rächen wollen. Als das Mädchen selbst Einfluss auf die Erzählung nimmt, vermischen sich ihre Eindrücke aus dem täglichen Leben im Hospital und der Fiktion der Geschichte zusehends...
Was ist nun THE FALL außer einer Bilderexplosion noch? Ein Film über die Frage nach Autor und Rezipient. Ein sehr simples, emotionales Werk über die Opposition von Lebensoptimismus (Mädchen) und -pessimismus (Mann). Ein sehr einfaches Märchen, narrativ gar nicht so minder komplex zusammenerzählt. Zuweilen auch elegisches Kino der Flächen, Weiten und Farben.
Interessant und fast ein wenig unverständlich bleibt in diesem Zusammenhang die Auswertung des Films. THE FALL lief nicht etwa im großen Stil auf Festivals oder bekam einen mustergültig beworbenen Kinostart. Sein größter Erfolg blieb gerade einmal der Gewinn des kristallinen Bären der Kindersektion in Berlin sowie den Hauptpreis beim Nischenfestival des fantastischen Films in Sitges. Nun, 2 Jahre nach Fertigstellung der Produktion drängt er vollkommen verspätet auch in die deutschen Kinos und scheint an einem DVD-only Release nur knapp vorbei geschrammt zu sein.
Erstaunlich, dass die Erwachsenen mit diesem offensichtlich als Kinder- oder Genrefilm abgestempelten Werk nicht unzugehen wissen. Dabei ist die Bilderkonzentration des Filmes dieses mysteriösen Inders, der vorher vor allem Werbefilmer war, in Zeiten der Vollemotionalisierung in allen erdenklichen Sparten der audiovisuellen Verköstigung eine willkommene ehrliche Abwechslung. In einer Art surrealen Naivität kann man sich hier in eine Welt fallen lassen, die tatsächlich das Momentum des Eskapismus, einer wahrhaftigen Welt, die Singh mit seiner Kamera gefunden hat, auslebt. Wenn Kino vor allem auch Bilderproduktion, -verarbeitung und -genuss ist, dann wäre THE FALL das Meisterwerk. Und auch ohne solcherlei Bohei ist er immer noch eine verdammt beeindruckende Gestalt.
Samstag, 22. November 2008
Jerichow
Christian Petzold, Deutschland 2008
Die herbst-winterliche Stimmung, die verträumten Landschaften eines leeren Ostdeutschlands, der theatralische Minimalismus, das Noir-hafte Ambiente, Geld und Materialismus als begierliche Faktoren und Katalysatoren der Erzählung, kaputte Seelen, verletzte Beziehungsgefüge, eine Frau und zwei Männer, das leise Rauschen in den Baumwipfeln, die pasteurisierte Tragik.
Nein, ich spreche nicht von YELLA, wenngleich die Begriffssammlung hier ebenso gut passen würde. Die Rede ist von Christian Petzold neuem Film JERICHOW.
Im Niemandsland (und doch geografisch genau gefasst) wird die Geschichte des blanken jungen Thomas (Benno Fürmann) erzählt, dessen Mutter gestorben ist und er nun ihr Haus im besagten Ort bewohnt. Schulden hat er, Arbeit braucht er. Dank der Hilfe und tatkräftigem Einsatz bei Nachbar Ali (Hilmi Sözer) bekommt er einen Job als Fahrer für dessen Gastro-Logistik-Ich AG. Der depressive und alkoholkranke Ali hat auch eine hübsche Frau (Nina Hoss) und so nimmt die Geschichte den tragischen Lauf, der sich ach so hunderfach im Kino bereits abspielte.
Petzold bleibt sich in vielen Aspekten gerade im direkten Abgleich zum Vorgänger treu. Er konstruiert in einem streng-formalen Manierismus eine Geschichte, die so abstrus erscheint, dass die Humanista tatsächlich abstrahiert werden müssen. Funktionieren tut dies wie schon bei YELLA erstaunlich gut. Die hypnotisierende Sog-Wirkung in Petzolds Filmen speist sich aus diesen so unterschiedlichen Fronten. Hier lässt sich ein künstlerisches Konzept erkennen, welches auf Intuition setzt und sich fallen lässt ins Abenteuer Film.
Petzolds Kopfgeburten besitzen seit jeher die Nebenwirkung einer sich Bahn brechenden intellektuellen Gespreiztheit, die nur allzu gern einen Schwermut transportiert, der in seiner Vorrangigkeit einen moderigen, unangenehmen, typisch deutschen Geruch verbreitet. Das ist natürlich nur eine Beobachtung nebenher, schwieriger wiegt in diesem Fall vielleicht die bereits angedeutete, zu leicht zu ziehende Linie zum Vorgänger. Damit ist zwar klar: Der Film wird was. Aber auch: Weiterentwicklung findet sich hier nicht.
Irgendwo aber auch schnurzpiepegal. Petzold legt natürlich trotz der peniblen Mokierungen den mit Abstand besten Film des Jahres aus Deutschland vor. Sein parabelhafter Stil passt nach wie vor zur Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten. Geld, Gier und Gewissen sind alte Motiv-Tugenden des Films und wirken in dem elegischen Stil Petzolds zeitlos. Zudem gelingt es dem Film trotz der Gestelztheiten stets überzeugende, tragische Figuren abzubilden, sei es in der geschlagenen, wortkargen, verlorenen Männlichkeit Fürmanns, der geheimnisvoll verlorenen Schönheit Hoss oder der polternden, alternden Verlorenheit Sözers. Petzolds Filme sind letztendlich immer ein eigenes Universum der ausstaffierten Miseren, der kühlen Desaster, des bezaubernden Zerfalls.
Die herbst-winterliche Stimmung, die verträumten Landschaften eines leeren Ostdeutschlands, der theatralische Minimalismus, das Noir-hafte Ambiente, Geld und Materialismus als begierliche Faktoren und Katalysatoren der Erzählung, kaputte Seelen, verletzte Beziehungsgefüge, eine Frau und zwei Männer, das leise Rauschen in den Baumwipfeln, die pasteurisierte Tragik.
Nein, ich spreche nicht von YELLA, wenngleich die Begriffssammlung hier ebenso gut passen würde. Die Rede ist von Christian Petzold neuem Film JERICHOW.
Im Niemandsland (und doch geografisch genau gefasst) wird die Geschichte des blanken jungen Thomas (Benno Fürmann) erzählt, dessen Mutter gestorben ist und er nun ihr Haus im besagten Ort bewohnt. Schulden hat er, Arbeit braucht er. Dank der Hilfe und tatkräftigem Einsatz bei Nachbar Ali (Hilmi Sözer) bekommt er einen Job als Fahrer für dessen Gastro-Logistik-Ich AG. Der depressive und alkoholkranke Ali hat auch eine hübsche Frau (Nina Hoss) und so nimmt die Geschichte den tragischen Lauf, der sich ach so hunderfach im Kino bereits abspielte.
Petzold bleibt sich in vielen Aspekten gerade im direkten Abgleich zum Vorgänger treu. Er konstruiert in einem streng-formalen Manierismus eine Geschichte, die so abstrus erscheint, dass die Humanista tatsächlich abstrahiert werden müssen. Funktionieren tut dies wie schon bei YELLA erstaunlich gut. Die hypnotisierende Sog-Wirkung in Petzolds Filmen speist sich aus diesen so unterschiedlichen Fronten. Hier lässt sich ein künstlerisches Konzept erkennen, welches auf Intuition setzt und sich fallen lässt ins Abenteuer Film.
Petzolds Kopfgeburten besitzen seit jeher die Nebenwirkung einer sich Bahn brechenden intellektuellen Gespreiztheit, die nur allzu gern einen Schwermut transportiert, der in seiner Vorrangigkeit einen moderigen, unangenehmen, typisch deutschen Geruch verbreitet. Das ist natürlich nur eine Beobachtung nebenher, schwieriger wiegt in diesem Fall vielleicht die bereits angedeutete, zu leicht zu ziehende Linie zum Vorgänger. Damit ist zwar klar: Der Film wird was. Aber auch: Weiterentwicklung findet sich hier nicht.
Irgendwo aber auch schnurzpiepegal. Petzold legt natürlich trotz der peniblen Mokierungen den mit Abstand besten Film des Jahres aus Deutschland vor. Sein parabelhafter Stil passt nach wie vor zur Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten. Geld, Gier und Gewissen sind alte Motiv-Tugenden des Films und wirken in dem elegischen Stil Petzolds zeitlos. Zudem gelingt es dem Film trotz der Gestelztheiten stets überzeugende, tragische Figuren abzubilden, sei es in der geschlagenen, wortkargen, verlorenen Männlichkeit Fürmanns, der geheimnisvoll verlorenen Schönheit Hoss oder der polternden, alternden Verlorenheit Sözers. Petzolds Filme sind letztendlich immer ein eigenes Universum der ausstaffierten Miseren, der kühlen Desaster, des bezaubernden Zerfalls.
Freitag, 21. November 2008
Redacted vs Black Hawk Down vs Body of Lies
Irgendwie passt der letzt genannte Titel auch gut zum vorangestellten Film. REDACTED von Brian De Palma gewann den silbernen Regie-Löwen 2007 in Venedig und stellt einen ersten Versuch dar, den Irakkrieg ins Bild zu setzen. Ganz dem Zeitgeist verschrieben wird es formal wild: Per Digicam, Youtube-Clips, Überwachungskameras und Blogeinträgen erzählt De Palma die Geschichte eines US-Corps, der gelangweilt einen Stützpunkt bewacht. Ein Soldat wird hochgesprengt, ein anderer geköpft. Den Hauptstrang aber stellt die Vergewaltigung und Ermordung einer 15-jährigen dar, deren Familie ebenfalls ausgelöscht wird durch 2 Redneck-Soldaten. Hier bekommt der Film seinen Drive und gleichzeitig seine Problematik. Ohne diese eklatante Zuspitzung eines Kriegsverbrechens würde REDACTED tatsächlich nur müde dahinpletschern, weil De Palma nichts Neues zu erzählen hat aus dem Alltag der US-Soldaten. Mit dem grausamen Kriegsverbrechen aber fällt der Film hinter eine standardisierte Erzählung zurück, bedient sich ausgelatschter Stereotype und einem moralischen Zeigefinger. Das parallele Spiel von forcierter Authentifizierungsstrategie und klassisch-konventionalisierten Erzählmuster geht nicht auf und verweist in den letzten Bildern (echte Bilder von toten Irakis) sogar auf einen plakativ-banalen und unreflektierten politischen Moral-Blick.
Wenn einem REDACTED aber schon besonders hohl vorkommt, dann schaue man besser nicht Ridley Scotts 2001er BLACK HAWK DOWN. Beleuchtet wird die US Intervention in Somalia 1993. Ein außer Kontrolle geratener Einsatz wird verdichtet zum Jump'n'Run und Hide and Seek Kriegsfilm. Assault on Precinct Mogadischu 93. Mit welcher Dreistigkeit Scott hier gelackte Bilder des Todes neben pathetisches Kriegsgeheul stellt, wie er schamlos sein ausformuliertes Konzept vom "Anderen" auf eine fremde, enthumanisierte Welt anwendet, wie er einen brutalst trivialen Film über Soldatenwerte wie Solidarität und Männlichkeit dreht, das ist schon ein erstaunlicher Tiefpunkt in der Karriere eines Mannes, von dem man ja doch ein wenig mehr Anstand erwarten hat können. Wirken die Stereotype in REDACTED noch wie buberlhafte Pappkameraden, sind sie hier schon schwerwiegender besetzt (allen voran Eric Bana als unhinterfragt mutiger Soldat). Beide Filme propagieren den Anti-Krieg, beide tun es auf so stupide wie ärgerliche Weise.
Dagegen wirkt Scotts neues Stück BODY OF LIES fast noch brav. Ein bisschen akute Terrorangst hier, aktuelle politische Verbändelungen da. Ein tougher Leonardo DiCaprio im Einsatzgebiet, ein rougher Russell Crowe als dezidiert abgebrühter Kopf an der Heimatfront. Ein wildes politisches Intrigenspiel auf breiter Fläche und ein wenig kulturelle Annäherung im Liebesspiel. BODY OF LIES hinterlässt in seiner Verdichtung von allem und jedem ein brandgerodetes Stück Zelluoid. Es kann als unterhaltsamer Quatsch abgetan werden, ein halbwegs politischer Film, der das alte Fazit vom "Niemand ist schuldlos" herauskramt und am Ende immerhin nicht ärgerlich ist. Dass Ridley Scott solch eine Konklusion nach seinen letzten Filmen fast schon gut zu Gesicht steht ist das eigentlich Beschämende.
Wenn einem REDACTED aber schon besonders hohl vorkommt, dann schaue man besser nicht Ridley Scotts 2001er BLACK HAWK DOWN. Beleuchtet wird die US Intervention in Somalia 1993. Ein außer Kontrolle geratener Einsatz wird verdichtet zum Jump'n'Run und Hide and Seek Kriegsfilm. Assault on Precinct Mogadischu 93. Mit welcher Dreistigkeit Scott hier gelackte Bilder des Todes neben pathetisches Kriegsgeheul stellt, wie er schamlos sein ausformuliertes Konzept vom "Anderen" auf eine fremde, enthumanisierte Welt anwendet, wie er einen brutalst trivialen Film über Soldatenwerte wie Solidarität und Männlichkeit dreht, das ist schon ein erstaunlicher Tiefpunkt in der Karriere eines Mannes, von dem man ja doch ein wenig mehr Anstand erwarten hat können. Wirken die Stereotype in REDACTED noch wie buberlhafte Pappkameraden, sind sie hier schon schwerwiegender besetzt (allen voran Eric Bana als unhinterfragt mutiger Soldat). Beide Filme propagieren den Anti-Krieg, beide tun es auf so stupide wie ärgerliche Weise.
Dagegen wirkt Scotts neues Stück BODY OF LIES fast noch brav. Ein bisschen akute Terrorangst hier, aktuelle politische Verbändelungen da. Ein tougher Leonardo DiCaprio im Einsatzgebiet, ein rougher Russell Crowe als dezidiert abgebrühter Kopf an der Heimatfront. Ein wildes politisches Intrigenspiel auf breiter Fläche und ein wenig kulturelle Annäherung im Liebesspiel. BODY OF LIES hinterlässt in seiner Verdichtung von allem und jedem ein brandgerodetes Stück Zelluoid. Es kann als unterhaltsamer Quatsch abgetan werden, ein halbwegs politischer Film, der das alte Fazit vom "Niemand ist schuldlos" herauskramt und am Ende immerhin nicht ärgerlich ist. Dass Ridley Scott solch eine Konklusion nach seinen letzten Filmen fast schon gut zu Gesicht steht ist das eigentlich Beschämende.
Freitag, 7. November 2008
The Wrestler
Darren Aronofsky, USA 2008
Narben und Narkose. Nascar und nasty american white trash. Was haben wir mit dem Kerl dort auf der Leinwand zu tun? Mickey Rourke spielt Randy "The Ram" Robinson, einen all american Wrestler aus den End-80ern, der nun 20 Jahre später im Trailerpark dahinvegetiert. Ich fragte mich schon, wer sowas denn sehen wolle als ich erstmals davon hörte. Klar, Aronofsky ist interessiert am Mythos, der eigenen Kindheitserinnerung, am Tragischen der Geschichte eines alternden Wrestlers (man riskiere mal einen Blick auf youtube oder wikipedia, viele der werten Herren fanden sich zwischen 30 und 45 bereits im Kreise ihrer Urahnen wieder). Klar, einen klasse Film kann man daraus eh machen. Nur das Arthouse-Publikum ist doch spätestens seit The Fountain verschreckt, der Mainstream fällt bei dem Thema eh aus. Also wer soll das gucken?
Zumindest Cinemaniacs bleiben übrig. Und Volk, das in den 80ern und 90ern mit dem Wrestling als Spasspark und Zirkusersatz im Fernsehen aufgewachsen ist. Da ich mich zu beiden Parteien zähle also ein Film für mich. Aber bitte sehr, was frage ich denn hier - Aronofsky hat eh immer Filme für mich gemacht!
Back to the roots sagt der Gassenhauer. Ja, die over the shoulder geschnallte Kamera und das Thema begeben sich wieder in bodenständigere Gefilde. Vor 2 Jahren trieb es Aronofsky noch im Weltall und im Mittelalter, heute im Trailerpark des weißen Abschaums seines Landes. Es sind auch mal wieder schnelle shots dabei, leicht improvisiertes, schlecht ausgeleuchtetes. The Wrestler erinnert hier und da an seinen Erstling Pi.
Und auch thematisch darf man Parallelen erkennen. Oberflächlich war Pi ein Thriller und ist The Wrestler eine Biographie. Beide Filme erzählen aber weitaus mehr, beide Filme bemühen sich ernsthaft um ihre zentralen Figuren. Sie erzählen über Einsamkeit, Entfremdung, Isolierung, vom täglichen Fristen in seiner Kaste, seinem System, was sich beide Protagonisten aufgebaut haben und aus dem sie sich nicht mehr befreien können.
Besonders "herzzerreißend" (Wenders) ist dabei der verständnisvolle, zärtliche Blick Aronofskys. Selten hat die Kamera soviel Mitleid bei gleichzeitigem Respekt für den Protagonisten transportiert. Der Film liebt seine Figur, die es ihm erlaubt zu atmen - und das weiß er.
Schwer einzuschätzen, ob je die Gefahr bestand, dass Rourke irgendwie lächerlich wirken könnte in seiner Performance. Er tut es nicht, und weiß mit Stolz und Anstand seine Rolle des verletzten Einzelkämpfers zu verkörpern. Aprospos Verletzungen und Körper. The Wrestler ist selbstverständlich ein Film der puren Körperlichkeit. Rourkes muskulöses, zerschreddertes Gewebe spielt die Hauptrolle, es geht um Narben, Blut und nochmal Narben jeglicher Coleur. Es schmerzt vielfach hinzusehen, auf vielen Ebenen.
Man nähert sich mit diesen Gedanken auch der Frage, ob das nicht auch jemand Anderes so gut hinbekommen hätte wie Aronofsky und sein Team. Es ist schließlich der erste Film, bei dem er nicht das Drehbuch mitverfasste. Es hätte vielleicht, ja. Und doch tun sich vielerlei Motive und Ideen auf, ohne deren Grundlage dieses Werk nicht zu denken wäre. Vom Einzelmoment der emotionalen Entkopplung und Entfesslung des Protagonisten schrieb ich bereits (Burstyn in Requiem setzt dahingehend immer noch Maßstäbe). Von der harten Darstellung einer schroffen Körperlichkeit, die an die Nieren geht war die Rede. Auch das kennen wir aus allen vorhergehenden Filmen Aronofskys. Der Vergleich mit Pi, richtig. Und das Sounddesign! Clint Mansells entrückter Score. Die soundcollagenhafte Montage in Momenten der inneren Anspannung (sowohl des Protagonisten als auch des Films) sind auffällig. Ansonsten viel Zurücknahme und Dezenz.
Wie üblich in großen Werken bleiben trotz der Pietät viele großartige Szenen im Kopf zurück. Rourkes emotionales Geständis gegenüber seiner Tochter vor einem leeren, ausgehöhlten Casino am Strand von Coney Island. Rourkes Weg zur Arbeit als Fleischverkäufer. Rourkes letzer Blick in die leere Tribüne. Und das alles mit ziemlich wenig Pathos versehen.
The Wrestler ist ein fast schlichtes Drama über einen schlichten Typen. Entgegen der üblichen Bio-Pics liebt der Film seine verlorene, verlassene Figur. Er schmäht nicht einmal das Milieu des republikanischen low class Amerikas. Er hat einfach Mitleid und einen Blick fürs tägliche Leid. Am Ende ersäuft sich "The Ram" in seinem letzten, fast chimärenhaften Ruhm. Vor der amerikanischen Flagge torkelt er mit letzter Kraft. Die bändigende Weiblichkeit (Marisa Tomei und Evan Rachel Wood) hat ihn verlassen, weil er's verbockt hat. Er ist wieder allein, in seinem letzten Kampf. Der Ayatollah sein Gegner von vor 20 Jahren und das der Film gerade jetzt herauskommt und diese Parallelen zum politischen Treiben gegen Ende so sichtbar werden ist eigentlich fast gar keine Bemerkung wert.
Irgendwie wirkt The Wrestler trotz allem fast wie im Vorübergehen angefertigt. Aronofsky hat in den 6 Jahren Arbeit an The Fountain eine Menge Zeit verloren, nun zeigt er im 4/4-Takt, was er für Potenzial besitzt. The Wrestler ist noch einmal ein ganz anderer Film als seine drei Vorhergehenden. Und doch wieder, ganz der qualitativen Konstanz verschrieben. Dieses Mal mit dem Blick von der Straße auf die Straße. Ungeschönt, ehrlich, obsessiv. Wie es Kino sein sollte.
Narben und Narkose. Nascar und nasty american white trash. Was haben wir mit dem Kerl dort auf der Leinwand zu tun? Mickey Rourke spielt Randy "The Ram" Robinson, einen all american Wrestler aus den End-80ern, der nun 20 Jahre später im Trailerpark dahinvegetiert. Ich fragte mich schon, wer sowas denn sehen wolle als ich erstmals davon hörte. Klar, Aronofsky ist interessiert am Mythos, der eigenen Kindheitserinnerung, am Tragischen der Geschichte eines alternden Wrestlers (man riskiere mal einen Blick auf youtube oder wikipedia, viele der werten Herren fanden sich zwischen 30 und 45 bereits im Kreise ihrer Urahnen wieder). Klar, einen klasse Film kann man daraus eh machen. Nur das Arthouse-Publikum ist doch spätestens seit The Fountain verschreckt, der Mainstream fällt bei dem Thema eh aus. Also wer soll das gucken?
Zumindest Cinemaniacs bleiben übrig. Und Volk, das in den 80ern und 90ern mit dem Wrestling als Spasspark und Zirkusersatz im Fernsehen aufgewachsen ist. Da ich mich zu beiden Parteien zähle also ein Film für mich. Aber bitte sehr, was frage ich denn hier - Aronofsky hat eh immer Filme für mich gemacht!
Back to the roots sagt der Gassenhauer. Ja, die over the shoulder geschnallte Kamera und das Thema begeben sich wieder in bodenständigere Gefilde. Vor 2 Jahren trieb es Aronofsky noch im Weltall und im Mittelalter, heute im Trailerpark des weißen Abschaums seines Landes. Es sind auch mal wieder schnelle shots dabei, leicht improvisiertes, schlecht ausgeleuchtetes. The Wrestler erinnert hier und da an seinen Erstling Pi.
Und auch thematisch darf man Parallelen erkennen. Oberflächlich war Pi ein Thriller und ist The Wrestler eine Biographie. Beide Filme erzählen aber weitaus mehr, beide Filme bemühen sich ernsthaft um ihre zentralen Figuren. Sie erzählen über Einsamkeit, Entfremdung, Isolierung, vom täglichen Fristen in seiner Kaste, seinem System, was sich beide Protagonisten aufgebaut haben und aus dem sie sich nicht mehr befreien können.
Besonders "herzzerreißend" (Wenders) ist dabei der verständnisvolle, zärtliche Blick Aronofskys. Selten hat die Kamera soviel Mitleid bei gleichzeitigem Respekt für den Protagonisten transportiert. Der Film liebt seine Figur, die es ihm erlaubt zu atmen - und das weiß er.
Schwer einzuschätzen, ob je die Gefahr bestand, dass Rourke irgendwie lächerlich wirken könnte in seiner Performance. Er tut es nicht, und weiß mit Stolz und Anstand seine Rolle des verletzten Einzelkämpfers zu verkörpern. Aprospos Verletzungen und Körper. The Wrestler ist selbstverständlich ein Film der puren Körperlichkeit. Rourkes muskulöses, zerschreddertes Gewebe spielt die Hauptrolle, es geht um Narben, Blut und nochmal Narben jeglicher Coleur. Es schmerzt vielfach hinzusehen, auf vielen Ebenen.
Man nähert sich mit diesen Gedanken auch der Frage, ob das nicht auch jemand Anderes so gut hinbekommen hätte wie Aronofsky und sein Team. Es ist schließlich der erste Film, bei dem er nicht das Drehbuch mitverfasste. Es hätte vielleicht, ja. Und doch tun sich vielerlei Motive und Ideen auf, ohne deren Grundlage dieses Werk nicht zu denken wäre. Vom Einzelmoment der emotionalen Entkopplung und Entfesslung des Protagonisten schrieb ich bereits (Burstyn in Requiem setzt dahingehend immer noch Maßstäbe). Von der harten Darstellung einer schroffen Körperlichkeit, die an die Nieren geht war die Rede. Auch das kennen wir aus allen vorhergehenden Filmen Aronofskys. Der Vergleich mit Pi, richtig. Und das Sounddesign! Clint Mansells entrückter Score. Die soundcollagenhafte Montage in Momenten der inneren Anspannung (sowohl des Protagonisten als auch des Films) sind auffällig. Ansonsten viel Zurücknahme und Dezenz.
Wie üblich in großen Werken bleiben trotz der Pietät viele großartige Szenen im Kopf zurück. Rourkes emotionales Geständis gegenüber seiner Tochter vor einem leeren, ausgehöhlten Casino am Strand von Coney Island. Rourkes Weg zur Arbeit als Fleischverkäufer. Rourkes letzer Blick in die leere Tribüne. Und das alles mit ziemlich wenig Pathos versehen.
The Wrestler ist ein fast schlichtes Drama über einen schlichten Typen. Entgegen der üblichen Bio-Pics liebt der Film seine verlorene, verlassene Figur. Er schmäht nicht einmal das Milieu des republikanischen low class Amerikas. Er hat einfach Mitleid und einen Blick fürs tägliche Leid. Am Ende ersäuft sich "The Ram" in seinem letzten, fast chimärenhaften Ruhm. Vor der amerikanischen Flagge torkelt er mit letzter Kraft. Die bändigende Weiblichkeit (Marisa Tomei und Evan Rachel Wood) hat ihn verlassen, weil er's verbockt hat. Er ist wieder allein, in seinem letzten Kampf. Der Ayatollah sein Gegner von vor 20 Jahren und das der Film gerade jetzt herauskommt und diese Parallelen zum politischen Treiben gegen Ende so sichtbar werden ist eigentlich fast gar keine Bemerkung wert.
Irgendwie wirkt The Wrestler trotz allem fast wie im Vorübergehen angefertigt. Aronofsky hat in den 6 Jahren Arbeit an The Fountain eine Menge Zeit verloren, nun zeigt er im 4/4-Takt, was er für Potenzial besitzt. The Wrestler ist noch einmal ein ganz anderer Film als seine drei Vorhergehenden. Und doch wieder, ganz der qualitativen Konstanz verschrieben. Dieses Mal mit dem Blick von der Straße auf die Straße. Ungeschönt, ehrlich, obsessiv. Wie es Kino sein sollte.
Sonntag, 2. November 2008
My Life Without Me
Isabel Coixet, Kanada/Spanien 2002
So ein Film hat mir jetzt gerade noch gefehlt. Nicht nur mir, sondern auch allen. Und der Filmwelt. Jemand bekommt den bescheid, dass er bald an Eileiter-Krebs stirbt und hat nun noch eine Restzeit, die filmisch abgeleuchtet wird. Kennt man sonst nur aus Emergency Room. Ist aber tatsächlich ein filmischer Stoff, der gelingen muss.
Ann (Sarah Polley) also ist die von Gott Auserwählte. Sie hat einen liebenden Ehemann, 2 tolle Töchter, wohnt im Trailerpark, hat emotionale Eiszeit mit der Mutter und gar keinen Kontakt mehr zum Vater, der im Knast sitzt. Was nun passiert zeugt von Gelassenheit und Stärke. Sie schmiedet in melancholischer Nonchalance Pläne - neue Frau für den Mann und Töchter suchen, einen Anderen in sich verliebt machen, den Vater wiedersehen etc.
My Life Without Me ist überwältigend, ob man das positiv oder negativ konnotieren mag. Die Tränen fließen auf und abseits des Bildschirm in rauen Mengen. Nicht schwer bei dem Thema möchte man meinen. Und doch hat der Film etwas Bemerkenswertes zu leisten. Er handelt von Traurigkeit. Von scheiß Leben. Vom Leben als Scheißehaufen. Trailerpark, Schönheitsidealen hinterherrennenden Frauen, Hebammen die Säuglinge in den Tod begleiteten, Männer die Swimming Pools für sozial Höhergestellte bauen, Männer die im Knast fernab der lebendigen Welt verrotten. Die Welt ist so ein großer Haufen Dreck, das wir nicht anders können als in jeder Minute heulen. Wunderbar.
Erstaunlich wie Coixet im Nebenher eine Romanze (Mark Ruffalo als Lover und gescheiterte Figur, nochmal jemand der am Ende seiner Kräfte ist) etabliert und Musikstücke zur emotionalen Untermalung drunterhaut als ob das hier nicht alles ein ganz großer Depri-Reigen wäre. Das macht Ann natürlich ziemlich zwiespältig und lässt doch eine Geschichte der letzten Liebe aufkommen, wie sie in einem Lebensabschnitt etabliert bleibt. Die letzte Szene als emotionaler Aufbau Ruffalos zeugt von moralischem Abdecken der Episode. Überhaupt gibt's immer mal wieder was zu kritisieren unter den Tränen. Die Musical-Szene im Supermarkt etwa, bei der das arbeitende Volk doch etwas überhöht dargestellt wird. Hier bitte soziale Kontexte mitbeachten. Und genau: Leben so lebenslustig-zufriedene Menschen im Trailerpark?
Oh ja, Life Without Me versprüht ebenfalls einen gewissen Lebensoptimismus. Sei froh Kunde, das du noch Leben kannst. Tu es dann bitte auch. Mit dem abruptem Ende verschweigt uns Coixet den Schmerz der Nebenfiguren. Erspart uns auch die Trauer. Reicht ja auch, wir haben genug gelitten. Life Without Me ist ein Kopffilm, bei dem Coixet jedoch gezielt die Knöpfe zu drücken vermag. Ein emotionaler Magengrubenbearbeiter. Eine großartige Entdeckung.
So ein Film hat mir jetzt gerade noch gefehlt. Nicht nur mir, sondern auch allen. Und der Filmwelt. Jemand bekommt den bescheid, dass er bald an Eileiter-Krebs stirbt und hat nun noch eine Restzeit, die filmisch abgeleuchtet wird. Kennt man sonst nur aus Emergency Room. Ist aber tatsächlich ein filmischer Stoff, der gelingen muss.
Ann (Sarah Polley) also ist die von Gott Auserwählte. Sie hat einen liebenden Ehemann, 2 tolle Töchter, wohnt im Trailerpark, hat emotionale Eiszeit mit der Mutter und gar keinen Kontakt mehr zum Vater, der im Knast sitzt. Was nun passiert zeugt von Gelassenheit und Stärke. Sie schmiedet in melancholischer Nonchalance Pläne - neue Frau für den Mann und Töchter suchen, einen Anderen in sich verliebt machen, den Vater wiedersehen etc.
My Life Without Me ist überwältigend, ob man das positiv oder negativ konnotieren mag. Die Tränen fließen auf und abseits des Bildschirm in rauen Mengen. Nicht schwer bei dem Thema möchte man meinen. Und doch hat der Film etwas Bemerkenswertes zu leisten. Er handelt von Traurigkeit. Von scheiß Leben. Vom Leben als Scheißehaufen. Trailerpark, Schönheitsidealen hinterherrennenden Frauen, Hebammen die Säuglinge in den Tod begleiteten, Männer die Swimming Pools für sozial Höhergestellte bauen, Männer die im Knast fernab der lebendigen Welt verrotten. Die Welt ist so ein großer Haufen Dreck, das wir nicht anders können als in jeder Minute heulen. Wunderbar.
