Schaut man sich im Internet um, kommt man zum Punkt, dass Steven Soderberghs Genre-Experimental-Sonderling Bubble nur über die Rezeptionsgeschichte aufgenommen wird. Vermarktungskette unterbrochen etc. Dabei sollte mal lieber jemand mehr zum Film selbst schreiben. Diese Kriminalgeschichte ist nämlich eigentlich eine äußerst bewusst konzipierte Antipode zum herkömmlichen Genregeschehen. Glücklicherweise nicht naseweiß umhertänzelnd, sondern bodenständig zielorientiert. Im Grunde geht es dem Film um einen trist-trüben Einblick in den White Trash, um eine Destabilisierung jeglicher Dramaturgiezwänge über den Sozialbezug und den apathischen Gestus, den uns Figur und filmische Aufmachung vermitteln. Das sieht bei Soderbergh tatsächlich seltsam interessant und stimmig aus. Dieses gelangweilte Nichts in welchem die Figuren beinahe zu verschwinden drohen ist der eigentliche Protagonist. Gerade der Mord im Affekt ist ausgeblendet, und das passt so wunderbar, weil Affekte in diesem Tränsensack-Triefer gut und gerne als nicht existent wahrgenommen werden dürfen. Die Leerstelle ist mit Fantasie aufzufüllen und derer benötigt man reichlich. In diesem Sinne nun wirklich kein Film, der ein großes Publikum finden könnte. Demnach auch nicht wirklich mutig, diesen dann über "neue Vermarktungswege" zu publizieren. Eher gelungene PR, denn ohne die Metatexte wäre das Ding wohl vollkommen abhanden gekommen.
Bubble bietet also einen neuen Genresprachgestus an. Mit Soderberghs heiß erwartetem Doppelstreich Che: Part One - The Argentine und Che: Part Two - Guerrilla, die bei uns auch getrennt ins Kino kommen, zeigt sich auch der Wille eine stark mythisierte Geschichte und historische Ikone in einem gänzlich anderen Licht zu betrachten. Genau genommen kann wohl niemand etwas mit diesem entschleunigten Doppelbrummer anfangen, denn Che ist 4 Stunden entdramaturgisierter Dauerlauf. Die kubanische und bolivianische Revolutionen werden als Arbeitsprozess dargestellt, als Organisationsablauf, mit Sprüngen, Leerstellen und Figuren als graues Beiwerk. Dann wird der Film auch mal kurz zum recht unansehnlichen Actioner, kehrt aber schnell wieder zurück in die Nüchternheit von Geschichtsschreibung, welche Soderbergh hier vielleicht aufzeigen möchte. Als Konzeptfilm geht das, als Unterhaltungswerk natürlich nicht, in diesem Sinne ist Che durchaus eigenwillig und leicht subversiv, denn gerade als gehypte Kommerzshow ließe sich der Mammut in diesen Tagen der stilisierten Ikonografien wohl am Leichtesten verkaufen. Trotzdem ist an Che - neben der Tatsache, dass er keinen Spass macht - auch auszusetzen, wie er hier vorgeht. Denn diese stille, doch im lateinamerikanischen Bergdschungel seltsam keimfrei sterilisierte Abfolge eines Guerilla-Kampfes passt nicht nur nicht in das Bild der linken Ikone Guevara, sondern wirkt auch - trotz des Authentizitätsgedankens - reichlich unrealisitisch und beschönigt. Die Kämpfe, die Schlammschlachten, der Hunger, die psychologischen Dynamiken innerhalb der Gruppe - alles plätschert so dahin ohne einmal Geistesblitze zu versprühen zu gedenken. Wie gesagt, die Filme machen wohl niemandem Spass.
