Freitag, 29. Februar 2008

Berlinale 08 - Last Words

Am letzten Tag kam ich mit einem Musikstudenten aus Lyon zum Tausch überein. Er gab mir seine Akkreditiertenkarte für TOUT EST PARFAIT, wir teilten das Geld für eine normale Karte für ihn. Nach der Sichtung sinnierten wir noch vor dem Zoo Palast über Berlin. Berlin sei wie "2 Arschbacken, die zusammen gewachsen sind, mit der Gedächtniskirche als Punkt, von dem aus sich alles entspinnt". Die Reichshauptstadt sei aber auch wie "1000 Fernsehkanäle, die gleichzeitig laufen." Volle Zustimmung meinerseits zu diesen poetischen Umschreibungen des dirty, ugly hole Europas.

Die letzten Filme, die ich nun nicht in einem der Unterpostings fassen konnte:

Besonders beliebt bei der Kritik war der kleine Mexikaner Lake Tahoe, der schon deshalb besonders feinfühlig behandelt wurde, weil er - genau wie BALLAST - aus dem Berlinale Talent Campus Umfeld stammt. Mehrere Filmemacher schlossen sich zusammen und realisierten ihre Ideen. Heraus kommt in Fernando Eimbckes Film eine Aneinanderreihung von in Lakonie gegossenen Einzeleinstellungen, ein Konzeptalbum, das in seinem Denken so statisch ist wie seine Bilder. Beim Ausfaden der Bildfragmente atmet der Film immer wieder aufs Neue Melancholie ein, mit dem Erscheinen der neuen Versuchsanordnung strömt das Tiefsinnige wieder hinaus zugunsten des besseren Gefühls.

Und bald kennen wir ihn alle: Happy-Go-Lucky war der sprichwörtliche Knaller von Mike Leigh, der die Definition eines feel good movies anscheinend ausbuchstabieren wollte. Der Trick dabei ist, dass er scheinbar so aufrecht und ehrlich zu sein scheint, dass er jedem gefallen wird. Ein Arthouse-Pleaser wie der letztjährige IRINA PALM. Fraglich bleibt nur, ob solch eine filmische Frohnatur der Realität (und Lieghs Realitätsanspruch) gerecht wird, wenn sie mit solch einer banalen Aussage endet wie "Sei glücklich!" und negative Gedanken sind zwar vorhanden in dieser Welt (immerhin, das wird deutlich in den besten Passagen des Films), sind aber letztlich doch "doof". Kürzer greifen konnte man es nicht?

Zwei Mal traute ich mich auch ins Sonderprogramm "German Cinema". Zwei bisher nicht veröffentlichte Filme bekam ich in dem Reigen zu sehen, der normalerweise nur die bekanntesten deutschen Veröffentlichungen des letzten Jahres der akkreditierten Fachpresse aus dem Ausland vorstellen soll.

Früher oder Später ist ein Familiendrama mit Lolita-Anstrich, mit einigen lächerlichen mood-Sequenzen versehen, welche die Prinzessinenfantasien im zeitgenössischen Teen-Nirvana zeigen. Der Film ist artifiziell, mit der Kälte eines Musikproduzenten hingebastelte Negativ-Kür eines deutschen Independent-Kinos, dass Kino mit Peergroup-Watching, Film mit Musik verwechselt.

Dem deutschen Kino mangelt es schon an den Grundzutaten Dramaturgie, Figurengestaltung und -motivation an dem Essenziellen, was Kino ausmachen sollte. Furchtbar ist es mit ansehen zu müssen, wie ein Film ohne eine Chance schnurstracks ins Triviale versackt. Auch Beautiful Bitch bekommt nicht die Kurve von seinem sehr ernsten Thema (Menschenhandel und Kinderarbeit) direkt in den Fast Food abzurutschen (ob Humor oder Kitsch, die Taktiken sind altbekannt) und somit Berieselungskino nahe den TV-Wegwerf-Konserven zu repräsentieren.

Eine letzte Anekdote: Ganz anders war da dann schon mein persönlicher Abschlussfilm Chiko. Hier war nun das Publikum erstmals bei dieser Berlinale ein komplett ausgewechseltes. Will sagen: Die Proleten enterten den Zoo Palast. Sehr sympathisch, gerade die beiden Türken, die sich neben mich setzten, und fragten, ob das denn ein "türkischer Gangsterfilm" sei. Mein Hinweis, dass dieser wohl eher deutsch, zur Beruhigung aber immerhin hinzufügend "von Deutschtürken" sei, konnte die beiden Enttäuschten nicht zufrieden stellen. Die tröstenden Bionade und Becks Gold halfen auch nicht viel, da man sie noch vor Filmstart ausgekippte. Auf klebrigem Boden dann der Film.

Der seine Vorbilder (SCARFACE bspw.) platt nachahmende Hamburg-Gangster-Flick überrascht gar (gerade als Gegenstück zum restlichen nationalen Kino auf der Berlinale), da er 1.) überzeugend inszeniert und 2.) folgerichtig und konsequent im brutalen Strudel aus Blut und Tod endet. Wie gesagt, nur ein Kopierer, aber immerhin ein Guter, und dann auch noch einen Genrefilm, und dann auch noch aus Deutschland. Fast Respekt.

Meine beiden Homies hatten nicht mal mehr den, denn sie waren ab 2/3 des Films mit lautstarken Telefonaten beschäftigt. Mich amüsierte die hocheske Szene als Einzigen, Köpfe drehten sich in immer kürzeren Abständen in unsere Richtung um. Berlinale - eben immer auch ein Besucherfestival der ganz besonderen Art.

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