Woody Allen, Spanien/USA 2008 / Sam Mendes, USA 2008
2 Filme verhandeln dieser Tage geschlechterhafte Beziehungsgeflechte auf ihre Art und Weise. In den Einen strömen sie derzeit alle, vor allem das Studentenvolk, so auch ich mit zwei bezaubernden Damen, ganz im Sinne Woody Allens, dem Neurotiker mit der neu entdeckten Leidenschaft für junge Musen, die vielleicht der wesentliche Ausschlag sind, warum Woody im hohen Alter endlich mal durchdachtere Konzepte vorlegt ohne stets Ich-bezogen durch seine eigenen urbanen Neurotismen zu marschieren. Der Andere wird ab Januar vermutlich eher betagtere Menschen ins Kino ziehen und als nicht ganz so hip gehypt werden. Beide verhandeln aber praktisch die gleiche Frage.
In VICKY CRISTINA BARCELONA, den manche interessanterweise als "luftige Sommerkomödie" wahrnehmen, widmet sich Allen dem Partnerschaftschaos einer Generation, die eine Vielfalt an Beziehungskonstellationen zur Verfügung hat. Es treffen die unterschiedlichsten Philosophien und Konzepte von Liebe aufeinander. Das Paar an Gegensätzen heißt Rebecca Hall und Scarlett Johansson. Sicherheit, Treue und Planbarkeit treffen auf Freiheit, Unentschiedenheit und Ausprobieren. Genauer genommen ist der Beziehungszirkus aber vor allem eines: Ein Film über den Einbruch der Leidenschaft in die Realität.
Die beiden Damen treffen auf Lebensgenießer und Chauvi-Charmeur Javier Bardem, dessen Liebeskonzept dem der Johansson natürlich näher steht. In der Dynamik der Liebe gefangen kommt es jedoch selbstverständlich auch zur Eruption der Emotionen zwischen der sonst stets kalkulierenden Hall und dem zwischen sensibler Lethargie und relaxtem Feuer changierenden Bardem. Und als man denkt man kenne nun die Geschichte taucht auch noch Penelope Cruz auf und bringt das Klischeebild des sich bis aufs Blut hassliebenden Künstlerpärchens auf.
Auch wenn Cruz allerorts als herausstechend über den Klee gelobt wird, ist gerade diese Episode vielleicht etwas zu viel des Guten. Die Beziehungsgeflechte sind zwar für die kaspernde Apparatur ganz nett, die grundlegende leichte Tragik der ewigen zwischenmenschlichen Probleme wird dadurch jedoch etwas desavouiert. Allens Barcelona-Trip ist trotz des lockeren Mundwerks nämlich durchaus nicht so angenehm, wie es die Temperaturen vermuten lassen könnten. Die ewigen Konflikte um die Vergänglichkeit der Liebe, um Unvereinbarkeiten, um den Dualismus Rationalität und emotionales Ausbrechen sind hier weitaus weniger banal abgearbeitet als es in gewöhnlichen Romantic Comedies der Fall ist. Und das liegt nicht an Allens Intellektualisieren des Ganzen. Es ist grundlegender, Allen lässt seine Figuren einfach machen, denken und erleben, so dass man ihnen sehr nah kommt.
Trotzdem stößt der Allen typische leichte Zynismus seltsam auf. Allen legt einen nüchternen Erzähler als Verbindungsstrick über seine Narrationsknäuel. Der schafft eine in diesem Fall unnötige Distanz, auf das wir ja merken, dass wir in einem Allen Film stecken. So ganz traut sich der Mann anscheinend immer noch nicht dem Gezeigten einfach den Platz einzuräumen, der ihm zusteht. Im Falle dieses ansonsten zwischen Verspieltheit und bitterem Ernst feinsinnig wechselnden Luststücks allerdings passt der übergezogene "tone" trotzdem hinein. Der Natürlichkeit der Erzählung sei Dank.