Bliebe noch der Abgleich mit Soderberghs 2000er Oscarabräumer Traffic anzustellen. Seltsam dieser Gegensatz. In dem Drogengeschichten-Kaleidoskop überkommt dem ganzen Treiben der Zwang zum Affekt. Nichts bleibt unerzählt, alles folgt dem sinnigen narrativen Leitpfad, jede Sequenz findet ihren Platz. Das machte Soderbergh ganz ausgezeichnet, ein wahrer Oscaraspirant, mit dem Blick für die verschiedenen Ebenen des Drogenhandels und -konsums, moralisch zwar, aber nicht belehrend sondern zeigend. Klasse Darstellerleistungen, allesamt. Gesichter für die Geschichten (Benicio del Toro mit seinen 5 Sätzen dort ungemein effektiver und authentischer als seine Che-Schüchternheit). An Traffic gibt es die üblichen Dinge auszusetzen (vor allem das Fehlen einer "Ghetto-Perspektive") und doch ist der Film einfach zu sauber inszeniert - hier gemeint im positiven wie im negativen Sinne - als das er nicht doch gefällt.
Mittwoch, 29. April 2009
Sonntag, 26. April 2009
6. Dokfilmwoche Hamburg 2009
3 dokumentarische Nachwuchswerke aus der dffb ließen auf der diesjährigen Dokfilmwoche aufhorchen. Alle 3 machen es dem Zuschauer nicht leicht, allesamt verbindet die zentrale Frage nach der Exploitation der Subjekte ihrer Abbildung. Die Frage nach Distanz und Nähe zum Dargestellten. Eine Frage, die nicht zuletzt auch moralischer und ethischer Natur ist.
In Heidelberg eröffnet Norman Richter seinen ganz persönlichen Blick auf das Haus der Großeltern, auf Gegenstände, die er mit seinem toten Großvater in Verbindung bringt. Er entwirft Blickbilder, die in ihren jeweiligen Perspektivierungen und Positionierungen nur für ihn Sinn ergeben. Formal löst er sein Anliegen in streng experimental-minimalistischer Gestalt auf. Zunächst spricht er nüchtern über sein Verhältnis zu seinen Großeltern über weißem Bildschirm. Dann zeigt er Bildstilleben ohne Ton (die besagten "eigenen" Bilder). Schließlich hält die Kamera auf seine demenzkranke Großmutter, die verloren mit der Kamera den Satz "Ist er nie mehr da gewesen" repitierend variiert. Richters Film ist zum Einen schwieriges Material, weil es eben "seine" Blicke sind, die von dem Zuschauer mit Bedeutung aufgeladen werden können (nach eigener Aussage wünsche er sich dies). Wenn er das nicht tut, sind die Bilder leer, in ihrer entschleunigten Künstlichkeit sogar anmaßend. Zum Anderen tut sich das angesprochene Problemfeld der Ausbeutung des Dargestellten auf. In diesem Fall sogar noch eine Stufe problembehafteter: Der eigenen Familie. Die schockierende Szene der dementen Frau wirft die Frage nach der Position der am Ende auslaufenden Kamera (erst verschwindet das Bild, dann der Ton) auf. Ist die Großmutter hier noch respektiertes Subjekt oder nicht schon Objekt der schockierenden Wirkung, des erzeugten Mitleids, dessen, "was der Zuschauer sieht" (eine Schau des Zerfalls, des "kurz vor dem Tod sein"). Nicht zuletzt lässt sich an solch einem Filmstudentenwerk trefflich diskutieren über Autorenschaft. Ein aufgeräumt wirkender Richter konnte viele der Bedenken entkräften und gab auch zu Protokoll sich selbst lange Zeit nicht klar gewesen zu sein, ob er diesen Film der Öffentlichkeit präsentiert. Da er es getan hat, muss er sich nun der Kritik stellen.
Die entscheidende Frage nach Nähesuchen und Distanzwahrung bei der Abbildung eines Menschenlebens muss sich auch Sebastian Heidinger in seinem Debut Drifter stellen. Er beobachtet 3 Minderjährige am Berliner Bahnhof Zoologischer Garten beim Heroin Spritzen, Crack rauchen, Obdachlosenasyl aufsuchen, Arztbesuch, Streitereien, Reden über ihr Dasein auf dem Kinderstrich. Heidinger "wohnt ihnen bei", stellt ihren Alltag aus und entzieht sich damit weitestgehend einem Voyeurismus, dem man dem Film nach Sichtung wirklich nicht unterstellen kann. Im Gegenteil: Heidinger integrierte sich in den Alltag, lange bevor er die Kamera anschaltete. Suchte Kontakt und ließ die Kinder entscheiden, was gefilmt wird und was nicht. Viel Interessantes über die Nähe und Distanz zu seinen Figuren gab es im Anschlussgespräch zu erfahren, man kann sich in etwa vorstellen, wie groß die moralische Verantwortung gewesen sein muss (und noch ist). Der Stil ist simples Direct Cinema, perfektioniert, weil die Kamera zwischen Alltagshandlungen und den Zuschauer schon physisch angehenden Szenen (lange nicht mehr so häufig wegsehen müssen) einen sensiblen Mittelweg findet, und das Szenario so authentisch wirken lässt, dass man dieses Nebenher nur durch Reflexion verarbeiten kann.
