Darren Aronofsky, USA 2008
Narben und Narkose. Nascar und nasty american white trash. Was haben wir mit dem Kerl dort auf der Leinwand zu tun? Mickey Rourke spielt Randy "The Ram" Robinson, einen all american Wrestler aus den End-80ern, der nun 20 Jahre später im Trailerpark dahinvegetiert. Ich fragte mich schon, wer sowas denn sehen wolle als ich erstmals davon hörte. Klar, Aronofsky ist interessiert am Mythos, der eigenen Kindheitserinnerung, am Tragischen der Geschichte eines alternden Wrestlers (man riskiere mal einen Blick auf youtube oder wikipedia, viele der werten Herren fanden sich zwischen 30 und 45 bereits im Kreise ihrer Urahnen wieder). Klar, einen klasse Film kann man daraus eh machen. Nur das Arthouse-Publikum ist doch spätestens seit The Fountain verschreckt, der Mainstream fällt bei dem Thema eh aus. Also wer soll das gucken?
Zumindest Cinemaniacs bleiben übrig. Und Volk, das in den 80ern und 90ern mit dem Wrestling als Spasspark und Zirkusersatz im Fernsehen aufgewachsen ist. Da ich mich zu beiden Parteien zähle also ein Film für mich. Aber bitte sehr, was frage ich denn hier - Aronofsky hat eh immer Filme für mich gemacht!
Back to the roots sagt der Gassenhauer. Ja, die over the shoulder geschnallte Kamera und das Thema begeben sich wieder in bodenständigere Gefilde. Vor 2 Jahren trieb es Aronofsky noch im Weltall und im Mittelalter, heute im Trailerpark des weißen Abschaums seines Landes. Es sind auch mal wieder schnelle shots dabei, leicht improvisiertes, schlecht ausgeleuchtetes. The Wrestler erinnert hier und da an seinen Erstling Pi.
Und auch thematisch darf man Parallelen erkennen. Oberflächlich war Pi ein Thriller und ist The Wrestler eine Biographie. Beide Filme erzählen aber weitaus mehr, beide Filme bemühen sich ernsthaft um ihre zentralen Figuren. Sie erzählen über Einsamkeit, Entfremdung, Isolierung, vom täglichen Fristen in seiner Kaste, seinem System, was sich beide Protagonisten aufgebaut haben und aus dem sie sich nicht mehr befreien können.
Besonders "herzzerreißend" (Wenders) ist dabei der verständnisvolle, zärtliche Blick Aronofskys. Selten hat die Kamera soviel Mitleid bei gleichzeitigem Respekt für den Protagonisten transportiert. Der Film liebt seine Figur, die es ihm erlaubt zu atmen - und das weiß er.
Schwer einzuschätzen, ob je die Gefahr bestand, dass Rourke irgendwie lächerlich wirken könnte in seiner Performance. Er tut es nicht, und weiß mit Stolz und Anstand seine Rolle des verletzten Einzelkämpfers zu verkörpern. Aprospos Verletzungen und Körper. The Wrestler ist selbstverständlich ein Film der puren Körperlichkeit. Rourkes muskulöses, zerschreddertes Gewebe spielt die Hauptrolle, es geht um Narben, Blut und nochmal Narben jeglicher Coleur. Es schmerzt vielfach hinzusehen, auf vielen Ebenen.
Man nähert sich mit diesen Gedanken auch der Frage, ob das nicht auch jemand Anderes so gut hinbekommen hätte wie Aronofsky und sein Team. Es ist schließlich der erste Film, bei dem er nicht das Drehbuch mitverfasste. Es hätte vielleicht, ja. Und doch tun sich vielerlei Motive und Ideen auf, ohne deren Grundlage dieses Werk nicht zu denken wäre. Vom Einzelmoment der emotionalen Entkopplung und Entfesslung des Protagonisten schrieb ich bereits (Burstyn in Requiem setzt dahingehend immer noch Maßstäbe). Von der harten Darstellung einer schroffen Körperlichkeit, die an die Nieren geht war die Rede. Auch das kennen wir aus allen vorhergehenden Filmen Aronofskys. Der Vergleich mit Pi, richtig. Und das Sounddesign! Clint Mansells entrückter Score. Die soundcollagenhafte Montage in Momenten der inneren Anspannung (sowohl des Protagonisten als auch des Films) sind auffällig. Ansonsten viel Zurücknahme und Dezenz.
Wie üblich in großen Werken bleiben trotz der Pietät viele großartige Szenen im Kopf zurück. Rourkes emotionales Geständis gegenüber seiner Tochter vor einem leeren, ausgehöhlten Casino am Strand von Coney Island. Rourkes Weg zur Arbeit als Fleischverkäufer. Rourkes letzer Blick in die leere Tribüne. Und das alles mit ziemlich wenig Pathos versehen.
The Wrestler ist ein fast schlichtes Drama über einen schlichten Typen. Entgegen der üblichen Bio-Pics liebt der Film seine verlorene, verlassene Figur. Er schmäht nicht einmal das Milieu des republikanischen low class Amerikas. Er hat einfach Mitleid und einen Blick fürs tägliche Leid. Am Ende ersäuft sich "The Ram" in seinem letzten, fast chimärenhaften Ruhm. Vor der amerikanischen Flagge torkelt er mit letzter Kraft. Die bändigende Weiblichkeit (Marisa Tomei und Evan Rachel Wood) hat ihn verlassen, weil er's verbockt hat. Er ist wieder allein, in seinem letzten Kampf. Der Ayatollah sein Gegner von vor 20 Jahren und das der Film gerade jetzt herauskommt und diese Parallelen zum politischen Treiben gegen Ende so sichtbar werden ist eigentlich fast gar keine Bemerkung wert.
Irgendwie wirkt The Wrestler trotz allem fast wie im Vorübergehen angefertigt. Aronofsky hat in den 6 Jahren Arbeit an The Fountain eine Menge Zeit verloren, nun zeigt er im 4/4-Takt, was er für Potenzial besitzt. The Wrestler ist noch einmal ein ganz anderer Film als seine drei Vorhergehenden. Und doch wieder, ganz der qualitativen Konstanz verschrieben. Dieses Mal mit dem Blick von der Straße auf die Straße. Ungeschönt, ehrlich, obsessiv. Wie es Kino sein sollte.
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