Freitag, 29. Mai 2009

Oscars Darling #2

Er sieht ein wenig aus wie The Wind that shakes the Barley auf Actionfilm, der gute Defiance, und dann doch wiederum eigentlich nicht. Andere Zeit, anderer Ort. Der polnisch/weißrussische Partisanenkampf gegen die Nazis Anfang der 40er, gedreht im Übrigen in den litauischen Wäldern. Eben diesen, die Kostümierungen, überhaupt der Blick fürs historische Detail erinnern an den Loach. Und doch ist Defiance ein spannender Reißer vor historischer Kulisse, wenngleich der Gewichtung und dem Interesse für die Figuren hier glücklicherweise bedacht nachgekommen wird. Den Klischees kann Edward Zwick allerdings ein wiederholtes Mal nicht entsagen. Klare Figurentypisierungen in- und außerhalb der Gruppe (Der intellektuelle Märtyrer, der aussieht wie John Turturro, die rote Armee-Kommandanten hätten kaum boshafter gezeichnet werden können etc) fungieren als Markierungspunkte, damit die Orientierung nicht verloren geht. In all seiner historischen Komplexität versucht der Film unbedingt den Überblick dank Konventionen zu wahren. Äußerlich authentisch, innerlich zerfahrene Hollywooddramaturgie.

Hollywood-Gaultier Ron Howard nimmt sich wohl erstmals in seiner Karriere einer ziemlich toughen Aufgabe an: In Frost/Nixon versucht er sich an einem Porträt zweier in ihrer Hybris gefangenen Machtmenschen. Der unbedarfte Lebemann Frost steht dem erzkonservativen, aber nicht minder eloquenten Nixon gegenüber. Schwierig wird aber wirklich bei der Figur des ehemaligen US-Präsidenten: Dieser harmlose Ausschnitt aus seinem Leben gerinnt zu einem Offenbarungseid, und doch wird hier nur geredet über die Taten, der Figur des Nixon aber eine humanistische Vielschichtigkeit in die Zeichnung gelegt, dass man trotz der offenkundigen Abneigung gegenüber dieses Charakters - der Film inszeniert ja praktisch eine Niederlage, ganz wie in einem Boxerfilm wird der "Bösewicht" zur Strecke gebracht, ist damit also recht offen aggressiv gegenüber seinem Protagonisten - doch zumindest das Gefühl des Mitleids mitübermittelt bekommt. Frank Langella spielt den Burschen dann auch noch mit so einer Inbrunst, dass man - wie so üblich bei starken Schauspielleistungen - der Figur gegenüber eine starke Faszination entwickelt. Dieser Zwang zur Vermenschelung einer historischen Figur, der seinen Höhepunkt im schon allein deshalb unsäglichen Untergang fand, gibt zu denken, und scheint doch ein wesentliches Merkmal eines filmischen Gesamtuniversums zu sein, dass eben dieses aus den Fugen heben kann.

Mit heißer Nadel strickte Möchtegern-Aufrührer Oliver Stone noch fix seine George Bush Biografie W. und brachte das Stück zu den Wahlen in die Kinos. Allerdings nicht in unsere. Man war von der furchtbaren TV-Qualität wohl so erstaunt, dass man den Film direkt ins Fernsehen verbannte. Da gehört er wohl hin. Stones Billigprodukt ist banalstes Klischeekino, eine Satire auf eine Gegenwart, die so vielleicht besser nicht verhandelt werden sollte. Frost/Nixon geht mit seinem historischen Thema bedachter, detailierter um. Stone spielt Schabernack mit Countrymusik und einem chargierenden Josh Brolin (schade, mochte den Mann seit No Country... eigentlich ganz gerne). Der Irakkrieg wird von den Witzmasken Cheney, Rumsfeld und Co in 20 Minuten durchdiskutiert und irgendwie kommt man sich doch ziemlich verarscht vor, ob der Idee, dies solle nun eine ernst gemeinte Abrechnung mit der Ära Bush sein. Der Film ist aber nicht nur schlecht, sondern auch viel zu früh erdacht worden. Reden bzw. Sehen wir so eine Bushbiografie nochmal in 20 Jahren, mit der nötigen historischen Distanz welche so ein Projekt immer benötigt, mit einer erzählerischen Idee - es wäre eine Jahrhundertgeschichte. Diesen W. hier kann man dann ins Wachsfigurenkabinett stellen mit der Aufschrift "This is how Bush was seen 2008 - please, read it as a comic".