Erstaunlich wie Coixet im Nebenher eine Romanze (Mark Ruffalo als Lover und gescheiterte Figur, nochmal jemand der am Ende seiner Kräfte ist) etabliert und Musikstücke zur emotionalen Untermalung drunterhaut als ob das hier nicht alles ein ganz großer Depri-Reigen wäre. Das macht Ann natürlich ziemlich zwiespältig und lässt doch eine Geschichte der letzten Liebe aufkommen, wie sie in einem Lebensabschnitt etabliert bleibt. Die letzte Szene als emotionaler Aufbau Ruffalos zeugt von moralischem Abdecken der Episode. Überhaupt gibt's immer mal wieder was zu kritisieren unter den Tränen. Die Musical-Szene im Supermarkt etwa, bei der das arbeitende Volk doch etwas überhöht dargestellt wird. Hier bitte soziale Kontexte mitbeachten. Und genau: Leben so lebenslustig-zufriedene Menschen im Trailerpark?
Oh ja, Life Without Me versprüht ebenfalls einen gewissen Lebensoptimismus. Sei froh Kunde, das du noch Leben kannst. Tu es dann bitte auch. Mit dem abruptem Ende verschweigt uns Coixet den Schmerz der Nebenfiguren. Erspart uns auch die Trauer. Reicht ja auch, wir haben genug gelitten. Life Without Me ist ein Kopffilm, bei dem Coixet jedoch gezielt die Knöpfe zu drücken vermag. Ein emotionaler Magengrubenbearbeiter. Eine großartige Entdeckung.
Dienstag, 28. Oktober 2008
10 Shortys
Muxmäuschenstill
Hysterisches Gleiten zwischen bitterböser Satire und seltsamem Beziehungskomödchen. Kriegt die Idee für einen durchgehenden Tonfall nicht.
Battle in Seattle
Fetziger Agitprop, der ungebrochen die Coolness des linken Widerstandes beim WTO-Gipfel in Seattle 1999 ausstellt. Platt, emotionalisierend, unterhaltsam.
Max Payne
Schäbes Stück Actionkino, beliebig zusammengeklaubt, seelenlos zusammenmontiert und voller unfreiwilliger Komik, vor allem auf Schauspielebene.
Wind Chill
Harmlose Horrorkonstruktion, bei der mal wieder alte Geister durch den Wald gejagt werden. Anheimelnd, vorhersehbar, unnötig. Aber mit herausragendem Score von Mansell.
The Wedding Planer
Die neuen Episoden aus der Telenovela "Wenn 2 Menschen für einander geschaffen sind" werden aber auch immer langweiliger...
Masters of Horror: The Black Cat (Stuart Gordon)
Grundsolider Grusel nach Edgar Allan Poe, der zum Ende hin schön selbstreflexiv und blutig wird.
Violent Shit 3 - Infantry of Doom
Amateurschrott, der sich in seinem Getrashe entweder zu ernst nimmt oder einfach zu wenig Ideen hat um sich zu rechtfertigen.
Oswalt Kolle - Zum Beispiel: Ehebruch
Humorvoller Blick in die späten 60er, eigentlich eine Sexfilmklamotte, aber eine freche
The Plague (UK 2006)
Verquatschter, unfokussierter Milieueinblick.
Mr. & Mrs. Smith (2005)
Spassballett ohne Überraschung.
El Baño del Papa
Ethno-Liebelei mit sozialem Impetus. Zerfahren und viel zu naiv-lieblich.
Hysterisches Gleiten zwischen bitterböser Satire und seltsamem Beziehungskomödchen. Kriegt die Idee für einen durchgehenden Tonfall nicht.
Battle in Seattle
Fetziger Agitprop, der ungebrochen die Coolness des linken Widerstandes beim WTO-Gipfel in Seattle 1999 ausstellt. Platt, emotionalisierend, unterhaltsam.
Max Payne
Schäbes Stück Actionkino, beliebig zusammengeklaubt, seelenlos zusammenmontiert und voller unfreiwilliger Komik, vor allem auf Schauspielebene.
Wind Chill
Harmlose Horrorkonstruktion, bei der mal wieder alte Geister durch den Wald gejagt werden. Anheimelnd, vorhersehbar, unnötig. Aber mit herausragendem Score von Mansell.
The Wedding Planer
Die neuen Episoden aus der Telenovela "Wenn 2 Menschen für einander geschaffen sind" werden aber auch immer langweiliger...
Masters of Horror: The Black Cat (Stuart Gordon)
Grundsolider Grusel nach Edgar Allan Poe, der zum Ende hin schön selbstreflexiv und blutig wird.
Violent Shit 3 - Infantry of Doom
Amateurschrott, der sich in seinem Getrashe entweder zu ernst nimmt oder einfach zu wenig Ideen hat um sich zu rechtfertigen.
Oswalt Kolle - Zum Beispiel: Ehebruch
Humorvoller Blick in die späten 60er, eigentlich eine Sexfilmklamotte, aber eine freche
The Plague (UK 2006)
Verquatschter, unfokussierter Milieueinblick.
Mr. & Mrs. Smith (2005)
Spassballett ohne Überraschung.
El Baño del Papa
Ethno-Liebelei mit sozialem Impetus. Zerfahren und viel zu naiv-lieblich.
It's a Free World...
Ken Loach, Grossbritannien/Italien/Deutschland/Spanien/Polen 2007
Angie (Kierston Wareing) ist ein toughes Mädel, hat britischen Charme, sieht aus wie 'ne Businessschlampe und spielt auch gerne mit diesem Image. Nachdem sie von ihrem chauvinistischen Chef vor die Tür gesetzt wird pfeift sie auf all die Warnungen und macht ihre eigene Firma auf. Angies Beruf war Arbeitsvermittlung und so vermittelt sie nun Leiharbeiter weiter. Schnell merkt sie, dass illegale Schwarzarbeiter ja auch Herzen und Familie haben und sich außerdem noch gut Kohle mit ihnen machen lässt, weil sie nicht aufmucken. So verstrickt sie sich immer weiter in Komplikationen...
Was der alte Sozialknuffbär Ken Loach hier auftischt, ist mehr als happig, es ist ein verdammt guter Film. Loach lernt noch im Alter mit jedem Film dazu möchte man meinen. Waren seine früheren Arbeiten häufig sperriges Politkino, das nicht selten Thesenformulierung anstatt Figurenentwicklung im Sinn hatte, änderte sich dieses die letzten Jahre vermehrt. In It's a Free World findet der Prozess nun seinen vorläufigen Höhepunkt. Loach kreuzt seinen sozialen Impetus mit einem Happy-Go-Lucky Charme und führt seinen Zuschauer auf die Eisbahn. Angie ist ein fesches Blondinchen, dass nicht nur attraktiv, sondern auch bodenständig und abgehärtet ist, eine Macherin, lebenslustig, sympathisch, liebenswürdig. Angie gerät aber in die soziale Wirklichkeit. Und die hat es in sich. Die ersten Risse werden deutlich als man bemerkt, was für eine lausige Mutter sie für ihren Sohn ist. Die alltäglichen Situationen in die sie gerät, sind auf den ersten Blick normal, auf den zweiten offenbart sich aber eine knallharte Realität. Was machen mit den illegalen Asylanten? Wieviel Arschkriechen ist erlaubt beim Unternehmer, der für seine Firma billige Ausländer will, die ihr Maul halten? Wie die eigene Firma auf die Beine stellen angesichts der Widrigkeiten? Woher dann auf einmal das Geld nehmen, das den Vermittelten zusteht?
Die ganz normalen Konflikte der Arbeitswelt verdichten sich zum physisch schmerzenden menschlichen Drama. Man spürt die soziale Kälte durch die Leinwand nur zu gut, und das trotz unserer doch zu freudeversprühenden Protagonistin. Auch ein filmisch intensivierter Charakter muss mit den sozialen Umständen klar kommen. Dass dies nicht immer so rosig aussieht wie im durchschnittlichen Kino, davon erzählt It's a Free World. Von einer ehrlichen, erschütternderen Welt. Von einer Alltäglichen.
Angie (Kierston Wareing) ist ein toughes Mädel, hat britischen Charme, sieht aus wie 'ne Businessschlampe und spielt auch gerne mit diesem Image. Nachdem sie von ihrem chauvinistischen Chef vor die Tür gesetzt wird pfeift sie auf all die Warnungen und macht ihre eigene Firma auf. Angies Beruf war Arbeitsvermittlung und so vermittelt sie nun Leiharbeiter weiter. Schnell merkt sie, dass illegale Schwarzarbeiter ja auch Herzen und Familie haben und sich außerdem noch gut Kohle mit ihnen machen lässt, weil sie nicht aufmucken. So verstrickt sie sich immer weiter in Komplikationen...
Was der alte Sozialknuffbär Ken Loach hier auftischt, ist mehr als happig, es ist ein verdammt guter Film. Loach lernt noch im Alter mit jedem Film dazu möchte man meinen. Waren seine früheren Arbeiten häufig sperriges Politkino, das nicht selten Thesenformulierung anstatt Figurenentwicklung im Sinn hatte, änderte sich dieses die letzten Jahre vermehrt. In It's a Free World findet der Prozess nun seinen vorläufigen Höhepunkt. Loach kreuzt seinen sozialen Impetus mit einem Happy-Go-Lucky Charme und führt seinen Zuschauer auf die Eisbahn. Angie ist ein fesches Blondinchen, dass nicht nur attraktiv, sondern auch bodenständig und abgehärtet ist, eine Macherin, lebenslustig, sympathisch, liebenswürdig. Angie gerät aber in die soziale Wirklichkeit. Und die hat es in sich. Die ersten Risse werden deutlich als man bemerkt, was für eine lausige Mutter sie für ihren Sohn ist. Die alltäglichen Situationen in die sie gerät, sind auf den ersten Blick normal, auf den zweiten offenbart sich aber eine knallharte Realität. Was machen mit den illegalen Asylanten? Wieviel Arschkriechen ist erlaubt beim Unternehmer, der für seine Firma billige Ausländer will, die ihr Maul halten? Wie die eigene Firma auf die Beine stellen angesichts der Widrigkeiten? Woher dann auf einmal das Geld nehmen, das den Vermittelten zusteht?
Die ganz normalen Konflikte der Arbeitswelt verdichten sich zum physisch schmerzenden menschlichen Drama. Man spürt die soziale Kälte durch die Leinwand nur zu gut, und das trotz unserer doch zu freudeversprühenden Protagonistin. Auch ein filmisch intensivierter Charakter muss mit den sozialen Umständen klar kommen. Dass dies nicht immer so rosig aussieht wie im durchschnittlichen Kino, davon erzählt It's a Free World. Von einer ehrlichen, erschütternderen Welt. Von einer Alltäglichen.
Montag, 27. Oktober 2008
Blindness
Fernando Mereilles, Kanada/Brasilien/Japan 2008
Anarchie ist ein Zustand auf den die Welt noch wartet. Eine noch nicht durchgeführte Ideologie. Wobei: Zeigt die Finanzkrise nicht gerade an, dass es da einen Zwischenraum für Anarchie gab und gibt? Dummerweise einen weltumfassenden, lebensbestimmenden?
Was nun passieren würde, wenn eine amerikanische Großstadt von heute auf morgen in den Anarchozustand geraten täte, zeigt die Verfilmung von José Smaragos Romanvorlage Blindness. Alle Menschen infizieren sich und werden blind, Quarantänestationen werden eingerichtet und Gruppen rotten sich zusammen. Was auf der Strecke bleibt bei dem Spass ist die Menschlichkeit.
Tatsächlich fokussiert sich der Film auf die sich ergebenden Sozialdynamiken. Arschlöcher übernehmen das Ruder, es kommt im hermetisch abgeschlossenen Trakt zu Unterdrückung, Vergewaltigungen, Progromen, Mord. Auch die Politik ist überfordert und weiß sich außer mit dem Wegschließen der Kranken auch nicht zu behelfen. Hurtig einberufene Kongresse zur Problemlösung bringen soviel wie die Klima-Gipfeltreffen der Realität. Die betroffenen Menschen schwimmen währenddessen in ihrer eigenen Scheiße.
Amerika holt sich die menschlichen Katastrophen ins Haus, so sieht es zumindest aus. Bei vollkommener Orientierungslosigkeit zerfällt der Mensch ohne seinen wichtigsten Sinn. Das wäre die weiter gefasste Idee. In jedem Fall bietet Blindness neben seiner perfekt zugeschnittenen Optik eine ganze Menge Diskursfläche, protzt durch das Milchglas zwar hochtrabend emotional, ist aber dennoch aufs Detail der Dystopie schielend.
Anarchie ist ein Zustand auf den die Welt noch wartet. Eine noch nicht durchgeführte Ideologie. Wobei: Zeigt die Finanzkrise nicht gerade an, dass es da einen Zwischenraum für Anarchie gab und gibt? Dummerweise einen weltumfassenden, lebensbestimmenden?
Was nun passieren würde, wenn eine amerikanische Großstadt von heute auf morgen in den Anarchozustand geraten täte, zeigt die Verfilmung von José Smaragos Romanvorlage Blindness. Alle Menschen infizieren sich und werden blind, Quarantänestationen werden eingerichtet und Gruppen rotten sich zusammen. Was auf der Strecke bleibt bei dem Spass ist die Menschlichkeit.
Tatsächlich fokussiert sich der Film auf die sich ergebenden Sozialdynamiken. Arschlöcher übernehmen das Ruder, es kommt im hermetisch abgeschlossenen Trakt zu Unterdrückung, Vergewaltigungen, Progromen, Mord. Auch die Politik ist überfordert und weiß sich außer mit dem Wegschließen der Kranken auch nicht zu behelfen. Hurtig einberufene Kongresse zur Problemlösung bringen soviel wie die Klima-Gipfeltreffen der Realität. Die betroffenen Menschen schwimmen währenddessen in ihrer eigenen Scheiße.
Amerika holt sich die menschlichen Katastrophen ins Haus, so sieht es zumindest aus. Bei vollkommener Orientierungslosigkeit zerfällt der Mensch ohne seinen wichtigsten Sinn. Das wäre die weiter gefasste Idee. In jedem Fall bietet Blindness neben seiner perfekt zugeschnittenen Optik eine ganze Menge Diskursfläche, protzt durch das Milchglas zwar hochtrabend emotional, ist aber dennoch aufs Detail der Dystopie schielend.
Mittwoch, 22. Oktober 2008
Filmfest Hamburg 2008 # 7
Ein gern gesehenes Bild heutzutage und wohl auf ewig sind die sich streitenden Studenten. Der Eine tritt vehement für den Sozialismus, der Andere für die Anarchie ein. Wenn's dicke kommt, mag da sogar noch ein Jura-Gelhaar mit bei sein, der den Neoliberaismus großspurig verteidigt.