Wie Heidinger gehört auch Eva Stotz zur Gruppe Super9 um Andres Veiel, die sich über die letzten Semester an der dffb formiert hat. Auch ihr Film Sollbruchstelle bringt uns zurück zur alten Frage nach dem Ausstellen eines Lebenslaufs als Instrumentalisierung für ein Filmkonzept. Ähnlich wie in Richters Heidelberg kommt hier ein naher Verwandter unter die Lupe: Der eigene Vater wird in Stotz Essayfilm zur zentralen Figur, und gerät unversehens in eine Charakterisierung, welche die Filmemacherin nur peripher intendiert haben kann. Die Offenlegung der Persönlichkeit des Vaters - einem zwischen gekränktem Narzissmus und dem Statusdenken der Arbeitsgesellschaft, die der Film primär angklagt, Gefangenen - ist eine schwierige Gratwanderung und eine bewusste Überwindung der Distanz. Der Vater liefert eben gerade der Idee des Films - die emotionale Vergletscherung eines unsolidarischen Kapitalismus sichtbar zu machen - ein Gesicht. Stotz beobachtet gestresste Gesichter in der Bahn und auf den Straßen, beobachtet Managerseminare, Bewerbertraining, humanistische Schulen. Zentral aber erzählt sie die Geschichte ihres Vaters, der seinen Job auf entwürdigende Weise verlor. Am Ende stellt auch sie den Schock aus, zum Einen da ihr Vater weinend den Raum verlässt, zum Anderen weil sie den Selbstmord einer Nebenfigur des Films bekannt gibt. Sollbruchstelle kann es unter den 3 genannten Beispielen vielleicht am Wenigsten vermeiden der Exploitation der Personen anheim zu fallen. So lange darüber reflektiert wird, mag dies auch möglich sein.
Ging es bei den studentischen Arbeiten im Dokumentarfilmsektor vor allem um das Problemfeld Nähe - Distanz, zeigt sich bei Thomas Heises Material eine andere Schwierigkeit. Ihm misslingt vor allem die Anordnung seiner Objekte. Die 166 minütige "Material"-Sammlung ostdeutscher Zeitgeschichte stammt aus nicht verwendetem Footage. Mit "Kill your darlings and revive them" wird das angeworben. Doch heraus kommen viele Szenen der Pre- und Postwendezeit, die zusammenhangslos aneinandermontiert werden. Es geht Heise um keinerlei Erklärungen, vielmehr um Stimmungsgefüge. Das funktioniert immer dann, wenn Beschönigungen und Abmilderungen über den Äther gehen, und dies dann vom Zuschauer dem geschichtlichen Prozess gegenübergestellt werden kann. Vielfach enerviert Material aber auch nur, montiert Passagen nebeneinander, die nur sehr schwerlich Sinn ergeben. Entrhythmisierte Filmrollen. Häufig Interessantes ohne Verbindungspunkte (Der Nazi-Überfall). Ausgestellte Materialsammlungen aus historischen Eckpunkten - klingt nach einem Markt für die Zukunft (Museum).