Über Zynismus und der Haltung eines Films gegenüber seinem Sujet musste man sich anno 1999 bei Sam Mendes suburbanen Zersetzungsdrama AMERICAN BEAUTY noch viele Gedanken machen. Knapp 10 Jahre später nahm sich der Engländer der Kritik scheinbar an und schlägt mit REVOLUTIONARY ROAD einen weitaus ernsteren Ton an. Die Verfilmung von Richard Yates Novelle nimmt sich mehr oder minder dem gleichen Thema wie Allens angeblicher Sommerluftikuss an: Der Gegenüberstellung eines sicheren, aber starren gegen ein ausbrechendes, aber risikoreichen Beziehungskonzeptes. Hier nun schmeißt uns der Film direkt in eine Ehe - die vorausgegangenen Bilder sind austauschbar. Auf Party kennen gelernt, etwas Smalltalk, humorige Wellenlängen, gemeinsame Träume, irgendwo dazwischen so eine vermutete Seelenverwandtschaft. Nach 5 Minuten sind wir aber bereits im neuen Eigenheim, 2 Kinder gibt es auch schon, wie der Film erst spät in einer denkwürdigen Szene offenbart (Die Kinder warten mit Mutti auf Papi mit der Geburtstagstorte - Papi kommt gerade heim vom beliebigen Fremdgehen mit einem Naivchen).
Kate Winslet ist die Mutter und Hausfrau und möchte ausbrechen. Allerdings: Mit ihrem Mann, mit dem es zwar zu krachen vermag, aber den sie dennoch immer noch liebt, vor allem mit dem Gedanken an die gemeinsamen Träume (Paris). Leonardo DiCaprio ist Bürotrottel und kommt auch sonst nicht sehr gut weg (Affäre, Schlappschwanz, Choleriker). Die Besetzung ist natürlich der ultimative Wink schlechthin. Nunmehr 11 Jahre nach der romantischen Fast-Vereinigung auf der TITANIC offenbart sich hier ein Morast an menschlichen Bündeleien, an ehelichen Automatismen, an Träumen die längst geplatzt sind. DiCaprio - so sehr ich ihn in den letzten Jahren als Schauspieler zu schätzen gelernt habe - passt vorne und hinten nicht. Die Winslet da schon weitaus mehr.
Mendes geht es wie schon in AMERICAN BEAUTY aber auch dezidiert um die Offenlegung eines puritanisch-spießigen Vorortamerikas, um tratschende Nachbarn und verdrängte Ängste einer hysterischen, auf Sicherheit getrimmten Generation (55 spielt der Film, also auch weitaus später als die Zuckerwatten-Romantik der TITANIC). Alle Figuren sehen stets bleich aus, den Frohsinn in die Welt tragend, während es drinnen düster ausschaut. Mendes lässt, anders als im Oscarabräumer 99, alles ungebrochen auf den Zuschauer los. Der Gestus eines Theaterstücks ist stets spürbar, die Schauspieler bestimmen das Tempo, ironische Anfälle finden sich nicht.
Das ist zwar ziemliches Oscar -Theater, aber doch recht gutes. Zu beanstanden gibt es nicht allzu viel, meines Erachtens empfand ich es lediglich als seltsam, wie hier die bereits vorhandenen Kinder praktisch durchgängig ausgespart werden. Ganz so als ob sie auf die Ehe, Familiengestaltung, und -atmosphäre rein gar keinen Einfluss hätten. Sollte das bewusst angelegt worden sein, verstehe ich es nicht. Ich vermute aber eher, das hier einige Szenen der Schere zum Opfer fielen und darunter vor allem die Ausgestaltung der Eltern-Kinder-Szenerie zu leiden hatte.
Kleine inhaltliche Patzer also, ansonsten aber lässt sich REVOLUTIONARY ROAD als Gegenstück bzw viel eher ungleicher Bruder von VICKY CRISTINA BARCELONA sehen. Einer, bei denen die Gedanken nicht ganz so wirbelig sprießen und schießen wie im Allen. Einer der die ganze Chose um Liebe, Leben, Leiden etwas tragischer nimmt. Einer, der dadurch vielleicht auch noch ein wenig mehr mitnimmt. Eigentlich tat dies aber das Sommerlustspiel trotz seiner humorigen Ansprüche ähnlich brachial. Das ist durchaus eine ziemliche Leistung.
Donnerstag, 18. Dezember 2008
Vicky Cristina Barcelona vs Revolutionary Road
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