Mancherorts gibt's keine Diskussionen mehr, sondern derlei gelebte, praktizierte Ideologie. Ein Kind wie Johnny Mad Dog beispielweise schlägt sich nicht argumentativ, sondern nur schreiend und wild polternd durch das Gebüsch. Jean-Stéphane Sauvaire liberianischer Kindersoldatenfilm war bereits ausverkauft und ich dachte mir "Nicht so schlimm, ist wahrscheinlich eh wieder nur die jährliche gutmenschliche Geste des Festivals, qualitätsarm und unangemessen." Und doch schlüpfte ich noch auf die letzte Sekunde hinein und durfte mehr als überrascht sein. Der belgisch-französisch cofinanzierte Kriegsfilm ist beinahe ein Genrefilm, ein formal-ästhetisches Gebilde mit durchdachter Basis. Der Film klebt 100 Minuten an seinen kindlichen Protagonisten, schmeißt uns ins Kriegsgebiet, hetzt von einer Grausamkeit zur nächsten. Keine Effekte, einfach die Wahrheit. Keine Vernarrativierung wie der letztjährige Ezra, sondern ein Lebensstrang, den wir entlang hangeln müssen. 100 Minuten Geschrei, sehr viel Geschrei, Schlachtrufe, Kriegsgesänge, Blut, Hinrichtung, Drogenrausch, Demütigung, Animalisches, die Lust an der puren Unterdrückung. Ein Kriegsfilm, aber nochmals sei betont keiner, der nur den Affekt des Zuschauers im Blick hat, sondern vor allem sein Sujet und dessen Rest menschlichen Antlitz, den man doch so vergeblich sucht. Einsicht oder Rationalität sind ferner als alles andere, hier zählt nur noch der Moment des dauerhaften Ausnahmezustands. Eine andere Welt? Unsere Welt!
Sauvaire ist da etwas gelungen, was sich leicht beschreiben lässt. Die Hölle stellt man eben als Hölle da. Ist das so schwer? Wenn man Publikumszugeständnisse braucht sicherlich. Hier aber darf's gerne Terror sein. Einer, der uns Voyeuren keinen Spass mehr macht.
Das Festival rettet sich also dank der letzten 2 - 3 Abende zu einem äußerst bekömmlichen Zusammenschnitt. Viel Herausragendes, sehr viel Gutes gesehen. Danke dafür.
Und dann sind da aber auch noch Filme, die einem nicht mal für den Augenblick im Kopf bleiben. Acné etwa, Federico Veirojs uruguayanisch-argentinisches Coming-of-Age-Komödchen. Oder Daniel Alfredsons Wolf - der schwedische Blockbuster-Import aus skandinavischen Familien-Kinos eingeflogen. Immerhin vom Bruder des Alfredson Tomas und mit Peter Stormare. Naja. Schneegestöber.
Fast darunter gefallen wäre angesichts der ins Gesicht gähnenden Festivalmüdigkeit an solch einem letzten Tag auch der spanische The Best of Me. Man kennt die Geschichte von Susa Bier oder eben aus spanischem Qualitätskino: Frau stark, Mann schwach, Unsicherheiten, Liebe, Seitensprung, Krankheit, Abhängigkeit. Gute gemacht wie immer, aber langsam eine Spur zu bekannt.
Oder aktuell nochmal ganz was Furchtbares: Ocean Flame von Fendou Liu, China. Extrovertiertes Kunstkino, bei dem der Mann der brutale Zuhälter-Schläger ist und die Frau ihn hasst und ihm verfällt. Beide lieben sich und alles ist ja so unendlich tragisch im noch unendlicheren Chic des asiatischen Urbanlichtermeers. Unsere Freunde von der imdb sagen: "Why do the good girls always want the bad boys?" Genau das interessiert mich nicht und ich will's auch nicht auf Hochglanz poliert im Kino sehen. Noch ein Satz mehr und ich werd ausfällig.
Und dann schlussendlich gebe ich mich versöhnlich. Mein Abschlussfilm des Festivals ist "The Movie" zu einer in Chile äußerst erfolgreichen Puppenanimation für Erwachsene. 31 Minutos heißt die Heiterkeit, in der hässlich zusammengeflickte Puppen die Fernsehlandschaft und dann auch das Böse der Welt erkunden müssen. Satirisch ist das Ganze, wenn auch nicht übermäßig frech oder schwarzhumorig. Als Abschlussbrause aber durchaus okay, denn so ein verschmitztes Lächeln nach der Kohlensäure hat doch was.
Mancherorts gibt's keine Diskussionen mehr, sondern derlei gelebte, praktizierte Ideologie. Ein Kind wie Johnny Mad Dog beispielweise schlägt sich nicht argumentativ, sondern nur schreiend und wild polternd durch das Gebüsch. Jean-Stéphane Sauvaire liberianischer Kindersoldatenfilm war bereits ausverkauft und ich dachte mir "Nicht so schlimm, ist wahrscheinlich eh wieder nur die jährliche gutmenschliche Geste des Festivals, qualitätsarm und unangemessen." Und doch schlüpfte ich noch auf die letzte Sekunde hinein und durfte mehr als überrascht sein. Der belgisch-französisch cofinanzierte Kriegsfilm ist beinahe ein Genrefilm, ein formal-ästhetisches Gebilde mit durchdachter Basis. Der Film klebt 100 Minuten an seinen kindlichen Protagonisten, schmeißt uns ins Kriegsgebiet, hetzt von einer Grausamkeit zur nächsten. Keine Effekte, einfach die Wahrheit. Keine Vernarrativierung wie der letztjährige Ezra, sondern ein Lebensstrang, den wir entlang hangeln müssen. 100 Minuten Geschrei, sehr viel Geschrei, Schlachtrufe, Kriegsgesänge, Blut, Hinrichtung, Drogenrausch, Demütigung, Animalisches, die Lust an der puren Unterdrückung. Ein Kriegsfilm, aber nochmals sei betont keiner, der nur den Affekt des Zuschauers im Blick hat, sondern vor allem sein Sujet und dessen Rest menschlichen Antlitz, den man doch so vergeblich sucht. Einsicht oder Rationalität sind ferner als alles andere, hier zählt nur noch der Moment des dauerhaften Ausnahmezustands. Eine andere Welt? Unsere Welt!
Sauvaire ist da etwas gelungen, was sich leicht beschreiben lässt. Die Hölle stellt man eben als Hölle da. Ist das so schwer? Wenn man Publikumszugeständnisse braucht sicherlich. Hier aber darf's gerne Terror sein. Einer, der uns Voyeuren keinen Spass mehr macht.
Das Festival rettet sich also dank der letzten 2 - 3 Abende zu einem äußerst bekömmlichen Zusammenschnitt. Viel Herausragendes, sehr viel Gutes gesehen. Danke dafür.
Und dann sind da aber auch noch Filme, die einem nicht mal für den Augenblick im Kopf bleiben. Acné etwa, Federico Veirojs uruguayanisch-argentinisches Coming-of-Age-Komödchen. Oder Daniel Alfredsons Wolf - der schwedische Blockbuster-Import aus skandinavischen Familien-Kinos eingeflogen. Immerhin vom Bruder des Alfredson Tomas und mit Peter Stormare. Naja. Schneegestöber.
Fast darunter gefallen wäre angesichts der ins Gesicht gähnenden Festivalmüdigkeit an solch einem letzten Tag auch der spanische The Best of Me. Man kennt die Geschichte von Susa Bier oder eben aus spanischem Qualitätskino: Frau stark, Mann schwach, Unsicherheiten, Liebe, Seitensprung, Krankheit, Abhängigkeit. Gute gemacht wie immer, aber langsam eine Spur zu bekannt.
Oder aktuell nochmal ganz was Furchtbares: Ocean Flame von Fendou Liu, China. Extrovertiertes Kunstkino, bei dem der Mann der brutale Zuhälter-Schläger ist und die Frau ihn hasst und ihm verfällt. Beide lieben sich und alles ist ja so unendlich tragisch im noch unendlicheren Chic des asiatischen Urbanlichtermeers. Unsere Freunde von der imdb sagen: "Why do the good girls always want the bad boys?" Genau das interessiert mich nicht und ich will's auch nicht auf Hochglanz poliert im Kino sehen. Noch ein Satz mehr und ich werd ausfällig.
Und dann schlussendlich gebe ich mich versöhnlich. Mein Abschlussfilm des Festivals ist "The Movie" zu einer in Chile äußerst erfolgreichen Puppenanimation für Erwachsene. 31 Minutos heißt die Heiterkeit, in der hässlich zusammengeflickte Puppen die Fernsehlandschaft und dann auch das Böse der Welt erkunden müssen. Satirisch ist das Ganze, wenn auch nicht übermäßig frech oder schwarzhumorig. Als Abschlussbrause aber durchaus okay, denn so ein verschmitztes Lächeln nach der Kohlensäure hat doch was.
Dienstag, 21. Oktober 2008
Der Jörg Haider ist, Entschuldigung, war ein Illusionist, der eine ganze Region Österreichs mit seiner übermenschlichen Aura verzaubert hat. Sogar die Jungs. Edward Norton spielt nun in The Illusionist einen durchaus sensibler konnotierten Magier, der mit seinen Zaubershows niemanden etwas Böses will. Und doch strebt er nach und nach und insgeheim den Machtsturz des Despoten Österreichs an (Hoppala, nu schlägts aber Haider!). Der hat die ihm vom Schicksal zugestandene Frau (die alte himmlische 7th Heaven Hupfdule Jessica Biel) geklaut und ermordet sie dann auch noch im eifersüchtigen Wahn. Jetzt wird The Illusionist sogar mal spannend. Leider nur für einen kurzen Augenblick. Denn Magier Norton erweckt seine Liebste auf der Bühne als zarten Windhauch kurzzeitig zum Leben. Die Abhandlung über Tod, Trauer und Zwischenwelten bleibt aber dann doch aus, und der Mystery-Krimi zieht seine gewohnten Kreise. Noch zu erwähnen: Paul Giamatti als einzige halbwegs mehrdimensionale Figur, der die altbekannte Wandlung vom untergebenen Dienstleistungsausführer des Kronprinzen und Hobbymagier zum Gerechtigkeit waltenden Organ durchmacht.
Noch ein Stückchen behäbiger und gemächlicher geht es in Paul Schraders Eierschaukler The Walker zu. Woody Harrelson spielt einen Mann, der ältere Frauen der High Society begleitet. Warum er das kann? Weil er ein richtig schön schwuler Schwuler ist. Irgendwann nutzen ihn die Damen in einem recht unspektakulären Krimiplot dann aber doch aus, und Schrader - das wird schnell klar - geht's hier um den tiefen Fall einer Person, die zuvor aufrechter im Leben stand, als Dolly Busters Nippel in den 90ern.
Oi! Oi Oi! Tim Roth zieht eine beängstigende Fresse wie ein wildgewordener Köter in Alan Clarkes Made in Britain, in welchem diverse Sozialpädagogen 70 Minuten lang versuchen dem notorisch zerstörungswütigen Roth die Flausen auszutreiben. Höhepunkt bildet ein 10 minütiger Monolog eines der es doch nur gut meinenden Beamten, der dem teuflisch dreingrinsenden Roth in lakonischer Manier vor Augen führt, wie sein weiteres Leben verlaufen wird, wenn er seine hakenkreuztätowierte Glatze nicht klar bekommt. Der 16-Jährige macht weiter und landet in den letzten 3 Minuten des Films tatsächlich im Knast. Ein kurzer Schlag mit dem Gummiknüppel verdeutlicht dem angry young man die Situation - zwischen kindlicher Angst und tobendem Hass erstarrt Roths Gesicht in der letzten Einstellung.
Noch ein Stückchen behäbiger und gemächlicher geht es in Paul Schraders Eierschaukler The Walker zu. Woody Harrelson spielt einen Mann, der ältere Frauen der High Society begleitet. Warum er das kann? Weil er ein richtig schön schwuler Schwuler ist. Irgendwann nutzen ihn die Damen in einem recht unspektakulären Krimiplot dann aber doch aus, und Schrader - das wird schnell klar - geht's hier um den tiefen Fall einer Person, die zuvor aufrechter im Leben stand, als Dolly Busters Nippel in den 90ern.
Oi! Oi Oi! Tim Roth zieht eine beängstigende Fresse wie ein wildgewordener Köter in Alan Clarkes Made in Britain, in welchem diverse Sozialpädagogen 70 Minuten lang versuchen dem notorisch zerstörungswütigen Roth die Flausen auszutreiben. Höhepunkt bildet ein 10 minütiger Monolog eines der es doch nur gut meinenden Beamten, der dem teuflisch dreingrinsenden Roth in lakonischer Manier vor Augen führt, wie sein weiteres Leben verlaufen wird, wenn er seine hakenkreuztätowierte Glatze nicht klar bekommt. Der 16-Jährige macht weiter und landet in den letzten 3 Minuten des Films tatsächlich im Knast. Ein kurzer Schlag mit dem Gummiknüppel verdeutlicht dem angry young man die Situation - zwischen kindlicher Angst und tobendem Hass erstarrt Roths Gesicht in der letzten Einstellung.
Montag, 6. Oktober 2008
Filmfest Hamburg 2008 # 6
So ein Festival hat ja stets das Problem zwischen den Stühlen zu sitzen. Filmkunst wird erwartet, Unterhaltung ebenfalls. Und was ist mit Genrefilmen? Viele Kinoabsitzer haben bis heute nicht verstanden, dass sich anspruchsvolle Qualität und wiederkehrende Handlungs- und Motivreihen nicht ausschließen müssen. Beim Filmfest Hamburg hat man dann noch die TV-Produktionen, die nichts von alledem erfüllen können, aber dennoch ihre "Berechtigung" dadurch erlangen, so auch den roten Teppich füllen zu können, der sonst nur verstauben bzw zur Bewahrung vor den Peinlichkeiten gar nicht erst ausgerollt werden würde. Wer dann darüber schreitet und das Blitzlicht auf sich konzentrieren darf, darüber soll hier lieber Stillschweigen gewahrt werden. Wir wollen ja nicht dem Filmfest zu Nahe treten. Und keine Gerichtsvorladung bekommen.
Einer der wenigen Filme, die vom Papier her sowohl den künstlerischen Gedanken, als auch Genrekonventionen erfüllen hätte können kam aus Thailand. The 8th Day von Chadchai Yoodsaranee handelt von dem Verschwinden eines Mädchens vom Spielplatz. Die schlaue Lösung, das geografisch naheliegendste Haus zu durchsuchen, wird nicht angedacht, und so kann das geistig verwirrte, aber nach außen hin harmlos wirkende Großmütterchen das Kind tagelang gefangen halten. Wir wissen das, weil auch unser Protagonist - ein Medizinstudent - das weiß. Und beobachtet, für seine Abschluss-Thesis. Das hört sich doch alles ganz fesch an, denkt man sich, und die Ausgangssituation würde sicherlich auch Fläche genug bieten, um daraus was Feines zu basteln. Allein es fehlt an weiterführenden Ideen. Die Prämisse wird 90 Minuten lang durchgespielt ohne wirklich voranzuschreiten. Die Auflösung ist banal, und dass der Film in schwarz-weiß gedreht wurde erfüllt nun nicht gerade im Alleingang den Kunstaspekt. Enttäuschung quer durch die Stuhlreihen.
Viele Kanadier gab es dieses Jahr zu sehen, und wir sind noch nicht am Ende angelangt. Der Preis für das beste Erstlings-Ahornblatt beim Toronto Filmfest ging dieses Jahr an Continental, a Film without Guns von Stéphane Lafleur. Hat man den Film gesehen weiß man warum. Lakonische Abrisse und ineinanderfassende Geschichten dominieren den distanziert-unterkühlten Schelm, sowas kommt gut an, frag mal den Kaurismäki, nur hat der mehr Charme.
Centerpiece
Kommen wir zum wichtigen Teil des Abends. Auf Kiyoshi Kurosawas neusten Streich freute ich mich insgeheim am Meisten, denn nach meinem Einstand in sein Oevre mit Pulse scheint er einer der spannensten Regisseure unserer Zeitepoche zu sein. Nun, mit Tokyo Sonata legt er ein für ihn ungewöhnliches Drama vor, dass sich weiteren Genreklassifizierungen in seiner Breitfächrigkeit zunächst einmal verschließt und damit festivalgeeignet genug scheint. Wir beginnen mit einer Familie, deren Vater arbeitslos wird. Da dies in unserer Gesellschaft mit dem kühlen Blick fürs Wesentliche (Geld und Status), und der Japanischen im Speziellen, nicht so gern gesehen ist, spielt er seiner Familie vor, alles sei in Ordnung. Bei der Essensausgabe für Obdachlose lernt er einen weiteren gescheiterten Mann in Anzug und Krawatte kennen und beide freunden sich an. Unser Familienoberhaupt lässt sich - zur Wahrung der Identität seines neuen Freundes - dann auch mal zum Abendessen einladen, damit dessen Familie sieht: Alles super, auch die Arbeitskollegen kommen mal vorbei. Wenig später streift unser Papa am Haus des Kumpanen vorbei, und muss mit Erschrecken von der Haushälterin erfahren: Der Mann hat sich und seine Familie im Schlaf vergast...