Einige Preise sahnte Marko Doringer für seine Offenlegung Mein halbes Leben ab. Über die Nähe - Distanz Geschichte traut man sich hier gar nicht mehr zu sprechen. Doringers Eigenbeschau ist selbstausbeutendes Dokumentarmaterial allererster Güte. Hinter der Frage, was denn so Anfang bis Mitte 30-Jährige für Lebenskonzepte errichtet haben erwächst die Idee der gescheiterten Figuren. Jeder hat sein Kreuz zu tragen und seine Mid-Life-Crisis noch vor sich - so lautet die These, auf die hier nur alles allzu perfekt hinauslaufen mag. Nichts endet zu böse, alles bleibt hübsch lakonisch, die "Suchenden" werden nie in ein schlechtes Licht gerückt. Stattdessen positioniert sich der Vorzeige-Gescheiterte (= Regisseur) im Lichtkegel der Eitelkeiten. Ohne verleumderisch daherkommen zu wollen hatte ich permanent das Gefühl einem komplett gestellten Film, sprich einer Mockumentary beizuwohnen. Alles zu perfekt gestriegelt hier. Die Figuren wie Stereotype eingegliedert. Mindestens ein ziemlich durchgefuchstes Drehbuch dürfte zugrunde gelegen haben.
Ein paar Worte noch zum Eröffnungsfilm Am Pier von Apolonovka von Andrei Schwartz, der einen Einblick in das Treiben an einem ukrainischen Pier gibt, dass einst sozialistisches Urlaubsparadies war. Neben dem fehlenden Geschichtsbild wundert der lässige Ton, das wenige Interesse an Geschichten. Ein paar witzige Momente und vielmehr ist da nicht. Betagter Auftakt des Festivals, der niemandem weh tat.
In Heidelberg eröffnet Norman Richter seinen ganz persönlichen Blick auf das Haus der Großeltern, auf Gegenstände, die er mit seinem toten Großvater in Verbindung bringt. Er entwirft Blickbilder, die in ihren jeweiligen Perspektivierungen und Positionierungen nur für ihn Sinn ergeben. Formal löst er sein Anliegen in streng experimental-minimalistischer Gestalt auf. Zunächst spricht er nüchtern über sein Verhältnis zu seinen Großeltern über weißem Bildschirm. Dann zeigt er Bildstilleben ohne Ton (die besagten "eigenen" Bilder). Schließlich hält die Kamera auf seine demenzkranke Großmutter, die verloren mit der Kamera den Satz "Ist er nie mehr da gewesen" repitierend variiert. Richters Film ist zum Einen schwieriges Material, weil es eben "seine" Blicke sind, die von dem Zuschauer mit Bedeutung aufgeladen werden können (nach eigener Aussage wünsche er sich dies). Wenn er das nicht tut, sind die Bilder leer, in ihrer entschleunigten Künstlichkeit sogar anmaßend. Zum Anderen tut sich das angesprochene Problemfeld der Ausbeutung des Dargestellten auf. In diesem Fall sogar noch eine Stufe problembehafteter: Der eigenen Familie. Die schockierende Szene der dementen Frau wirft die Frage nach der Position der am Ende auslaufenden Kamera (erst verschwindet das Bild, dann der Ton) auf. Ist die Großmutter hier noch respektiertes Subjekt oder nicht schon Objekt der schockierenden Wirkung, des erzeugten Mitleids, dessen, "was der Zuschauer sieht" (eine Schau des Zerfalls, des "kurz vor dem Tod sein"). Nicht zuletzt lässt sich an solch einem Filmstudentenwerk trefflich diskutieren über Autorenschaft. Ein aufgeräumt wirkender Richter konnte viele der Bedenken entkräften und gab auch zu Protokoll sich selbst lange Zeit nicht klar gewesen zu sein, ob er diesen Film der Öffentlichkeit präsentiert. Da er es getan hat, muss er sich nun der Kritik stellen.
