Sonntag, 5. Oktober 2008

Filmfest Hamburg 2008 # 5

Ein Staunen ernte ich regelmäßig, wenn es wieder auf geht zum nächsten Filmfestival. Nun, das ist inzwischen 5 Mal im Jahr der Fall, also staunt meine Umgebung gewohnheitsgemäß häufig. Wie ich denn so viele Filme verarbeiten könne? Hintereinander weg! Wie ich denn den ganzen Inhalt behalten könne? Wie ich denn mit so wenig Schlaf auskäme? Tja, wenn die wüssten wie gut man in Kinosesseln schlafen kann und den Kinosaal als Traumvorkammer akzeptieren kann. Und das mit dem Verarbeiten? Da kommst du nun ins Spiel, liebes Filmtagebuch...
Bei aller Kritik, die meiner Cinedrogensucht von vielen Seiten entgegen gebracht wird, ein Argument bleibt einem doch immer noch: Den ganzen Tag Filme gucken ist immerhin besser als euer 9 to 5 Job! Der Protagonist aus Bill Plymptons neusten Streich Idiots and Angels wäre so einer, wenn er nicht wie der Titel besagt ein Idiot wäre. Nun ja, seinen täglichen Weg in die Alkikneipe könnten man allerdings irgendwie auch als 9 to 5 Tätigkeit verstehen. Irgendwann wachsen ihm Flügel, die er erstmal rabiat abrupft, doch irgendwann akzeptieren muss und menschliche Züge annimmt. Plymptons gesellschaftsbeißender Cartoon macht in seiner kurzweiligen Art Spass und lässt die "Spaßfilme" solch eines Festivals auch gerne mal auf der Strecke.
Einer von diesen wäre etwa Terribly Happy vom Dänen Henrik Ruben Genz. Nun ja, ein Spaßfilm ist das nicht direkt, aber einer der seine Kauzigkeit gerne in die Waagschale wirft und damit so eine Art Understatement-Humor etablieren möchte, wie man es die letzten Jahre bis zur Ermüdung aus Skandinavien typischerweise erleben musste. Diese Film-Schrulle handelt von einem City-Polizisten, der aufs misstrauische Dorf versetzt wird und dort den Dienst zwischen seltsamen und verschlossenen gestalten absitzen soll. Allein diese Synopsis verrät alles über den Film. Ein Konstrukt, dass zum Gähnen zwingt. Irgendwann erstickt er dann die Frau vom Dorfalki aus Versehen und der wird beschuldigt und blah blah blah. Am Ende erfreuen sich alle der kauzigen Schnoddrigkeit, mit der diese jederzeit berechenbare Genreware vom vereisten, skandinavischen Fließband seinen üblichen Weg geht. Dass der Film in Karlovy Vary den Hauptpreis gewonnen hat, lässt mich zum ersten Mal in meinem Leben ein Filmfest von der Liste der noch zu besuchenden Festivals herunterstreichen.
Besser an kam da schon der weitaus durchdachtere Däne Fear Me Not von Dogma-Veteran Kristian Levring. Ulrich Thomsen spielt einen Mann, der vom Familienvater zum Psychopathen mutiert durch - wie er glaubt - Medikamententests an denen er teilnimmt. Gut, das mutet schon seltsam an, dass Thomsen mit seiner Familie am vielleicht paradiesischsten Ort der Welt lebt (ein Riesenhaus mit Riesenfenstern am Riesensee mit Riesenwald) und doch an gefährlichen Pillenschluckereien für ein paar müde Mark teilnimmt. Der "Placebo-Witz", der hier schon herumgeisterte und den man auch nach durchlesen der Synopsis vorausahnen kann, ist für den eigentlichen Film so nichtig, dass auch ich ihn hier gerne vorwegnehme. Fear Me Not ist vielmehr bedächtiges, angenehmes Schauspielerkino auf recht hohem Niveau. Ein Film über die Abhängigkeiten, die eine Person gerade in seiner Hybris in seinem Umfeld schaffen kann. Durchaus keine Offenbarung, aber da hätte durchaus Schlimmeres um die Ecke schielen können.
Die Amis zum Beispiel. Die bewiesen am Abend meines fünften Filmtages leider nur Geschmacklosigkeit. Mit Sunshine Cleaning erdreistet sich der gezeigte Film nicht nur, schon im Pretext auf den Erfolf von Little Miss Sunshine aufspringen zu wollen, sondern formuliert dieses Vorhaben in all seinen wieder gewählten Mechanismen zu jeder Sekunde aus. Christine Jeffs bewies mit Rain bereits, dass sie nur Intuitionsfilmchen für postpubertäre Weibchen drehen kann und bekommt hier von den Sunshine-Produzenten (beide Filme) ein exaktes Konstrukt vorgesetzt. Alan Arkin ist wieder als Kauz mit dabei. Das kleine Mädchen wird diesmal von einem kleinen Jungen gespielt. Nur ein Vater fehlt. Dafür wird unmissverständlich klar gemacht: Lesben und Behinderte gehören auch in unsere Gesellschaft und dürfen angedeuteter Weise (!!) vielleicht (!) eventuell (?) auch mal geliebt werden. Das wird im Film aber nicht gemacht. Wäre ja auch schon wieder zu direkt. Hier reicht dann das Ausstellen der dysfunktionalen Familie, zu mehr Konventionsbrüchen ist solch ein kalkuliertes Schmunzeltränen-Kino nicht bereit.
Bei Morgan Spurlocks Where in the World is Osama Bin Laden? musste man schon vor Filmbeginn ein schlechtes Gewissen haben, konnte man doch schon erahnen, dass diesen Humbug wohl die allermeisten klar bei Verstand seienden meiden würden. Spurlock möchte sein Neugeborenes vor dieser bösen Welt schützen und macht sich deshalb auf die Suche nach dem Bösewicht der Bösewichter. Was er eigentlich macht sind aber lauwarme Scherze auf einer kleinen Urlaubsreise in den nahen und mittleren Osten. Das tatsächlich Interessanteste an Spurlocks Eskapaden sind die Reiseeindrücke, die man mit ihm gewinnen kann. Das tatsächlich Enervierendste an Spurlocks Juxereien ist Spurlock selbst. Als aufgeblasener Hampelmann im schlimmsten Raabschen Egomanentum umkreist er stets sich und seine all american family, welche mit den Kulturen abgeglichen wird und am Ende doch ernsthaft in einem pathethisch verkitschtem Schwall gefeiert wird. Das toppt nur noch Spurlock selbst mit seiner finalen Aussage/Einsicht, dass alle Menschen doch friedlich und nett miteinander auskommen sollten, weil es - oh, da schau her - ja überall auch freundlich gesonnene Wesen gibt. Überreicht doch dem Mann mal bitte einer den FIPRESCI-Preis. Am Besten Papst Bene.
   

Keine Kommentare: