Dienstag, 10. Juni 2008

Wolke 9

Andreas Dresen, Deutschland 2008
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Andreas Dresen ist in letzter Zeit nicht mehr so unumstritten, wie er es vielleicht noch war, als er mit HALBE TREPPE 2002 einen frischen, jungen und unabhängigen Stil in die festgefahrene deutsche Filmlandschaft brachte. Inzwischen hat sich dieser "Berliner Schnauze Stil" schon fast eingebürgert (etwa in Bernd Böhlichs DU BIST NICHT ALLEIN vom letzten Jahr), und auch in den Interviews in Cannes 2008, zu welchem WOLKE 9 in der Nebensektion Un Certain Regard eingeladen war, stellte sich Dresen als Nörgler, Antielitarist und bewusst Ostdeutscher dar.

Das ist alles eigentlich gar nicht so schlimm, und doch löst es ein gewisses Unbehagen aus, war und bin ich doch jemand, der Dresens Filme immer wieder verteidigen musste. Waren seine letzten Werke jedoch auch stets von einer legeren Heiterkeit geprägt, ändert Dresen den Modus bei WOLKE 9 entscheidend und inszeniert erstmals eine reine Tragödie.

Die wohlmeinenden Worte des Feuilletons hat er nun damit, dass er ein offensichtliches Tabuthema anbricht. Sex im Rentenalter, überhaupt das Motiv der entschwindenden Liebe, die sich mit 70 noch einmal neu gesucht wird. Im Extremfall hat der Spießbürger früher gesagt, dass "eine Ehe bis dass der Tod euch scheide" gehen müsse. An ein Auseinanderbrechen von Ehen im hohen Alter ist selbst heute nicht zu denken, die moral-gesellschaftlichen Grundstrukturen der ältesten Generation geben das noch nicht her.

Inge (Ursula Werner) verliebt sich nach 30 Jahren Ehe mit Karl (Horst Westphal) in den Rentner Werner (Horst Rehberg). Noch funktionierende Beziehungsstrukturen brechen zusammen beim Geständnis der Frau. Sie entscheidet sich für "ihre Träume, Sehnsüchte und Wünsche" wie sie argumentiert und verlässt Karl.

Die Entscheidung des Films seine Figuren mit niedrigem Intellekt zu versehen, wirkt zunächst denunziatorisch. Wir lachen viel über die Charaktere, etwa wenn Karl zur Beruhigung eine Schallplatte mit Dampflokgeräuschen auflegt oder wenn Inge im Chor süffisante Folklore singt. Das alles kennt man von Dresen, die ironische Bebilderung eines Alltags, die fast ins Groteske abgleitet. Deutsche Tugenden, die noch niemand so gut präsentieren konnte wie es Dresen seit jeher tut.

Das Erstaunliche ist nun, dass die Figurenempathie dadurch trotzdem nicht leidet. Im Gegenteil vermittelt sich über die klare Sprache und Emotionslage eine Kommunikations- und Wortlosigkeit, welche die Situation für den Zuschauer greifbarer werden lässt. Waren HALBE TREPPE und SOMMER VORM BALKON Filme, deren Themen überwiegend humorvoll ausgehandelt wurden, so verschiebt dich bei WOLKE 9 der größere Anteil in die Dramatik. Der langsame Niedergang des alten Ehepaares, die offensichtlichen Lebenslügen bei gleichzeitigem, liebevollem Arrangement im Eheverband, die Aufdeckung von Mechanismen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart, das alles erschüttert den Zuschauer ungemein.

Am Ende wird Dresen unverhohlen moralisch. Er kann kaum anders, weil die Dramaturgie sonst nicht geschlossen wäre, der Film an sich verlangt es so. Inge wählt den Weg des Egoismus, verdrängt die eigene Verantwortung für einen anderen Menschen und lässt ihren Mann am Ende zurück. Dafür wird sie bitter büßen und sich in die Schuld begeben müssen. Wer einen Zeigefinger dahinter vermutet, liegt sicherlich richtig, die korrekte Entscheidung Dresens war es dennoch - hier wird der Zuschauer der Erschütterung tatsächlich nicht mehr Herr.

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