Die entscheidende Frage nach Nähesuchen und Distanzwahrung bei der Abbildung eines Menschenlebens muss sich auch Sebastian Heidinger in seinem Debut Drifter stellen. Er beobachtet 3 Minderjährige am Berliner Bahnhof Zoologischer Garten beim Heroin Spritzen, Crack rauchen, Obdachlosenasyl aufsuchen, Arztbesuch, Streitereien, Reden über ihr Dasein auf dem Kinderstrich. Heidinger "wohnt ihnen bei", stellt ihren Alltag aus und entzieht sich damit weitestgehend einem Voyeurismus, dem man dem Film nach Sichtung wirklich nicht unterstellen kann. Im Gegenteil: Heidinger integrierte sich in den Alltag, lange bevor er die Kamera anschaltete. Suchte Kontakt und ließ die Kinder entscheiden, was gefilmt wird und was nicht. Viel Interessantes über die Nähe und Distanz zu seinen Figuren gab es im Anschlussgespräch zu erfahren, man kann sich in etwa vorstellen, wie groß die moralische Verantwortung gewesen sein muss (und noch ist). Der Stil ist simples Direct Cinema, perfektioniert, weil die Kamera zwischen Alltagshandlungen und den Zuschauer schon physisch angehenden Szenen (lange nicht mehr so häufig wegsehen müssen) einen sensiblen Mittelweg findet, und das Szenario so authentisch wirken lässt, dass man dieses Nebenher nur durch Reflexion verarbeiten kann.
Wie Heidinger gehört auch Eva Stotz zur Gruppe Super9 um Andres Veiel, die sich über die letzten Semester an der dffb formiert hat. Auch ihr Film Sollbruchstelle bringt uns zurück zur alten Frage nach dem Ausstellen eines Lebenslaufs als Instrumentalisierung für ein Filmkonzept. Ähnlich wie in Richters Heidelberg kommt hier ein naher Verwandter unter die Lupe: Der eigene Vater wird in Stotz Essayfilm zur zentralen Figur, und gerät unversehens in eine Charakterisierung, welche die Filmemacherin nur peripher intendiert haben kann. Die Offenlegung der Persönlichkeit des Vaters - einem zwischen gekränktem Narzissmus und dem Statusdenken der Arbeitsgesellschaft, die der Film primär angklagt, Gefangenen - ist eine schwierige Gratwanderung und eine bewusste Überwindung der Distanz. Der Vater liefert eben gerade der Idee des Films - die emotionale Vergletscherung eines unsolidarischen Kapitalismus sichtbar zu machen - ein Gesicht. Stotz beobachtet gestresste Gesichter in der Bahn und auf den Straßen, beobachtet Managerseminare, Bewerbertraining, humanistische Schulen. Zentral aber erzählt sie die Geschichte ihres Vaters, der seinen Job auf entwürdigende Weise verlor. Am Ende stellt auch sie den Schock aus, zum Einen da ihr Vater weinend den Raum verlässt, zum Anderen weil sie den Selbstmord einer Nebenfigur des Films bekannt gibt. Sollbruchstelle kann es unter den 3 genannten Beispielen vielleicht am Wenigsten vermeiden der Exploitation der Personen anheim zu fallen. So lange darüber reflektiert wird, mag dies auch möglich sein.
Ging es bei den studentischen Arbeiten im Dokumentarfilmsektor vor allem um das Problemfeld Nähe - Distanz, zeigt sich bei Thomas Heises Material eine andere Schwierigkeit. Ihm misslingt vor allem die Anordnung seiner Objekte. Die 166 minütige "Material"-Sammlung ostdeutscher Zeitgeschichte stammt aus nicht verwendetem Footage. Mit "Kill your darlings and revive them" wird das angeworben. Doch heraus kommen viele Szenen der Pre- und Postwendezeit, die zusammenhangslos aneinandermontiert werden. Es geht Heise um keinerlei Erklärungen, vielmehr um Stimmungsgefüge. Das funktioniert immer dann, wenn Beschönigungen und Abmilderungen über den Äther gehen, und dies dann vom Zuschauer dem geschichtlichen Prozess gegenübergestellt werden kann. Vielfach enerviert Material aber auch nur, montiert Passagen nebeneinander, die nur sehr schwerlich Sinn ergeben. Entrhythmisierte Filmrollen. Häufig Interessantes ohne Verbindungspunkte (Der Nazi-Überfall). Ausgestellte Materialsammlungen aus historischen Eckpunkten - klingt nach einem Markt für die Zukunft (Museum).
