Carlos Reygadas, Mex/Fra/Nl/D 2007 vs Bruno Dumont, Fra/USA/D 2003 vs Steve McQueen, UK/Ir 2008 Filmsprache - Schwere Sprache
Karg, das sind sie alle. Auf der Suche nach einer neuen Filmsprache. Im Findungsprozess einer eigenen Dynamik. Damit definieren sie sich (bzw. werden definiert) als die Avant-Garde des Arthouse Kinos. Festivalbumper, Cineastenfutter, Konzentrationsmagneten.
Carlos Reygadas ultraprätentiöses Transzendenz- (oder erdenverhaftetes, je nach Sichtlage, diese spielt aber m.E. kaum eine Rolle) Drama
Stellet Licht weist ein Abstraktionsniveau auf, wie man es seit Fassbinder oder Bresson kaum mehr erlebt hat. Laiendarsteller zeigen Shakespeare im verödeten Niemandsland. Die Erzählung dreht sich um Liebe, Leidenschaft und Leiden. Ein Mann verlässt seine Frau für eine Andere, sie stirbt und erwacht wieder nach einem Kuss der Liebhaberin auf dem Totenbett.
Dann der Bruno Dumont. Beziehungsödnis. Beziehungsschwankungen. Sex als Macht- und Dominanzausdruck. Sex als Triebabfuhr. Sex als Liebesbeweis. Sex als ultimativer Beweis, dass der Geschlechtsakt zuweilen nur im eigenen Universum stattfindet. Aneinander vorbei reden. Sie spricht französisch, er englisch. Was interessiert der Eine sich überhaupt für den Anderen? Zwar wohnt man in
Twentynine Palms einem Auf und Ab bei, anfühlen tut sich das aber nur wie ein Ab. Am Ende bricht die Gewalt ein in diesen Film. Im Maße, dass man ihm billige Provokation unterstellen könnte. Sollte man ihn aber ernst nehmen, schockiert das Werk hier in brutalster Konsequenz.
Und Steve McQueen? Ein Film über die IRA?
Hunger ist vielmehr ein ultradichter Einblick in Zwischentöne des Alltags eines Gefängnisses, genauer einer Staatsinstitution, die unbarmherzig mit den politischen Gefangenen umgeht. McQueen beobachtet hier so unglaublich detailgenau, und mit einem so geschärften filmischen Blick, dass jede Einstellung einer Installation im filmischen Raum ähnelt. Zweitsichtungen, Drittsichtungen sind schnell erforderlich. Eine große Projektionsfläche, Dunkelheit und Ruhe ebenfalls.
Hunger ist ein Film über jene Zeit, über die Atmosphäre des Irlands der 80er Jahre, auch über Politik, vielmehr aber über individuelles Erleben in einer Extremsituation. Wie besessen filmt McQueen dieses Szenario ab. Neben dieser strikten Enthaltsamkeit (an Schnelligkeit, Worten, Erklärungen) stellt der Film eine Poetik, deren atemberaubende Einfachheit aufzeigt, wie weit im filmischen Minimalismus gedacht werden, und was für Wirkung dies tatsächlich entfalten kann.
Alle drei Filme werden schon jetzt als kleine, moderne Meisterwerke deklariert und in 30 Jahren vermutlich im Filmkanon aus unserer jetztigen Epoche vermerkt sein. Wie das sein kann, ist nachvollziehbar, aber ungerechtfertigt. Dem Credo nach gehend, dass doch bitte jedes Bild wohl überlegt sein soll und eine Funktion im Sog der intellektuellen Immersion haben muss, gewinnen sie alle drei (am wenigsten vielleicht der Reygadas). Nimmt man sich aber den Spruch zu Herzen, Film sollte auch immer einen humanistischen Impetus besitzen - und zwar nicht auf verschwurbelt naive, sondern ehrlich-authentische Weise - so haben Carlos Reygadas und Bruno Dumont klar verloren, ja sind ihre Filme sogar hassenswert.
Der vollkommenen Abstraktion, derer Raygadas alles - und vor allem seine Figuren - unterwirft, wohnt ein tiefliegender Antihumanismus inne, zugunsten einer "neuen Filmsprache", deren Grammatik damit jedoch einen vergraulenden Charakter besitzt. Angeblich sollen hier die Basis-Strukturen eines Dramas, sozusagen also bis auf die Knochen offengelegt, aufgezeigt werden. Im sichtbaren Ergebnis aber offenbart sich die bloße Idee als unfähiges Konstrukt. Der Höhepunkt dabei ist letztendlich doch die Suche nach der Poesie, welche der Film vermeintlich in den gemäldehaften Klammern des Sonnenauf und -untergangs findet.
Anders da der Dumont. Er räumt von Anfang an ein, dem Menschen feindlich gesonnen zu sein. Mit einem existenzialistisch-pessimistischen - auch wehmütigen - Unterton allerdings. Seine exzessive Reise in Sexualität und menschliche Zweisamkeit ist beeindruckend und anekelnd zugleich. Da steht neben einnehmend ehrlichen Bildern auch viel Ennervierungsstrategie, viel Posaune gegen die Figuren, viel Schminke mit welcher der Teufel ins Gesicht gemalt wird. Der brutale Knalleffekt am Ende des Films ist dann die letzte Kreuzung, an welcher man sich entscheiden muss, mit dem Film mitzufahren und die Unfassbarkeit zu ertragen oder ganz auf Konfrontationskurs zu bleiben und dagegen anzureden.
Der irische Mythenbilder
Hunger hingegen ist anderes Kino. Eines der ungeschönten Brutalität und zugleich eines des tiefen Humanismus. Das geht kaum ohne diese Vermythisierung, mit welcher der Film auch Stellung bezieht. Dem Idealismus der Protagonisten huldigend gibt es ein Gut und Böse, nie im unterkomplexen Modus, aber eben doch aufgezeigt. Das ist allerdings gar nicht wichtig, denn das Konzentrat, welches Hunger jedoch auszuspeien gedenkt, ist weitaus intensiver und geht über billige Ideologiekritik hinaus, ist viel zu klug um an einem Punkt wie jenem stehen zu bleiben. Jede der Szenen entmachtet eine traditionelle Erzählweise aufs Äußerste, indem es fokussiert, die Kamera so ungemein scharfsinnig einsetzt, indem es Strukturierungen schafft, die funktionieren. Die Einbindung erfolgt hier über den Moment des interessierten Blicks. Unvorbelastet, so es denn geht. Was wir hier sehen ist neu, in viele Richtungen.
Hunger ist Körperkino, ist Formerschaffung, ist Poesie, ist soviel gebündelter Humanismus, der in einer Welt nachgewiesen wird, wie sie der Hölle nicht ähnlicher sein könnte.
Wo Reygadas im bis zur Unkenntlichkeit herunterabstrahierten nach der nackten Tragödie sucht; wo Dumont im fiesen Blick auf die vollkommene Verwzeifelung inmitten der Zweisamkeit richtet; genau da schmeißt uns McQueen in die unwirklichste, in die brutalste, in die markanteste der misanthropen Welten - und befreit unseren Blick auf die Essenz des menschlichen - und, als ob's im Nebenbei wäre - des filmischen Daseins.