Soweit, so gesellschaftkritisch. Die Gesellschaftssatire, die Kurosawa hier aufbaut fühlt sich im ersten Drittel wie eine beißende Kritik an einer kapitalistischen Normung an, bitter, kalt und nicht im entferntesten witzig. Doch die Absurdität der Situation macht es möglich, die Tragik mit trockenem Humor zu begegnen. Die Leichtigkeit, die sich trotz des Schocks beim Zuschauer einstellt, ist entfesselnd, atemberaubend und wunderschön.
Wir sind wie gesagt immer noch nicht bei der Hälfte angekommen, als die Mutter des Hauses zum ersten Mal die Bühne - Kurosawa, das wird gegen Ende ganz deutlich, rekuriert stets aufs Theater und inszeniert seinen Film nicht weit weg davon - betritt und spitz kriegt, dass ihr Mann wohl arbeitslos ist. Während dieser sich gegenüber seinen beiden Söhnen - unter dem Druck und Verlust seiner Autorität als Arbeitsloser - von nun an wie ein wild gewordener Patriarch aufführt, mildert seine Frau die Umstände ab - und entwickelt sich über die Lauflänge des Films hinweg vom stillen Mäuschen (wörtlich, von ihr ist am Anfang weder etwas zu hören, noch zu sehen) zum selbstbewussten, sich aus den Klammern befreienden Individuum. Auch den Söhnen werden ganz eigene, motivisch noch weit fassendere Geschichten auf den Leib gezimmert und somit baut Kurosawa seinen Film im Mittelteil zu einem Kaleidoskop einer Familientragik aus.
Was dann folgt - es wird noch vieles sein, eine gewisse "Vollgestopftheit" kann man dem Film wohl vorwerfen - formuliert das Drama noch weiter aus. Gegen Ende erlaubt sich Kurosawa seinem Werk einen Drall zu geben, der so weitreichende Konsequenzen beinhaltet um Tokyo Sonata berechtigterweise als existenzialistisches Drama bezeichnen zu können. Bergman schaut herein, der olle Namensvetter aus dem eigenen Lande ebenfalls. Manche Szenen sind pures Theater, gestelzt und doch so lebendig. Im Schlussbild hören wir ein Klavierkonzert des jüngsten Sohnes. Die Eltern weinen. Die Fachkundigen versammeln sich vor Erstaunung über das Talent des Jungen. Das komplette Stück wird ausgespielt, einen Moment Ruhe, der Junge und seine Eltern gehen an der Kamera direkt vorbei und die Zuschauer bestaunen: Uns. Die Zuschauer. Abspann, in welchem aus den Boxen die gleichen Laute wie aus dem Saal kommen - wir verlassen diesen Ort.
Neben diesem augenzwinkernden, intelligenten Schlussbild weist das Werk - das im Übrigen als einziger Film ohne Gäste auf dem ganzen Festival Applaus bekam (bei halbgefülltem Kino) - so viele erstaunliche Merkmale auf, dass ich versucht bin hier das böse Wort mit M zu verwenden. Bei der Zweitsichtung vielleicht. Wahrscheinlich.
Der langgezogene Höhepunkt
Nach so einer Bombe hat es der nächste Film bekanntlich schwer, und so stürzte ich ohne grosse Erwartungen ins Kino nebenan um mir Thomas McCarthys (The Station Agent) neue Tragikomödie The Visitor anzuschauen. "Von den Produzenten von Sideways" stand da noch auf dem Plakat an der Eingangstür des Kinos und ich dachte mir schon "Na dann man tau Jungs...".
Der Film erst einmal unaufgeregt. Keine Spirenzchen, keine blöden Gags, keine Anbiederungen ans Publikum. Gefiel mir. Und wurde dann sogar richtig gut.
Der New Yorker Professor Walter Vale (Richard Jenkins) reist in seine Zweitwohnung im Big Apple und findet dort ein illegal eingemietetes Pärchen aus Afrika vor. Der Syrer Tarek (Haaz Sleiman) und die Senegalesin Zainab (Danai Jekesai Gurira) ziehen sich freundlich und dankbar zurück, doch der unterkühlte, stets mit besorgter Mine versehene Prof fasst sich ein Herz und bietet ihnen an noch ein paar Tage zu bleiben, bis eine neue Bleibe gefunden ist. Er freundet sich mit dem lebensfreudigen Tarek an und legt gar seine Verkrampftheit ab um Trommeln vom jungen Wirbelwind zu lernen. Nachdem der unbedarfte Tarek in der U-Bahn überprüft und von der Einwanderungsbehörde festgenommen wird, kommt heraus, dass unser Pärchen nicht nur rechtswidrig gewohnt, sondern auch illegal im Land ist. Da auch Zainab und Tareks Mutter Mouna (Hiam Abbass) - die auf der Suche nach ihm beim Professor unter- und später diesem auch näherkommt - dank eigener Illegalität nicht mit ihm reden können, ist Vale der Einzige, der vermitteln und kommunizieren kann. Der einst so leblos wirkende Griesgram verstrickt sich in eine emotional heikle Geschichte...
McCarthys Film ist vor allem deswegen so gut, weil er - wie alle starken Exemplare der New Sincerity Welle - sich selbst zurücknimmt und seine Figuren und Schauspieler reden und agieren lässt. Letztes Jahr beim Filmfest gab es bereits exakt das gleiche Phänomen mit dem mich ebenfalls aus den Schuhen gehauen habenden The Savages. Man spürt die Spielfreude, die Freiheiten, die der Film ihnen gibt, die Natürlichkeit des Ausdrucks. Keine falsche political correctness, die sich bei dem Thema doch so anbieten würde, keine Suche nach Pointen oder Momenten der unreflektierten Überwaltigung. Die Geschichte ist traurig genug, bei einem ehrlichen Umgang mit den Figuren funktioniert sie ohne dramaturgische Fitzchen. Auch keine falschen Moralspiele. Das Plädoyer gegen die Einwanderungspolitik der westlichen Industriestaaten versteht sich ohne Belehrungen abzugeben als leises, schnörkelloses Drama. Eines der Intensivsten des Jahres.
Einer der wenigen Filme, die vom Papier her sowohl den künstlerischen Gedanken, als auch Genrekonventionen erfüllen hätte können kam aus Thailand. The 8th Day von Chadchai Yoodsaranee handelt von dem Verschwinden eines Mädchens vom Spielplatz. Die schlaue Lösung, das geografisch naheliegendste Haus zu durchsuchen, wird nicht angedacht, und so kann das geistig verwirrte, aber nach außen hin harmlos wirkende Großmütterchen das Kind tagelang gefangen halten. Wir wissen das, weil auch unser Protagonist - ein Medizinstudent - das weiß. Und beobachtet, für seine Abschluss-Thesis. Das hört sich doch alles ganz fesch an, denkt man sich, und die Ausgangssituation würde sicherlich auch Fläche genug bieten, um daraus was Feines zu basteln. Allein es fehlt an weiterführenden Ideen. Die Prämisse wird 90 Minuten lang durchgespielt ohne wirklich voranzuschreiten. Die Auflösung ist banal, und dass der Film in schwarz-weiß gedreht wurde erfüllt nun nicht gerade im Alleingang den Kunstaspekt. Enttäuschung quer durch die Stuhlreihen.
Viele Kanadier gab es dieses Jahr zu sehen, und wir sind noch nicht am Ende angelangt. Der Preis für das beste Erstlings-Ahornblatt beim Toronto Filmfest ging dieses Jahr an Continental, a Film without Guns von Stéphane Lafleur. Hat man den Film gesehen weiß man warum. Lakonische Abrisse und ineinanderfassende Geschichten dominieren den distanziert-unterkühlten Schelm, sowas kommt gut an, frag mal den Kaurismäki, nur hat der mehr Charme.
Centerpiece
Kommen wir zum wichtigen Teil des Abends. Auf Kiyoshi Kurosawas neusten Streich freute ich mich insgeheim am Meisten, denn nach meinem Einstand in sein Oevre mit Pulse scheint er einer der spannensten Regisseure unserer Zeitepoche zu sein. Nun, mit Tokyo Sonata legt er ein für ihn ungewöhnliches Drama vor, dass sich weiteren Genreklassifizierungen in seiner Breitfächrigkeit zunächst einmal verschließt und damit festivalgeeignet genug scheint. Wir beginnen mit einer Familie, deren Vater arbeitslos wird. Da dies in unserer Gesellschaft mit dem kühlen Blick fürs Wesentliche (Geld und Status), und der Japanischen im Speziellen, nicht so gern gesehen ist, spielt er seiner Familie vor, alles sei in Ordnung. Bei der Essensausgabe für Obdachlose lernt er einen weiteren gescheiterten Mann in Anzug und Krawatte kennen und beide freunden sich an. Unser Familienoberhaupt lässt sich - zur Wahrung der Identität seines neuen Freundes - dann auch mal zum Abendessen einladen, damit dessen Familie sieht: Alles super, auch die Arbeitskollegen kommen mal vorbei. Wenig später streift unser Papa am Haus des Kumpanen vorbei, und muss mit Erschrecken von der Haushälterin erfahren: Der Mann hat sich und seine Familie im Schlaf vergast...
Soweit, so gesellschaftkritisch. Die Gesellschaftssatire, die Kurosawa hier aufbaut fühlt sich im ersten Drittel wie eine beißende Kritik an einer kapitalistischen Normung an, bitter, kalt und nicht im entferntesten witzig. Doch die Absurdität der Situation macht es möglich, die Tragik mit trockenem Humor zu begegnen. Die Leichtigkeit, die sich trotz des Schocks beim Zuschauer einstellt, ist entfesselnd, atemberaubend und wunderschön.
Wir sind wie gesagt immer noch nicht bei der Hälfte angekommen, als die Mutter des Hauses zum ersten Mal die Bühne - Kurosawa, das wird gegen Ende ganz deutlich, rekuriert stets aufs Theater und inszeniert seinen Film nicht weit weg davon - betritt und spitz kriegt, dass ihr Mann wohl arbeitslos ist. Während dieser sich gegenüber seinen beiden Söhnen - unter dem Druck und Verlust seiner Autorität als Arbeitsloser - von nun an wie ein wild gewordener Patriarch aufführt, mildert seine Frau die Umstände ab - und entwickelt sich über die Lauflänge des Films hinweg vom stillen Mäuschen (wörtlich, von ihr ist am Anfang weder etwas zu hören, noch zu sehen) zum selbstbewussten, sich aus den Klammern befreienden Individuum. Auch den Söhnen werden ganz eigene, motivisch noch weit fassendere Geschichten auf den Leib gezimmert und somit baut Kurosawa seinen Film im Mittelteil zu einem Kaleidoskop einer Familientragik aus.
Was dann folgt - es wird noch vieles sein, eine gewisse "Vollgestopftheit" kann man dem Film wohl vorwerfen - formuliert das Drama noch weiter aus. Gegen Ende erlaubt sich Kurosawa seinem Werk einen Drall zu geben, der so weitreichende Konsequenzen beinhaltet um Tokyo Sonata berechtigterweise als existenzialistisches Drama bezeichnen zu können. Bergman schaut herein, der olle Namensvetter aus dem eigenen Lande ebenfalls. Manche Szenen sind pures Theater, gestelzt und doch so lebendig. Im Schlussbild hören wir ein Klavierkonzert des jüngsten Sohnes. Die Eltern weinen. Die Fachkundigen versammeln sich vor Erstaunung über das Talent des Jungen. Das komplette Stück wird ausgespielt, einen Moment Ruhe, der Junge und seine Eltern gehen an der Kamera direkt vorbei und die Zuschauer bestaunen: Uns. Die Zuschauer. Abspann, in welchem aus den Boxen die gleichen Laute wie aus dem Saal kommen - wir verlassen diesen Ort.
Neben diesem augenzwinkernden, intelligenten Schlussbild weist das Werk - das im Übrigen als einziger Film ohne Gäste auf dem ganzen Festival Applaus bekam (bei halbgefülltem Kino) - so viele erstaunliche Merkmale auf, dass ich versucht bin hier das böse Wort mit M zu verwenden. Bei der Zweitsichtung vielleicht. Wahrscheinlich.
Der langgezogene Höhepunkt
Nach so einer Bombe hat es der nächste Film bekanntlich schwer, und so stürzte ich ohne grosse Erwartungen ins Kino nebenan um mir Thomas McCarthys (The Station Agent) neue Tragikomödie The Visitor anzuschauen. "Von den Produzenten von Sideways" stand da noch auf dem Plakat an der Eingangstür des Kinos und ich dachte mir schon "Na dann man tau Jungs...".
Der Film erst einmal unaufgeregt. Keine Spirenzchen, keine blöden Gags, keine Anbiederungen ans Publikum. Gefiel mir. Und wurde dann sogar richtig gut.
Der New Yorker Professor Walter Vale (Richard Jenkins) reist in seine Zweitwohnung im Big Apple und findet dort ein illegal eingemietetes Pärchen aus Afrika vor. Der Syrer Tarek (Haaz Sleiman) und die Senegalesin Zainab (Danai Jekesai Gurira) ziehen sich freundlich und dankbar zurück, doch der unterkühlte, stets mit besorgter Mine versehene Prof fasst sich ein Herz und bietet ihnen an noch ein paar Tage zu bleiben, bis eine neue Bleibe gefunden ist. Er freundet sich mit dem lebensfreudigen Tarek an und legt gar seine Verkrampftheit ab um Trommeln vom jungen Wirbelwind zu lernen. Nachdem der unbedarfte Tarek in der U-Bahn überprüft und von der Einwanderungsbehörde festgenommen wird, kommt heraus, dass unser Pärchen nicht nur rechtswidrig gewohnt, sondern auch illegal im Land ist. Da auch Zainab und Tareks Mutter Mouna (Hiam Abbass) - die auf der Suche nach ihm beim Professor unter- und später diesem auch näherkommt - dank eigener Illegalität nicht mit ihm reden können, ist Vale der Einzige, der vermitteln und kommunizieren kann. Der einst so leblos wirkende Griesgram verstrickt sich in eine emotional heikle Geschichte...
McCarthys Film ist vor allem deswegen so gut, weil er - wie alle starken Exemplare der New Sincerity Welle - sich selbst zurücknimmt und seine Figuren und Schauspieler reden und agieren lässt. Letztes Jahr beim Filmfest gab es bereits exakt das gleiche Phänomen mit dem mich ebenfalls aus den Schuhen gehauen habenden The Savages. Man spürt die Spielfreude, die Freiheiten, die der Film ihnen gibt, die Natürlichkeit des Ausdrucks. Keine falsche political correctness, die sich bei dem Thema doch so anbieten würde, keine Suche nach Pointen oder Momenten der unreflektierten Überwaltigung. Die Geschichte ist traurig genug, bei einem ehrlichen Umgang mit den Figuren funktioniert sie ohne dramaturgische Fitzchen. Auch keine falschen Moralspiele. Das Plädoyer gegen die Einwanderungspolitik der westlichen Industriestaaten versteht sich ohne Belehrungen abzugeben als leises, schnörkelloses Drama. Eines der Intensivsten des Jahres.