Donnerstag, 28. Mai 2009

Oscars Darling #1

Das pure Überwältigungskino zaubert Stephen Daldry mit The Reader auf die Leinwand. Wie schon in The Hours spinnt er ein menschliches Drama über mehrere Dekaden und springt in den Zeitebenen umher. Die verdichtete Extrem-Emotionalisierung lässt kaum Reflexionsfläche und so steigert sich der Film hinein in das Leiden der naiv-verunsicherten KZ-Wächterin (Kate Winslet), während um sie herum diverse Deutsche ihr Amerikanisch ausprobieren. Ebenso naiv-vermenschelt wie die Figur der Winslet gezeichnet wird stellt sich der ganze Film mit seinen Psychologisierungen an. Gib dem dummen Menschen ein Buch in die Hand und er wird human. Aha. Ansonsten ist Der Vorleser schlicht ein Remake von Ilsa - Shewolf of the SS - sozusagen Part 2: The following years.

John Patrick Shanleys eigens adaptierten Theaterstück Doubt merkt man die Eichung für die Bühne jeder Zeit an. Perfektes Schauspielerkino, dessen eng gestecktes Terrain auf kleinem Parcour sicherlich noch mehr Intensität versprühen würden. An und für sich erzählt Doubt die ewige Geschichte des eigenen Glaubens und die Gefahr des Verlusts, wenn man abstrakte moralische Kodexe mit der eigenen Realität abgleichen muss. Interessant dabei natürlich, dass diese Realität hier nun ausgerechnet am heiligsten aller Orte jenseits des Vatikans stattfindet - in einer katholischen Schule. Schöne Idee, wenig spektakulär, aber ruhig und gediegen ausgespielt.

Gus Van Sant hat sich zugunsten eines ambitionierten Themas - der erste bekennend schwule Stadtrat im San Francisco der 70er - mal wieder einen windigen Hollywood-Kalkulator geleistet. Mit zahlreichen Authentifizierungs-Strategien und ästhetischen Spielereien (Original-Dokumaterial aus der Zeit gemixt mit nachgestellte, verfälschten Bildern) lässt er historisches Portrait und unterhaltsame Kurzweil koppeln. Dramaturgie und Figurenwelten gliedern sich hier perfekt ein in ein Seherlebnis der affirmativen Art, um in dieser aufgeklärten Zeit dieses einst so subversive Szenario ideal verpackt an den Mann zu bringen. Ob nun Requisitendetailwettbewerb oder ein Schauspielkino der Extraklasse - Milk wittert Oscar-Luft und bleibt politisch korrekt wie ein republikanischer Senator.

Montag, 18. Mai 2009

Déjà-vu

Zweitsichtung von The Fall. Kleine zusätzliche Anmerkungen: Tarsems Augenschmaus ist ein wirklich schöner Film über den Einbruch des Realen in die Welt des Mädchens. Eine Welt, die diesen Einbruch schlichtweg nicht versteht, ihn verdrängt, gleichzeitig vor ihm steht wie jemand, der das Ausmaß des Schreckens nicht greifen kann. Die Gegenfigur des Mannes wiederum bringt eine erstaunlich intuitive Erzählspannung durch seine Stimmungsschwankungen in die Geschichte. Das Absinken des Märchens ins dark fairy tale ist somit steht's vorweggenommen, etwa so wie die konventionellen Suspense-Momente eines Horrorfilms. Fast eine Art manisch-depressiver Erzählhaltung. Und ich vergaß nach der Erstsichtung noch zu erwähnen was für eine wunderbare Hommage an den Stummfilm und Film generell doch The Fall ist. Die letzten Bilder sind dabei so schön, wie brutal und rasant. Wie eine Kulmination eines Kinos der Bilder.

Nachtrag zum Lieblingsschweden aller Filmfreunde des letzten Jahres: Lât den rätte komma in. Schöner Film, klar. Was mir so als Schlagwort im Kopf herumschirrte: Das ist doch mal richtiger Impressionismus, oder? Also wirklich impressionistisches Kino der Neuzeit. Und das im Genre. Und das im Kinderfilm. Dieser beinahe unpassende Gestus bestimmt den Film so sehr, dass er selbst diese todtraurige Geschichte des Vergehens, der Notwendigkeit von Bindung bei gleichzeitiger Erkenntnis der Unmöglichkeit (bzw von Glück und Tragik, die miteinander gekoppelt sind) überdeckt. Die Zentralmotive gehen fast unter im Meer an Musik und entfärbten Bildern. Die deutsche Syncro verstärkt den Entfremdungseffekt der 70er Jahre Mise-en-scène noch. Und erstaunlich auch zu sehen, wie die Schuldzuweisungen des Films an die Eltern in vielen Szenen entkräftet wird (Zähneputzen mit der Mutter, die Tatsache dass der Junge in den wenigen Momenten mit seinem sympathisch gezeichneten Vater Spass hat). Es ist eben hier jeder irgendwie nie ganz Sympath oder Unsympath. Selbst die Schlägerjungs nicht. Nur der große Bruder, aber der wird ja auch standesgerecht enthauptet, als ob man das ganz Böse doch irgendwie aus der Welt schaffen muss/kann. Zentrales Element jedes Kopfes hier: Der Egoismus. Am Tollsten aber bleibt die Beziehung des Mädchens mit ihrem ehemaligen Geliebten/Vater. Verwelkte Liebe. Ganz groß.