Einige Preise sahnte Marko Doringer für seine Offenlegung Mein halbes Leben ab. Über die Nähe - Distanz Geschichte traut man sich hier gar nicht mehr zu sprechen. Doringers Eigenbeschau ist selbstausbeutendes Dokumentarmaterial allererster Güte. Hinter der Frage, was denn so Anfang bis Mitte 30-Jährige für Lebenskonzepte errichtet haben erwächst die Idee der gescheiterten Figuren. Jeder hat sein Kreuz zu tragen und seine Mid-Life-Crisis noch vor sich - so lautet die These, auf die hier nur alles allzu perfekt hinauslaufen mag. Nichts endet zu böse, alles bleibt hübsch lakonisch, die "Suchenden" werden nie in ein schlechtes Licht gerückt. Stattdessen positioniert sich der Vorzeige-Gescheiterte (= Regisseur) im Lichtkegel der Eitelkeiten. Ohne verleumderisch daherkommen zu wollen hatte ich permanent das Gefühl einem komplett gestellten Film, sprich einer Mockumentary beizuwohnen. Alles zu perfekt gestriegelt hier. Die Figuren wie Stereotype eingegliedert. Mindestens ein ziemlich durchgefuchstes Drehbuch dürfte zugrunde gelegen haben.
Ein paar Worte noch zum Eröffnungsfilm Am Pier von Apolonovka von Andrei Schwartz, der einen Einblick in das Treiben an einem ukrainischen Pier gibt, dass einst sozialistisches Urlaubsparadies war. Neben dem fehlenden Geschichtsbild wundert der lässige Ton, das wenige Interesse an Geschichten. Ein paar witzige Momente und vielmehr ist da nicht. Betagter Auftakt des Festivals, der niemandem weh tat.
Sonntag, 19. April 2009
3 x Russ Meyer
Ein kleiner, verkannter Exploitationschatz aus den Händen Russ Meyers ist sein Sklavenstück Black Snake. Entgegen Meyers üblichem Gusto haben die Frauen hier keine Riesenbrüste, sind dafür aber auch ordentlich fies. Ganz im Sinne einer klassisch-mysogenen Antagonistin domestiziert, dominiert, traktiert und eifersüchtelt Anouska Hempel durch den Film und benutzt gerne mal die Worte "Nigger" und "Nutte" und diese beiden auch gerne in Kombination (siehe Eifersucht). Entgegen der Plotlinie entwickelt Meyer trotzdem eine erstaunliche Handschrift in dem Film, alles steht in Kontakt mit der obzönen Lady und wird sexuell aufgeladen, obwohl nur selten direkt werdend. Körperlich wird es trotzdem, vor allem als der aufständige Anführer des Sklavenaufstands gekreuzigt und in für Meyer-Filme harte Manier gefoltert wird. So lässt sich Black Snake zwischen Exploitation, Blaxploitation und Kolonialdrama irgendwie schwer fassen, stellt in seiner exotischen Kulisse aber eine außergewöhnlich entrücktes Faszinosum dar. Fragen nach dem Dualismus von Zivilisation und Wildheit werden da dann nicht mehr gestellt.
Russ Meyers wohl schönster, durchgeknalltester und freidrehendster Film ist mit Sicherheit seine 76er Ausverschämtheit Up! Freizügig, offenherzig, ordinär und hochsatirisch arbeitet sich der Film an seiner politisch unkorrekten Geschichte um Adolf Schwarz Piranha-Mord ab. Bevor Adolf aber zu Marschmusik einen blutigen Abgang macht, wird er nochmal im Folterkeller zum devoten Sexsklaven degradiert. "Der ferne Osten macht mir seine Aufwartung!" Und nicht nur der. Äthiopische Dominas und vor allem auch der gute Paul und sein Dödel müssen herhalten für Adolfs perverse Keller-Spielchen. Dann wird Drunter, Drüber und Drauf - so der hübsche deutsche Titel - zur bloßen, freudestrahlenden Nummernrevue an Vulgaritäten in die eingebettet weiterhin diese bizarr-burleske Krimigeschichte um den Tod des armen Adolf ist.