The Dark Knight
Christopher Nolan 2008
Über welchen Film gilt es diesen Sommer/nun schon Herbst z-u-m-i-n-d-e-s-t zu schreiben? Derjenige über den der junge Mann zur jungen Frau - gerade aus der PV für ihren Baader Meinhof Komplex kommend - sagte: "Das ist ja der beste Film aller Zeiten. Ich fand den nicht so gut." Das kluge Bürschchen aber landete mit dem Spruch bei der Dame nicht, so wie es aussah. Die zuckte nur mit den Schultern. Naja, was soll man aber auch anderes machen, wenn man gerade Moritz Bleibtreu beim 150 minütigen "Scheiß Fotzen!" Geschreie zuhören musste?! (siehe Vorpost)
Über welchen Film gilt es diesen Sommer/nun schon Herbst z-u-m-i-n-d-e-s-t zu schreiben? Derjenige über den der junge Mann zur jungen Frau - gerade aus der PV für ihren Baader Meinhof Komplex kommend - sagte: "Das ist ja der beste Film aller Zeiten. Ich fand den nicht so gut." Das kluge Bürschchen aber landete mit dem Spruch bei der Dame nicht, so wie es aussah. Die zuckte nur mit den Schultern. Naja, was soll man aber auch anderes machen, wenn man gerade Moritz Bleibtreu beim 150 minütigen "Scheiß Fotzen!" Geschreie zuhören musste?! (siehe Vorpost)
Es handelt sich selbstverständlich um den "am Startwochenende hatte ich ne 9,8 auf der imdb, ätschbätsch" Blockbuster-Meteoriten-Einschlag The Dark Knight, Christopher Nolans zweiter Batman Streich. Der Joker - wer den verkörpert braucht nicht erwähnt zu werden - ist diesmal wieder an der Reihe und möchte Unruhe stiften. Spannend ist es über die Struktur des Films zu reden und was Ledger damit anstellt. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, wann ich es das letzte Mal erlebt habe, dass ein Schauspieler einen ganzen Film umkrempelt.
Fangen wir erstmal beim Material an, dass es umzubiegen gilt: The Dark Knight ist offenkundig ein zusammengeklaubtes, überquillendes Filmmonster, für das anscheinend schon einiges an Rohmaterial zur Verfügung stand, welches es herunterzucutten galt. Die allumfassende Story erlaubt es sich gar gegen Ende eine komplett neu kreierte Situation voller neuer Charakter zu etablieren (Die Schiffs-Bomben-Sequenz) oder wechselt nach dem Ausscheiden des einen Antagonisten einfach nochmal zum "Wurmfortsatz" der Geschichte und zeigt einen zweiten Endkampf auf dem Radar. Gut, im Gegensatz zum Baader Meinhof Debakel wissen die hiesigen Amis ihre 150 Minuten immerhin sinnvoller zu nutzen. Trotzdem reicht das nicht um ihre Geschichte auszuerzählen. Geschweige denn ein vernünftiges Filmkonstrukt auf die Beine zu stellen. Denn so funktioniert das einfach nicht. Die Figuren bleiben mit einer seltsamen Leere versehen, Ereignisse werden wie überstürzt unter abgehakt verbucht.
Was macht Ledger nun? Er spielt. Spielt einen abgefuckten, psychotischen, gerissenen Clown. Einen mit dem Leben abgeschlossen habenden, feisten, rache- oder doch nur spielsüchtigen Zyniker. Eine kaputte Seele, an deren Stelle nun eine verschmierte Maske folgt. Die Figur bietet sich an, um abzugehen. Ledger tut das und verleiht dem Stück eine unerwartete Frivolität, Leichtigkeit und Fiebrigkeit. Ledger allein tut das, und wenn man sich nun fragt, wieviel Anteil daran nun seine eigene Geschichte spielt - die sich hier als Metatext beispiellos einschreibt - kann man die Frage erstmal nur unbeantwortet lassen. Und muss doch auf die erschreckende Sequenz verweisen, als der Joker den Tod (in Form von Batman und seinem Batmobil) herausfordert und den schwarzen Ritter selbstmörderisch auf sich Zurasen lässt. Der Atem stockt. Der Film bewegt sich, ein fast totes Konstrukt beginnt zu leben.
Sonntag, 5. Oktober 2008
Der Baader Meinhof Komplex
Uli Edel, Deutschland 2008
Es geht ein Gespenst um in Filmdeutschland. Eines, das sich gut und gerne einmal im Jahr blicken lässt, seine PR-Maschine anschmeißt und für kurze Zeit "Buhu" und "Huiuiui" ruft. Das Gespenst weiß wie man die Knöpfe drückt, um den deutschen Nerv zu treffen. Um die Qualität seines ausgespienen Produkts muss es sich dabei keine Gedanken machen - Wer mit Hitler winkt, hat auch die abgerissenen Einlasskarten auf seinem Konto.
Der deutsche Film hat seit jeher seine Problemchen die aufreibende Zeit der 70er angemessen narrativieren zu können. DER BAADER MEINHOF KOMPLEX bringt dieses Problem nun vielleicht exakt auf den Punkt. 150 Minuten lang werden 10 Jahre Zeitgeschichte zusammengerafft ohne in irgend einer Weise an das Filmische zu denken. Man hüpft von Ort zu Ereignis, staffiert seine Figuren mit Banalitäten aus und hinterlässt ein belärmtes Schlachtfeld ohne irgendeinen Zugewinn an Austausch, Erkenntnissen oder Ästhetik zu summieren.
Statt dessen: Moritz Bleibtreu als Dorfanarcho, halbstarker Pre-Pop-Punk, cholerisches Allerlei. Sprich: Er selbst in seiner Rolle. Bleibtreu konnte noch nie etwas großartig Anderes spielen als den postpubertären Spinner, den manche sympathisch volksnah, andere aufgeblasen dümmlich nennen. Nach Til Schweiger Deutschlands schönstes Exportprodukt.
An den Nazi-Spass DER UNTERGANG kommt die RAF-Aufarbeitung freilich nicht heran. Trotz eines Bruno Ganz als weise, analytische Kompetenzbombe Horst Herold, bei dessen Darstellung selbstredend immer ein wenig der Führer durchschimmert, obwohl Herold hier ja praktisch die einzig positiv besetzte Figur des ganzen Stückes ist.
Ich würde jetzt auch noch gerne über Martina Gedeck und ihre furchteinflößend schlechte Darstellung der Meinhof schreiben oder das Verschleudern Nadja Uhls als Mohnhaupt, aber wir wollen den Film ja nun nicht als lebendige Madame Tussaud Ausstellung der linken Popkultur verkommen lassen. Ein bisschen mehr (weniger) hat er ja doch zu bieten. Z.B. die herrliche ikonografisierte Darstellung des Holger Meins im Knast (auch hier die gefühlten 5 Minuten die jeder Figur zugestanden werden - für Jesus reicht's aber noch). Moment. Das ist ja schon wieder Rekurrieren auf die Schauspieler. Aber was bleibt einem auch Anderes, wenn die Inszenierung sich an der Abarbeitung von historischen Plot Points aufhält, ohne überhaupt eine Dramaturgie zu entwickeln an der man sich orientieren könnte. 150 Minuten ohne roten Faden (kicher) muss man erstmal im Kopf zusammensetzen.
Muss man aber auch nicht. DER BAADER MEINHOF KOMPLEX ist nutzloses, vor allem auch seelenloses Collagenkino mit behauptetem Pep (daher schon auch Pop). Da gab es zwar schon Schlimmeres, mit Blick auf die Kommerzialisierungsstrategien ist diese Pseudo-Aufarbeitung aber doch schon ein gehöriges Ärgernis.
Filmfest Hamburg 2008 # 5
Ein Staunen ernte ich regelmäßig, wenn es wieder auf geht zum nächsten Filmfestival. Nun, das ist inzwischen 5 Mal im Jahr der Fall, also staunt meine Umgebung gewohnheitsgemäß häufig. Wie ich denn so viele Filme verarbeiten könne? Hintereinander weg! Wie ich denn den ganzen Inhalt behalten könne? Wie ich denn mit so wenig Schlaf auskäme? Tja, wenn die wüssten wie gut man in Kinosesseln schlafen kann und den Kinosaal als Traumvorkammer akzeptieren kann. Und das mit dem Verarbeiten? Da kommst du nun ins Spiel, liebes Filmtagebuch...
Bei aller Kritik, die meiner Cinedrogensucht von vielen Seiten entgegen gebracht wird, ein Argument bleibt einem doch immer noch: Den ganzen Tag Filme gucken ist immerhin besser als euer 9 to 5 Job! Der Protagonist aus Bill Plymptons neusten Streich Idiots and Angels wäre so einer, wenn er nicht wie der Titel besagt ein Idiot wäre. Nun ja, seinen täglichen Weg in die Alkikneipe könnten man allerdings irgendwie auch als 9 to 5 Tätigkeit verstehen. Irgendwann wachsen ihm Flügel, die er erstmal rabiat abrupft, doch irgendwann akzeptieren muss und menschliche Züge annimmt. Plymptons gesellschaftsbeißender Cartoon macht in seiner kurzweiligen Art Spass und lässt die "Spaßfilme" solch eines Festivals auch gerne mal auf der Strecke.
Einer von diesen wäre etwa Terribly Happy vom Dänen Henrik Ruben Genz. Nun ja, ein Spaßfilm ist das nicht direkt, aber einer der seine Kauzigkeit gerne in die Waagschale wirft und damit so eine Art Understatement-Humor etablieren möchte, wie man es die letzten Jahre bis zur Ermüdung aus Skandinavien typischerweise erleben musste. Diese Film-Schrulle handelt von einem City-Polizisten, der aufs misstrauische Dorf versetzt wird und dort den Dienst zwischen seltsamen und verschlossenen gestalten absitzen soll. Allein diese Synopsis verrät alles über den Film. Ein Konstrukt, dass zum Gähnen zwingt. Irgendwann erstickt er dann die Frau vom Dorfalki aus Versehen und der wird beschuldigt und blah blah blah. Am Ende erfreuen sich alle der kauzigen Schnoddrigkeit, mit der diese jederzeit berechenbare Genreware vom vereisten, skandinavischen Fließband seinen üblichen Weg geht. Dass der Film in Karlovy Vary den Hauptpreis gewonnen hat, lässt mich zum ersten Mal in meinem Leben ein Filmfest von der Liste der noch zu besuchenden Festivals herunterstreichen.
Besser an kam da schon der weitaus durchdachtere Däne Fear Me Not von Dogma-Veteran Kristian Levring. Ulrich Thomsen spielt einen Mann, der vom Familienvater zum Psychopathen mutiert durch - wie er glaubt - Medikamententests an denen er teilnimmt. Gut, das mutet schon seltsam an, dass Thomsen mit seiner Familie am vielleicht paradiesischsten Ort der Welt lebt (ein Riesenhaus mit Riesenfenstern am Riesensee mit Riesenwald) und doch an gefährlichen Pillenschluckereien für ein paar müde Mark teilnimmt. Der "Placebo-Witz", der hier schon herumgeisterte und den man auch nach durchlesen der Synopsis vorausahnen kann, ist für den eigentlichen Film so nichtig, dass auch ich ihn hier gerne vorwegnehme. Fear Me Not ist vielmehr bedächtiges, angenehmes Schauspielerkino auf recht hohem Niveau. Ein Film über die Abhängigkeiten, die eine Person gerade in seiner Hybris in seinem Umfeld schaffen kann. Durchaus keine Offenbarung, aber da hätte durchaus Schlimmeres um die Ecke schielen können.
Die Amis zum Beispiel. Die bewiesen am Abend meines fünften Filmtages leider nur Geschmacklosigkeit. Mit Sunshine Cleaning erdreistet sich der gezeigte Film nicht nur, schon im Pretext auf den Erfolf von Little Miss Sunshine aufspringen zu wollen, sondern formuliert dieses Vorhaben in all seinen wieder gewählten Mechanismen zu jeder Sekunde aus. Christine Jeffs bewies mit Rain bereits, dass sie nur Intuitionsfilmchen für postpubertäre Weibchen drehen kann und bekommt hier von den Sunshine-Produzenten (beide Filme) ein exaktes Konstrukt vorgesetzt. Alan Arkin ist wieder als Kauz mit dabei. Das kleine Mädchen wird diesmal von einem kleinen Jungen gespielt. Nur ein Vater fehlt. Dafür wird unmissverständlich klar gemacht: Lesben und Behinderte gehören auch in unsere Gesellschaft und dürfen angedeuteter Weise (!!) vielleicht (!) eventuell (?) auch mal geliebt werden. Das wird im Film aber nicht gemacht. Wäre ja auch schon wieder zu direkt. Hier reicht dann das Ausstellen der dysfunktionalen Familie, zu mehr Konventionsbrüchen ist solch ein kalkuliertes Schmunzeltränen-Kino nicht bereit.
Bei Morgan Spurlocks Where in the World is Osama Bin Laden? musste man schon vor Filmbeginn ein schlechtes Gewissen haben, konnte man doch schon erahnen, dass diesen Humbug wohl die allermeisten klar bei Verstand seienden meiden würden. Spurlock möchte sein Neugeborenes vor dieser bösen Welt schützen und macht sich deshalb auf die Suche nach dem Bösewicht der Bösewichter. Was er eigentlich macht sind aber lauwarme Scherze auf einer kleinen Urlaubsreise in den nahen und mittleren Osten. Das tatsächlich Interessanteste an Spurlocks Eskapaden sind die Reiseeindrücke, die man mit ihm gewinnen kann. Das tatsächlich Enervierendste an Spurlocks Juxereien ist Spurlock selbst. Als aufgeblasener Hampelmann im schlimmsten Raabschen Egomanentum umkreist er stets sich und seine all american family, welche mit den Kulturen abgeglichen wird und am Ende doch ernsthaft in einem pathethisch verkitschtem Schwall gefeiert wird. Das toppt nur noch Spurlock selbst mit seiner finalen Aussage/Einsicht, dass alle Menschen doch friedlich und nett miteinander auskommen sollten, weil es - oh, da schau her - ja überall auch freundlich gesonnene Wesen gibt. Überreicht doch dem Mann mal bitte einer den FIPRESCI-Preis. Am Besten Papst Bene.
Donnerstag, 2. Oktober 2008
Filmfest Hamburg 2008 # 4
Eröffnungs- und Abschlussfilme sind so eine Sache. Da das Filmfest Hamburg kein wirkliches Profil besitzt, und vor allem keinen richtigen Wettbewerb kann die Wahl dieser beiden Filmchen der Veranstaltung wenn schon kein Gesicht dann doch zumindest eine Maske geben. Als Opener wählt man nun regelmäßig deutsche Gebrauchsware, und hieß es erst noch der bestimmt ganz großartige Schnapschuss ins Techno-Submilieu Berlin Calling solle dies sein, änderte das Fest es noch zum nicht minder bemittelten Nordwand. Viel Spass dabei! Tradition verpflichtet. Auch Schlechte.
Der Abschlussfilm immerhin hörte sich zumindest auf dem Papier an als ob man dazu morgens um 10 sein Nickerchen fortsetzen kann, da man sich doch nicht allzu sehr über den Schmonzes auf der Leinwand aufregt. Eldorado handelt von 2 Männekens, die gemeinsam in die weite Welt ziehen, einer ein Griesgram mit weichem Herz, der andere eine bemitleidenswerter Drogie. Stilsicher wandelt der Film dann zwischen traurig sein machen und Schmunzeln so breit die Mundwinkel reichen. Nanu, sowas kennt man doch nur aus Skandinavien?! Nee, die Belgier können das auch ganz gut, und wenn das jetzt schon dort angekommen ist, könnte man dann nicht mal drüber nachdenken sich auch mal wieder an anderen, ehrlicheren Humor umzusehen? Wenn dieser Film ein Profil des Festivals umreißen soll, dann könnten man sich fast schämen hier Dauergast zu sein.