Revisited und Meinungen etwas abgeändert:
Als der Wind den Sand berührte ist eine in seinem Minimalismus und bedingungslosen Anti-Pathos eine eigentlich bezaubernde Geschichte. Allein die forcierte Stilisierung der Mädchenfigur als schweigend das Leid ertragende und am Ende stärkste Figur ist so vielleicht nicht nötig.

Batman Begins ist gar nicht so schlimm. Da sprach wohl vielmehr die Enttäuschung aus mir. Mir missfällt immer noch die "Nicht-Inszenierung" der Actionsequenzen um den Film kindertauglich zu halten. Wirkt dem düsteren Antlitz diametral entgegen. Und die Oneliner-Zoten hätte man sich wirklich sparen sollen. Selber konträrer Effekt zum ansonsten größtenteils als feinfühliges Psychogramm funktionierenden Schwarzseher.

Dienstag, 12. Mai 2009

Marquis

Henri Xhonneux, Belgien/Frankreich 1989
Wo Vulgarität und Obszönität noch Platz haben - Im Kino


Ganz ungeniert geht es der Film an. Das Leben des Marquis de Sade als Gummimaskenspiel (was sonst?). Als Fabel, mit Hunden und Schweinen (wie sonst?). Henri Xhonneux und Roland Topor erschufen 1989 ein Fantasiereich der Groteske. Der Marquis ist ein dackelartiger aristokratischer Hund, gediegen, gepflegt, nachdenklich, intellektuell und durchaus melancholisch. Ein wahrhafter Poet, der die Sprache mit dem Sexuellen nur allzu natürlich in Einklang bringt. Er sitzt im Kerker und unterhält sich mit seinem Glied, das nur nach dem Einen sinnt (eine mäuerliche Spalte wird in Not penetriert) und dem Marquis auch in der Kunstfertigkeit der Sprachschöpfung Nachhilfe zu pflegen gedenkt ("Weniger Verben!"). Um ihn herum entspinnt sich ein Komplott, die französische Revolution steht bevor, der König vergewaltigt eine Magd, die dem Marquis zu Füßen liegt (ach, so ein sensibler Mann!), ihm wird es nun in die Schuhe geschoben. Des Marquis Zellenwächter ist ein geiles Schwein, dass es sich gerne besorgen lassen würde vom Edelmann und dann auch bekommt, nach was es verlangt - allerdings mit einer Languste von hinten, anstatt des stattlichen Schwanzes des Marquis. Dazu stellt den maßgeblichen Antagonisten ein geld-, ruhm- und sexgeiler Priester dar - seines Zeichens Kamel. Das Gummitreiben wird manchmal unterbrochen von surrealen Knetfigursequenzen, welche die Geschichten des Marquis adäquat bebildern.

Die Grobskizzierung dessen, was man dort zu Sehen bekommt, verrät es: Marquis ist ein verdammt schwarzhumoriges Stück Satire, mit Hieben gegen herrschende Strukturen, Kirche und menschliche (=tierische) Egomanien. Die sprudelnde Ideenmaschine der Kreateure macht mit dem anstößigen und wie selbstverständlich dahin genommenen tierisch-menschlichen Treiben um Sexualität alle Ehre. Wie sonst will man solch eine Geschichte darstellen als mit Gummitiermasken? Dem bürgerlichen Zuschauer wäre solch eine Darstellung sicherlich ein Garant für eine patente Röte im Gesicht. "Durchgeknallt!" wäre der Aufschrei. Gelächter die Konsequenz der psychologischen Verarbeitung. Doch die Wahrheit, die hinter diesem "Kinderspiel" und "Maskenball" steht ist so immanent, dass ein wissendes Grinsen stets über dem verdrängenden Lacher stehen würde. Das macht Marquis zum Ausnahmewerk, dass sich dieses Feixen zum Leitfaden genommen hat.