Bevor Russ Meyer so richtig durchstartete schaffte er 1964 mit Lorna eine Art Ausgangslage des männlichen Dualismus im sexuellen Umgang mit der Frau. Lorna ist eine heiße Blondine, die einen Mann hat, der sie liebt. So sehr, dass sie für ihn zur heiligen Statue, zum unberührbaren Engel wird. Folglich ist die Lady - Meyers Blick auf den nicht zu zügelnden weiblichen Lustappetit - unbefriedigt. Als Gegenstück zum treuherzigen, aber plumpen Ehewaschlappen wird sie von einem aus dem Gefängnis geflohenen und in jeder Hinsicht ausgedursteten Häftling beim Nacktbaden erwischt. Aus Vergewaltigung wird ein devotes Ergeben in die Situation und die letztendliche finale Befriedigung. Der Ehemann seinerseits kommt - mit seinen Arbeitskollegen, einem Frauenschläger und einem Dorftrottel - frühzeitig nach Hause und der Film endet im Duell vor dem Haus. Meyer etabliert vielleicht als Unikum in seinem Oevre einen Blick auf männliche Begehrenstrukturen. Zwischen abnormaler Vergötterung und objektbezogener Selbstbefriedigung steckt der Mann gefangen, die Frau interessanterweise - auch hier nur ein lüsternes Objekt - bleibt die Wahl zwischen guter Ehegattin, die umsorgt wird oder schlechter Ehegattin, die sich um ihren Liebhaber kümmert. In jedem Fall bleibt sie Heimchen und bricht aus den Strukturen nicht aus. So lange der Sextrieb befriedigt ist, bleibt sie kontrollierbar. In Meyers späteren Filmen wird sich das radikal ändern.
Russ Meyers wohl schönster, durchgeknalltester und freidrehendster Film ist mit Sicherheit seine 76er Ausverschämtheit Up! Freizügig, offenherzig, ordinär und hochsatirisch arbeitet sich der Film an seiner politisch unkorrekten Geschichte um Adolf Schwarz Piranha-Mord ab. Bevor Adolf aber zu Marschmusik einen blutigen Abgang macht, wird er nochmal im Folterkeller zum devoten Sexsklaven degradiert. "Der ferne Osten macht mir seine Aufwartung!" Und nicht nur der. Äthiopische Dominas und vor allem auch der gute Paul und sein Dödel müssen herhalten für Adolfs perverse Keller-Spielchen. Dann wird Drunter, Drüber und Drauf - so der hübsche deutsche Titel - zur bloßen, freudestrahlenden Nummernrevue an Vulgaritäten in die eingebettet weiterhin diese bizarr-burleske Krimigeschichte um den Tod des armen Adolf ist.
Bevor Russ Meyer so richtig durchstartete schaffte er 1964 mit Lorna eine Art Ausgangslage des männlichen Dualismus im sexuellen Umgang mit der Frau. Lorna ist eine heiße Blondine, die einen Mann hat, der sie liebt. So sehr, dass sie für ihn zur heiligen Statue, zum unberührbaren Engel wird. Folglich ist die Lady - Meyers Blick auf den nicht zu zügelnden weiblichen Lustappetit - unbefriedigt. Als Gegenstück zum treuherzigen, aber plumpen Ehewaschlappen wird sie von einem aus dem Gefängnis geflohenen und in jeder Hinsicht ausgedursteten Häftling beim Nacktbaden erwischt. Aus Vergewaltigung wird ein devotes Ergeben in die Situation und die letztendliche finale Befriedigung. Der Ehemann seinerseits kommt - mit seinen Arbeitskollegen, einem Frauenschläger und einem Dorftrottel - frühzeitig nach Hause und der Film endet im Duell vor dem Haus. Meyer etabliert vielleicht als Unikum in seinem Oevre einen Blick auf männliche Begehrenstrukturen. Zwischen abnormaler Vergötterung und objektbezogener Selbstbefriedigung steckt der Mann gefangen, die Frau interessanterweise - auch hier nur ein lüsternes Objekt - bleibt die Wahl zwischen guter Ehegattin, die umsorgt wird oder schlechter Ehegattin, die sich um ihren Liebhaber kümmert. In jedem Fall bleibt sie Heimchen und bricht aus den Strukturen nicht aus. So lange der Sextrieb befriedigt ist, bleibt sie kontrollierbar. In Meyers späteren Filmen wird sich das radikal ändern.
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