Ein gern gesehenes Bild heutzutage und wohl auf ewig sind die sich streitenden Studenten. Der Eine tritt vehement für den Sozialismus, der Andere für die Anarchie ein. Wenn's dicke kommt, mag da sogar noch ein Jura-Gelhaar mit bei sein, der den Neoliberaismus großspurig verteidigt.
Mancherorts gibt's keine Diskussionen mehr, sondern derlei gelebte, praktizierte Ideologie. Ein Kind wie Johnny Mad Dog beispielweise schlägt sich nicht argumentativ, sondern nur schreiend und wild polternd durch das Gebüsch. Jean-Stéphane Sauvaire liberianischer Kindersoldatenfilm war bereits ausverkauft und ich dachte mir "Nicht so schlimm, ist wahrscheinlich eh wieder nur die jährliche gutmenschliche Geste des Festivals, qualitätsarm und unangemessen." Und doch schlüpfte ich noch auf die letzte Sekunde hinein und durfte mehr als überrascht sein. Der belgisch-französisch cofinanzierte Kriegsfilm ist beinahe ein Genrefilm, ein formal-ästhetisches Gebilde mit durchdachter Basis. Der Film klebt 100 Minuten an seinen kindlichen Protagonisten, schmeißt uns ins Kriegsgebiet, hetzt von einer Grausamkeit zur nächsten. Keine Effekte, einfach die Wahrheit. Keine Vernarrativierung wie der letztjährige Ezra, sondern ein Lebensstrang, den wir entlang hangeln müssen. 100 Minuten Geschrei, sehr viel Geschrei, Schlachtrufe, Kriegsgesänge, Blut, Hinrichtung, Drogenrausch, Demütigung, Animalisches, die Lust an der puren Unterdrückung. Ein Kriegsfilm, aber nochmals sei betont keiner, der nur den Affekt des Zuschauers im Blick hat, sondern vor allem sein Sujet und dessen Rest menschlichen Antlitz, den man doch so vergeblich sucht. Einsicht oder Rationalität sind ferner als alles andere, hier zählt nur noch der Moment des dauerhaften Ausnahmezustands. Eine andere Welt? Unsere Welt!
Sauvaire ist da etwas gelungen, was sich leicht beschreiben lässt. Die Hölle stellt man eben als Hölle da. Ist das so schwer? Wenn man Publikumszugeständnisse braucht sicherlich. Hier aber darf's gerne Terror sein. Einer, der uns Voyeuren keinen Spass mehr macht.
Das Festival rettet sich also dank der letzten 2 - 3 Abende zu einem äußerst bekömmlichen Zusammenschnitt. Viel Herausragendes, sehr viel Gutes gesehen. Danke dafür.
Und dann sind da aber auch noch Filme, die einem nicht mal für den Augenblick im Kopf bleiben. Acné etwa, Federico Veirojs uruguayanisch-argentinisches Coming-of-Age-Komödchen. Oder Daniel Alfredsons Wolf - der schwedische Blockbuster-Import aus skandinavischen Familien-Kinos eingeflogen. Immerhin vom Bruder des Alfredson Tomas und mit Peter Stormare. Naja. Schneegestöber.
Fast darunter gefallen wäre angesichts der ins Gesicht gähnenden Festivalmüdigkeit an solch einem letzten Tag auch der spanische The Best of Me. Man kennt die Geschichte von Susa Bier oder eben aus spanischem Qualitätskino: Frau stark, Mann schwach, Unsicherheiten, Liebe, Seitensprung, Krankheit, Abhängigkeit. Gute gemacht wie immer, aber langsam eine Spur zu bekannt.
Oder aktuell nochmal ganz was Furchtbares: Ocean Flame von Fendou Liu, China. Extrovertiertes Kunstkino, bei dem der Mann der brutale Zuhälter-Schläger ist und die Frau ihn hasst und ihm verfällt. Beide lieben sich und alles ist ja so unendlich tragisch im noch unendlicheren Chic des asiatischen Urbanlichtermeers. Unsere Freunde von der imdb sagen: "Why do the good girls always want the bad boys?" Genau das interessiert mich nicht und ich will's auch nicht auf Hochglanz poliert im Kino sehen. Noch ein Satz mehr und ich werd ausfällig.
Und dann schlussendlich gebe ich mich versöhnlich. Mein Abschlussfilm des Festivals ist "The Movie" zu einer in Chile äußerst erfolgreichen Puppenanimation für Erwachsene. 31 Minutos heißt die Heiterkeit, in der hässlich zusammengeflickte Puppen die Fernsehlandschaft und dann auch das Böse der Welt erkunden müssen. Satirisch ist das Ganze, wenn auch nicht übermäßig frech oder schwarzhumorig. Als Abschlussbrause aber durchaus okay, denn so ein verschmitztes Lächeln nach der Kohlensäure hat doch was.
Mittwoch, 22. Oktober 2008
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