Ein ganz anderes Kaliber dann schon Adhen von Rabah Ameur-Zaïmeche. Der Algerier bringt den Arbeiterfilm zurück aufs Parkett, Marx würde sich da vielleicht freuen. Fragmentarisch erzählt das Werk von einer Schar nordafrikanischer Einwanderer in Frankreich, die sich in einer Paletten-Fabrik verdingen. Es geht um Religion und Arbeit, um Traditionen und Anpassung. Alles mündet in einen offenen Konflikt und Streik. Der Film ist eine Sitzprobe sondergleichen, bleibt ästhetisch naiv und simpel und entfaltet dadurch seine Kraft - wenn man nicht schon längst das Kino verlassen hat.
Spannender da schon, was Pablo Larrain in Tony Manero veranstaltet. Verrückt ist das, bekloppt, hanebüchen, unangenehm. Er schickt uns auf die Reise mit einem Unsympathen, John Travolta-Verehrer und Serienmörder. Letztgenannter Fakt ist ebenso im Nebenbei zu betrachten wie die Pinochet-Diktatur, die dort im Hintergrund rauscht. Denn das Ganze spielt im Chile der 70er Jahre. Da werden Menschen auch mal gefoltert und abgeführt. Das findet aber Off-screen statt, denn unsere Kamera interessiert sich nur für das Ekel Raoul. Der NebenAffekt bedeutet damit auch: Die Morde des Mannes, dessen Schweißperlen wir stets sehen können machen uns mehr zu schaffen als das gesellschaftliche Klima, das wir - wie er - nur partiell wahrnehmen. Ein dreckiger kleiner Film ist das, der bei mir noch Stunden nach der Sichtung für vollkommene Unschlüssigkeit sorgte. Inzwischen weiß ich: Diese Schweinerei gefällt mir. Und eine Zweitsichtung ist nötig.
Glanz und Glorie verbinden sich mit dem Namen Versailles - in Pierre Schöllers gleichnamigen Film sieht der europäische Edelort für gelangweilte Touristen auf einmal ganz düster, dreckig und grau aus. Er erzählt die Geschichte eines Kindes, das immer wieder aufs Neue verstoßen wird. Zunächst von der noch jungen Mutter im Stich gelassen, wächst es bei Aussteigern im Wald auf. Später dann kommt es in eine gutbürgerliche Familie, doch die Bindungsschäden sind inzwischen zu stark sichtbar. In Frankreich läuft etwas gewaltig schief mit dem sozialen Netz. Das verstoßene Kind darf - muss aber auch nicht - gerne sinnbildlich gesehen werden für die Schäden des Rechtsrucks, den die Bürger ertragen müssen. Der Film funktioniert auch deshalb so gut, weil alle Figuren glaubhaft vermittelt werden und die Narben ihrer eigenen Geschichte tragen.
Versailles ist auch deshalb ein schöner Film, weil er keine Künstlichkeit prätendiert. Das Hauptproblem eines der Centerpieces des Festivals - Nuri Bilge Ceylans Three Monkeys. Der Film beschaut sich die Auswirkungen eines Lügenkonstrukts. Ein Vater und Chauffeur für einen führenden Politiker geht für diesen in den Knast. In dieser Zeit vergnügt sich die Ehefrau mit dem selbstverliebten Mann, der die anstehende Wahl trotz der nicht herausgekommenen Affären haushoch verliert. Irgendwann bekommt der Sohn die Situation spitz, der Vater kommt aus dem Knast und die Lage eskaliert... Ceylans Film strotzt nur so vor Schwerfälligkeit in seinen getönten Bildern. Die schroffe Aura, die poetische Tragik in jedem transportierten Bild, die Wortlosigkeit, alles sorgt dafür, dass Three Monkeys lange Zeit ein intensives Filmerlebnis ist. Irgendwann aber wird der Zuschauer dem Gehabe überdrüssig. In Cannes schliefen die Hälfte der Kritiker während der Vorführung ein. Das ist auch kein Wunder, denn wer möchte sich schon 110 Minuten in dieser konstruierten Prätention ergehen? Ceylan macht durch sein Bestehen auf die bleierne Bedachtsamkeit auf die Überlänge erstreckt seinen Film und dessen Wirkung kaputt. Ein interessantes, aber unbefriedigendes Filmerlebnis.
Bliebe noch eine Runde Entspannung: Tokyo! umfasst drei ca 30 Minüter von drei uns bekannten Namen. Michael Gondry präsentiert uns in Interior Design einen Studentenfilm, jeder der mal in einer viel zu kleinen Butze bei Freunden untergekommen ist wird sich hier wiederfinden dürfen. Gondry inszeniert Tokyo wie es für kleines Geld eben aussieht. Enger Raum für junge Menschen. Leos Carax legt es da schon bunter und lauter an: In Merde lässt er ein koboldähnliches Wesen (Denis Lavant) auf die Japaner los, dass diese nicht ausstehen kann und terrorisiert. Carax Parabel auf Terrorismus, Fanboytum und Medien lässt sich kritisch an und erfreut sich des Bumors eines Jean-Pierre Jeunet. Kann also gar nicht so schlecht sein. Joon-ho Bong schaut am Ende noch mit seinem Märchen Shaking Tokyo in die Runde. Ein soziopathischer Einzelgänger und Zwangi schließt sich in seine Wohnung ein bis eines Tages eine Gleichgesinnte seine Denke durcheinanderwirbelt. Für den sympathischen Schnuckel gilt wie für viele Episodenwerke. Schön anzusehen, aber Druck und Erwartungen nicht zu hoch ansetzend eben auch nur verarbeitete Ideechen ohne Anspruch auf allzu große Seriösität.
Der Abschlussfilm immerhin hörte sich zumindest auf dem Papier an als ob man dazu morgens um 10 sein Nickerchen fortsetzen kann, da man sich doch nicht allzu sehr über den Schmonzes auf der Leinwand aufregt. Eldorado handelt von 2 Männekens, die gemeinsam in die weite Welt ziehen, einer ein Griesgram mit weichem Herz, der andere eine bemitleidenswerter Drogie. Stilsicher wandelt der Film dann zwischen traurig sein machen und Schmunzeln so breit die Mundwinkel reichen. Nanu, sowas kennt man doch nur aus Skandinavien?! Nee, die Belgier können das auch ganz gut, und wenn das jetzt schon dort angekommen ist, könnte man dann nicht mal drüber nachdenken sich auch mal wieder an anderen, ehrlicheren Humor umzusehen? Wenn dieser Film ein Profil des Festivals umreißen soll, dann könnten man sich fast schämen hier Dauergast zu sein.
Ein ganz anderes Kaliber dann schon Adhen von Rabah Ameur-Zaïmeche. Der Algerier bringt den Arbeiterfilm zurück aufs Parkett, Marx würde sich da vielleicht freuen. Fragmentarisch erzählt das Werk von einer Schar nordafrikanischer Einwanderer in Frankreich, die sich in einer Paletten-Fabrik verdingen. Es geht um Religion und Arbeit, um Traditionen und Anpassung. Alles mündet in einen offenen Konflikt und Streik. Der Film ist eine Sitzprobe sondergleichen, bleibt ästhetisch naiv und simpel und entfaltet dadurch seine Kraft - wenn man nicht schon längst das Kino verlassen hat.
Spannender da schon, was Pablo Larrain in Tony Manero veranstaltet. Verrückt ist das, bekloppt, hanebüchen, unangenehm. Er schickt uns auf die Reise mit einem Unsympathen, John Travolta-Verehrer und Serienmörder. Letztgenannter Fakt ist ebenso im Nebenbei zu betrachten wie die Pinochet-Diktatur, die dort im Hintergrund rauscht. Denn das Ganze spielt im Chile der 70er Jahre. Da werden Menschen auch mal gefoltert und abgeführt. Das findet aber Off-screen statt, denn unsere Kamera interessiert sich nur für das Ekel Raoul. Der NebenAffekt bedeutet damit auch: Die Morde des Mannes, dessen Schweißperlen wir stets sehen können machen uns mehr zu schaffen als das gesellschaftliche Klima, das wir - wie er - nur partiell wahrnehmen. Ein dreckiger kleiner Film ist das, der bei mir noch Stunden nach der Sichtung für vollkommene Unschlüssigkeit sorgte. Inzwischen weiß ich: Diese Schweinerei gefällt mir. Und eine Zweitsichtung ist nötig.
Glanz und Glorie verbinden sich mit dem Namen Versailles - in Pierre Schöllers gleichnamigen Film sieht der europäische Edelort für gelangweilte Touristen auf einmal ganz düster, dreckig und grau aus. Er erzählt die Geschichte eines Kindes, das immer wieder aufs Neue verstoßen wird. Zunächst von der noch jungen Mutter im Stich gelassen, wächst es bei Aussteigern im Wald auf. Später dann kommt es in eine gutbürgerliche Familie, doch die Bindungsschäden sind inzwischen zu stark sichtbar. In Frankreich läuft etwas gewaltig schief mit dem sozialen Netz. Das verstoßene Kind darf - muss aber auch nicht - gerne sinnbildlich gesehen werden für die Schäden des Rechtsrucks, den die Bürger ertragen müssen. Der Film funktioniert auch deshalb so gut, weil alle Figuren glaubhaft vermittelt werden und die Narben ihrer eigenen Geschichte tragen.
Versailles ist auch deshalb ein schöner Film, weil er keine Künstlichkeit prätendiert. Das Hauptproblem eines der Centerpieces des Festivals - Nuri Bilge Ceylans Three Monkeys. Der Film beschaut sich die Auswirkungen eines Lügenkonstrukts. Ein Vater und Chauffeur für einen führenden Politiker geht für diesen in den Knast. In dieser Zeit vergnügt sich die Ehefrau mit dem selbstverliebten Mann, der die anstehende Wahl trotz der nicht herausgekommenen Affären haushoch verliert. Irgendwann bekommt der Sohn die Situation spitz, der Vater kommt aus dem Knast und die Lage eskaliert... Ceylans Film strotzt nur so vor Schwerfälligkeit in seinen getönten Bildern. Die schroffe Aura, die poetische Tragik in jedem transportierten Bild, die Wortlosigkeit, alles sorgt dafür, dass Three Monkeys lange Zeit ein intensives Filmerlebnis ist. Irgendwann aber wird der Zuschauer dem Gehabe überdrüssig. In Cannes schliefen die Hälfte der Kritiker während der Vorführung ein. Das ist auch kein Wunder, denn wer möchte sich schon 110 Minuten in dieser konstruierten Prätention ergehen? Ceylan macht durch sein Bestehen auf die bleierne Bedachtsamkeit auf die Überlänge erstreckt seinen Film und dessen Wirkung kaputt. Ein interessantes, aber unbefriedigendes Filmerlebnis.
Bliebe noch eine Runde Entspannung: Tokyo! umfasst drei ca 30 Minüter von drei uns bekannten Namen. Michael Gondry präsentiert uns in Interior Design einen Studentenfilm, jeder der mal in einer viel zu kleinen Butze bei Freunden untergekommen ist wird sich hier wiederfinden dürfen. Gondry inszeniert Tokyo wie es für kleines Geld eben aussieht. Enger Raum für junge Menschen. Leos Carax legt es da schon bunter und lauter an: In Merde lässt er ein koboldähnliches Wesen (Denis Lavant) auf die Japaner los, dass diese nicht ausstehen kann und terrorisiert. Carax Parabel auf Terrorismus, Fanboytum und Medien lässt sich kritisch an und erfreut sich des Bumors eines Jean-Pierre Jeunet. Kann also gar nicht so schlecht sein. Joon-ho Bong schaut am Ende noch mit seinem Märchen Shaking Tokyo in die Runde. Ein soziopathischer Einzelgänger und Zwangi schließt sich in seine Wohnung ein bis eines Tages eine Gleichgesinnte seine Denke durcheinanderwirbelt. Für den sympathischen Schnuckel gilt wie für viele Episodenwerke. Schön anzusehen, aber Druck und Erwartungen nicht zu hoch ansetzend eben auch nur verarbeitete Ideechen ohne Anspruch auf allzu große Seriösität.
Sonntag, 28. September 2008
Filmfest Hamburg 2008 # 1+2
From low culture to low culture
Eine hochgeschätzte Schreiberin aus der taz erquickt sich regelmäßig daran, dass auf Filmfestivals (v.a. Venedig) auch mal B-Movies oder von ihr betitelte Abbildungen der "low culture" ihren Platz finden. Dass sollte auch auf dem Filmfest Hamburg nicht anders sein, und so startete die Filmrundschau für mich persönlich dieses Jahr mit dem Sundance-Erfolg und potentiellen San Sebastian Sieger Frozen River von Courtney Hunt (nein, den Opener Nordwand habe ich mir wohlweislich nicht gegeben. Nichts kann einem schlechtere Laune bereiten als die trendige deutschtümelnde "Geschichtsaufarbeitung"). Der kleine Ami konzentriert sich auf das White Trash Milieu im State of New York und beobachtet eine vom Leben gezeichnete Mutter bei ihren Bemühungen durch das Schleusen illegaler Einwanderer das letzte, nötige Cash zusammenzukratzen. Wo Überlebenkampf endet und Menschlichkeit anfängt beschreibt das verschneite Drama in ruhigen Bildern. Eine "low culture" beschreibt auch der argentinische Zeitdehner Liverpool von Lisandro Alonso. Der Film gehört zu den Kandidaten, die ihre ungläubig zu bestaunenden Landschaftsbilder ausstellen (das ländliche Argentinien von Schnee bedeckt) und meinen damit alles gesagt zu haben. Die Geschichte des blass-trüben Seemanns, der seine Mutter, die ihn nicht mehr wiedererkennt, besucht könnte jedenfalls nicht unmaßgeblicher sein. Die Kamera bleibt hängen an ihren elend-langen Einstellungen und penetriert die Nerven des Zuschauers. Die Hälfte des Publikums hat dies nicht durchgehalten.
Filmfest hin oder her, unglücklicherweise wurde ein weiterer, großer Event der low culture auf diesen Freitag gelegt, nämlich das Fußballrowdytum, das sich allwöchentlich über Testosteron - besser: Bierbauch-Deutschland legt, hatte einen Pflichttermin zu verbuchen: Nach 6 Jahren spielte der FC St.Pauli wieder bei Hansa Rostock. Das bedeutete in vergangenen Tagen (den 90ern) 10% rechte Stiernacken-Hools und 90% durchtrainierte Bierbauch-Bauern treffen auf allerlei linkes Gesindel vom gemäßigten Pädagogik-Studenten bis zum radikalen Antifa. Heutzutage sieht das Bild nicht viel anders aus, doch irgendwie sind alle müde geworden und hängen nur noch schlaff in der Kurve. So fuhren wir auch gleich in einer Karre mit einem Rostocker Anhänger (30-jähriger Ex-BWL-Student, Gel-Haar, Kennzeichen: markige Runterbuttersprüche) und einem Pauli-Fan (19, Zivi, Ziegenbärtchen). Alles nicht mehr so dicke mit der Feindschaft, und so sah das behäbige 3:0 auch wie ein Sieg gegen jeden anderen Gegner aus, wenngleich die Fans ihre kreativen "Scheiß Pauli" Rufe gut und gerne alle 5 Minuten erneut aufführten. Das heilige Ritual von Menschenähnlichem hinter mir bepöbelt und angemacht zu werden durfte nicht fehlen, hier zeigte sich Fußballgott allerdings ungleich kreativer als beim Spiel an sich und ließ eine Dorfdiscopille mit dem Charme einer echten Nordostdeutschen die Worte "Du Scheiß Eunuch!" mehrmals wiederholen. Mein Beklatschen zur kreativen Wortwahl wurde mit Bespucken quittiert. Das ist doch mal ein fairer Gestenabklatsch oder?!
From low culture to high culture
Zurück beim Filmfest heute in aller Herrgottsfrühe erwartete mich zunächst einmal filmkünstlerisch Hochwertiges: Der Brite Terence Davies erschafft mit Of Time and the City eine Hommage an Liverpool, eine Filmcollage mit viel Archivfootage und Elegie, deren Bilder leider anscheinend nicht für sich selbst stehen können und einen Märchenerzähler an die Seite gestellt bekommen, der die Tonspur durchweg dominiert. Der große mexikanische Abräumer beim Festival in Guadalajara The Desert Within im Anschluss benötigt solcherlei Erzählmodus nicht. Das bleischwere katholische Drama berichtet vom Vater, der seinem Fehler das Leben eines Priesters durch den Egoismus sein Kind unbedingt taufen lassen zu wollen aufs Spiel setzt, in religiösem Übereifer ummünzt und die Schuld auf das getaufte Kind projiziert. Die Tiefe Tragik und der herunterziehende Gemüt des Films ändern nichts an den zwei möglichen Lesarten - neben jener der Kritik eines religiösem Fanatismus gibt es auch den Präsenzgestus, der an Erhabenheit und tiefer Erfurcht vor dem Katholizismus nichts vermissen lässt. Technisch perfekt umgesetzt, schwitzt man als Betrachter ob des Popanz doch etwas.
Gut und gerne als schwarz/weiß-Reinfall möchte ich All That She Wants von der "kanadischen Arthouse-Hoffnung" (Programmheft) Denis Côté bezeichnen. In lässiger Lethargie wird hier kanadischer White Trash (Aha, wieder unten angekommen!) gezeigt, und irgendwo zwischen den "Schockbildern" einer angedachten Vergewaltigung einer minderjährigen Russin und dem Stemmen gegen eine "männerdominierte Welt" (nochmal Programmheft) darf sich jeder seinen eigenen Reim auf einen Film machen, dessen Figuren nicht kaltherziger gezeichnet hätten werden können. Das Gleiche in schwarz (man verzeihe mir diesen Kalauer) dann im Anschluss aus Südafrika mit Darrell Roodts Zimbabwe, nur ungleich naiver, arthousebefreiter, moralverseuchter und technisch abgefuckter. An die Digitalkamera ohne Windschutz muss man sich erstmal gewöhnen, irgendwann klappt es aber und wir bekommen die Geschichte eines Mädchens erzählt, das nach dem HIV-Tod der Eltern nacheinander von Tante, Cousin, Zwischenhändler, Aufsichtsperson und weißem Chef und Chefin (bei denen sie putzt) ausgenutzt wird. Dem schnurgeraden Filmchen steht es da gut zu Gesicht, dass er seine Figuren rund um die Hauptfigur bitterböse zeichnet und am Ende nicht davor zurückschreckt gleich auf 3 Vergewaltigungen anzuspielen. Keine Frage, die Weißen sind hier vor allem die Bösewichter in ihren Stahlzaunkolossen in Johannesburg, aber damit möchte ich eigentlich kein Problem haben. Eher vielleicht mit dem zu stark im Vordergrund stehenden Dilettantismus und der simplen Moral am Ende.
Angekommen in der Höchstkultur
Eigentlich mal Zeit für einen guten Film, oder?! Mit Adoration verband ich am heutigen Tage meine größten Hoffnungen. Der kanadische Arthouseliebling mit ägyptisch-armenischen Wurzeln - Atom Egoyan - bekam den Douglas-Sirk-Preis verliehen, und wie schon im letzten Jahr gab es in der Hamburger Gute-Laune-Kultur-Society erst einmal eine Laudatio. Eine doppelte wohlgemerkt, denn er bemüßigte sich nach dem selbstbeweihräucherndem Auftritt von Wim Wenders auch Vizebürgermeisterin Christa Goetsch auf die Bühne. Nachdem Wenders schläfrige olle Kamellen aus der Mottenkiste ausgepackt hatte (in den 80ern hat er seinen Preis in Montreal an den damals noch jungen Egoyan weitergereicht - Klatsch! Klatsch! Herr Wenders), durfte Goetsch den Namen des Geehrten auch nochmal falsch aussprechen, um sich dann über sein "Oevre", dass er ja besitzt wie Festivalleiter Albert Widerspiel so gedankenscharf feststellte, zu freuen. Die ganze Chose gab es ja im letzten Jahr bereits ebenfalls, nur konnte/wollte sich dort Laudator Matussek nicht so lange auf der Bühne halten wie es Wenders und Goetsch taten. Nach 45 Minuten durfte dann der Film beginnen. Mein erster Egoyan begann erwartet bedeutungsschwer, aufgeladen und verstrickt. "Assoziativ" wurde das genannt, nun ja, anstregend und figurendistanziert ist es zunächst. Das Besondere am neuen (und den alten?) Egoyan ist nun die langsam greifende Psychologisierung der Protagonisten. Weiter und weiter dringt man in ihre Welt vor, erfährt informationsmanagementmäßig hübsch gelöst viele charakterliche Wendungen und muss sich umorientieren. "Plottwists" mag der Film zwar auch, die sind aber tatsächlich nur Nebensache. Stattdessen dominieren zunächst viele angeschnittene Diskurse - Terrorismus und seine Argumentationslogik, Xenophobie, die Möglichkeit von Ver- und Misstrauen in der aktuellen Gesellschaft, Identitätsfindung bei gleichzeitiger Trauerverarbeitung. Alles bekommt seinen Spielraum, am Ende interessieren jedoch allein die Figuren. Wer hier welche Rolle hatte - das auch, aber weniger als etwa wer hier welche Gefühlsachterbahnen durchmachen musste. Ein schöner Film, der Lust auf mehr vom Egoyan macht, die glücklicherweise demnächst im Metropolis-Kino befriedigt werden darf. (oder auch nicht, wie ich gerade lese, da sich die Werkschau auf 3 Tage während des Fests beschränken)
Aus Belgien dann zum Abschluss des Tages 2 ein verknappter, entschlackter Michael Haneke: Happy Together von Geoffrey Enthoven erzählt von einer einer Bürgerlichkeit, die beim ersten Anzeichen von Misserfolg zusammenbricht. Das ist nicht besonders originell und durchaus plakativ, aber sowas sieht man allemal lieber als Steppenfilme über Bergbauern aus Kasachstan.
Eine hochgeschätzte Schreiberin aus der taz erquickt sich regelmäßig daran, dass auf Filmfestivals (v.a. Venedig) auch mal B-Movies oder von ihr betitelte Abbildungen der "low culture" ihren Platz finden. Dass sollte auch auf dem Filmfest Hamburg nicht anders sein, und so startete die Filmrundschau für mich persönlich dieses Jahr mit dem Sundance-Erfolg und potentiellen San Sebastian Sieger Frozen River von Courtney Hunt (nein, den Opener Nordwand habe ich mir wohlweislich nicht gegeben. Nichts kann einem schlechtere Laune bereiten als die trendige deutschtümelnde "Geschichtsaufarbeitung"). Der kleine Ami konzentriert sich auf das White Trash Milieu im State of New York und beobachtet eine vom Leben gezeichnete Mutter bei ihren Bemühungen durch das Schleusen illegaler Einwanderer das letzte, nötige Cash zusammenzukratzen. Wo Überlebenkampf endet und Menschlichkeit anfängt beschreibt das verschneite Drama in ruhigen Bildern. Eine "low culture" beschreibt auch der argentinische Zeitdehner Liverpool von Lisandro Alonso. Der Film gehört zu den Kandidaten, die ihre ungläubig zu bestaunenden Landschaftsbilder ausstellen (das ländliche Argentinien von Schnee bedeckt) und meinen damit alles gesagt zu haben. Die Geschichte des blass-trüben Seemanns, der seine Mutter, die ihn nicht mehr wiedererkennt, besucht könnte jedenfalls nicht unmaßgeblicher sein. Die Kamera bleibt hängen an ihren elend-langen Einstellungen und penetriert die Nerven des Zuschauers. Die Hälfte des Publikums hat dies nicht durchgehalten.
Filmfest hin oder her, unglücklicherweise wurde ein weiterer, großer Event der low culture auf diesen Freitag gelegt, nämlich das Fußballrowdytum, das sich allwöchentlich über Testosteron - besser: Bierbauch-Deutschland legt, hatte einen Pflichttermin zu verbuchen: Nach 6 Jahren spielte der FC St.Pauli wieder bei Hansa Rostock. Das bedeutete in vergangenen Tagen (den 90ern) 10% rechte Stiernacken-Hools und 90% durchtrainierte Bierbauch-Bauern treffen auf allerlei linkes Gesindel vom gemäßigten Pädagogik-Studenten bis zum radikalen Antifa. Heutzutage sieht das Bild nicht viel anders aus, doch irgendwie sind alle müde geworden und hängen nur noch schlaff in der Kurve. So fuhren wir auch gleich in einer Karre mit einem Rostocker Anhänger (30-jähriger Ex-BWL-Student, Gel-Haar, Kennzeichen: markige Runterbuttersprüche) und einem Pauli-Fan (19, Zivi, Ziegenbärtchen). Alles nicht mehr so dicke mit der Feindschaft, und so sah das behäbige 3:0 auch wie ein Sieg gegen jeden anderen Gegner aus, wenngleich die Fans ihre kreativen "Scheiß Pauli" Rufe gut und gerne alle 5 Minuten erneut aufführten. Das heilige Ritual von Menschenähnlichem hinter mir bepöbelt und angemacht zu werden durfte nicht fehlen, hier zeigte sich Fußballgott allerdings ungleich kreativer als beim Spiel an sich und ließ eine Dorfdiscopille mit dem Charme einer echten Nordostdeutschen die Worte "Du Scheiß Eunuch!" mehrmals wiederholen. Mein Beklatschen zur kreativen Wortwahl wurde mit Bespucken quittiert. Das ist doch mal ein fairer Gestenabklatsch oder?!
From low culture to high culture
Zurück beim Filmfest heute in aller Herrgottsfrühe erwartete mich zunächst einmal filmkünstlerisch Hochwertiges: Der Brite Terence Davies erschafft mit Of Time and the City eine Hommage an Liverpool, eine Filmcollage mit viel Archivfootage und Elegie, deren Bilder leider anscheinend nicht für sich selbst stehen können und einen Märchenerzähler an die Seite gestellt bekommen, der die Tonspur durchweg dominiert. Der große mexikanische Abräumer beim Festival in Guadalajara The Desert Within im Anschluss benötigt solcherlei Erzählmodus nicht. Das bleischwere katholische Drama berichtet vom Vater, der seinem Fehler das Leben eines Priesters durch den Egoismus sein Kind unbedingt taufen lassen zu wollen aufs Spiel setzt, in religiösem Übereifer ummünzt und die Schuld auf das getaufte Kind projiziert. Die Tiefe Tragik und der herunterziehende Gemüt des Films ändern nichts an den zwei möglichen Lesarten - neben jener der Kritik eines religiösem Fanatismus gibt es auch den Präsenzgestus, der an Erhabenheit und tiefer Erfurcht vor dem Katholizismus nichts vermissen lässt. Technisch perfekt umgesetzt, schwitzt man als Betrachter ob des Popanz doch etwas.
Gut und gerne als schwarz/weiß-Reinfall möchte ich All That She Wants von der "kanadischen Arthouse-Hoffnung" (Programmheft) Denis Côté bezeichnen. In lässiger Lethargie wird hier kanadischer White Trash (Aha, wieder unten angekommen!) gezeigt, und irgendwo zwischen den "Schockbildern" einer angedachten Vergewaltigung einer minderjährigen Russin und dem Stemmen gegen eine "männerdominierte Welt" (nochmal Programmheft) darf sich jeder seinen eigenen Reim auf einen Film machen, dessen Figuren nicht kaltherziger gezeichnet hätten werden können. Das Gleiche in schwarz (man verzeihe mir diesen Kalauer) dann im Anschluss aus Südafrika mit Darrell Roodts Zimbabwe, nur ungleich naiver, arthousebefreiter, moralverseuchter und technisch abgefuckter. An die Digitalkamera ohne Windschutz muss man sich erstmal gewöhnen, irgendwann klappt es aber und wir bekommen die Geschichte eines Mädchens erzählt, das nach dem HIV-Tod der Eltern nacheinander von Tante, Cousin, Zwischenhändler, Aufsichtsperson und weißem Chef und Chefin (bei denen sie putzt) ausgenutzt wird. Dem schnurgeraden Filmchen steht es da gut zu Gesicht, dass er seine Figuren rund um die Hauptfigur bitterböse zeichnet und am Ende nicht davor zurückschreckt gleich auf 3 Vergewaltigungen anzuspielen. Keine Frage, die Weißen sind hier vor allem die Bösewichter in ihren Stahlzaunkolossen in Johannesburg, aber damit möchte ich eigentlich kein Problem haben. Eher vielleicht mit dem zu stark im Vordergrund stehenden Dilettantismus und der simplen Moral am Ende.
Angekommen in der Höchstkultur
Eigentlich mal Zeit für einen guten Film, oder?! Mit Adoration verband ich am heutigen Tage meine größten Hoffnungen. Der kanadische Arthouseliebling mit ägyptisch-armenischen Wurzeln - Atom Egoyan - bekam den Douglas-Sirk-Preis verliehen, und wie schon im letzten Jahr gab es in der Hamburger Gute-Laune-Kultur-Society erst einmal eine Laudatio. Eine doppelte wohlgemerkt, denn er bemüßigte sich nach dem selbstbeweihräucherndem Auftritt von Wim Wenders auch Vizebürgermeisterin Christa Goetsch auf die Bühne. Nachdem Wenders schläfrige olle Kamellen aus der Mottenkiste ausgepackt hatte (in den 80ern hat er seinen Preis in Montreal an den damals noch jungen Egoyan weitergereicht - Klatsch! Klatsch! Herr Wenders), durfte Goetsch den Namen des Geehrten auch nochmal falsch aussprechen, um sich dann über sein "Oevre", dass er ja besitzt wie Festivalleiter Albert Widerspiel so gedankenscharf feststellte, zu freuen. Die ganze Chose gab es ja im letzten Jahr bereits ebenfalls, nur konnte/wollte sich dort Laudator Matussek nicht so lange auf der Bühne halten wie es Wenders und Goetsch taten. Nach 45 Minuten durfte dann der Film beginnen. Mein erster Egoyan begann erwartet bedeutungsschwer, aufgeladen und verstrickt. "Assoziativ" wurde das genannt, nun ja, anstregend und figurendistanziert ist es zunächst. Das Besondere am neuen (und den alten?) Egoyan ist nun die langsam greifende Psychologisierung der Protagonisten. Weiter und weiter dringt man in ihre Welt vor, erfährt informationsmanagementmäßig hübsch gelöst viele charakterliche Wendungen und muss sich umorientieren. "Plottwists" mag der Film zwar auch, die sind aber tatsächlich nur Nebensache. Stattdessen dominieren zunächst viele angeschnittene Diskurse - Terrorismus und seine Argumentationslogik, Xenophobie, die Möglichkeit von Ver- und Misstrauen in der aktuellen Gesellschaft, Identitätsfindung bei gleichzeitiger Trauerverarbeitung. Alles bekommt seinen Spielraum, am Ende interessieren jedoch allein die Figuren. Wer hier welche Rolle hatte - das auch, aber weniger als etwa wer hier welche Gefühlsachterbahnen durchmachen musste. Ein schöner Film, der Lust auf mehr vom Egoyan macht, die glücklicherweise demnächst im Metropolis-Kino befriedigt werden darf. (oder auch nicht, wie ich gerade lese, da sich die Werkschau auf 3 Tage während des Fests beschränken)
Aus Belgien dann zum Abschluss des Tages 2 ein verknappter, entschlackter Michael Haneke: Happy Together von Geoffrey Enthoven erzählt von einer einer Bürgerlichkeit, die beim ersten Anzeichen von Misserfolg zusammenbricht. Das ist nicht besonders originell und durchaus plakativ, aber sowas sieht man allemal lieber als Steppenfilme über Bergbauern aus Kasachstan.
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