Donnerstag, 26. Juni 2008

Signers Koffer

Peter Liechti, Schweiz 1995
Signers Koffer sowohl Reisefilm, Sozialrealismus, Musikfilm, als auch zarte Satire und Experimentalfilm. Der Wechsel der Materialität wird bestimmend, selten zielt er darauf ab wirklich lustig zu sein, das Staunen weicht der puren Skurrilität in der Livekunst.

Grace is Gone

James C. Strouse, USA 2007
Das Fiese am all american Trauma Verarbeiter ist sein Begehren, die Tragik des Verlustes in ein Politikum einzubinden und dabei nicht richtig zu reflektieren. So ist man dazu verdonnert mit einem sturköpfigen Army-Konservativen zu leiden, obwohl man gar nicht will. Auch einige sehr gelungene, leise Momente der Trauer täuschen nicht darüber hinweg, dass Grace is Gone gerade durch seine Nichtreflexion und sein Nicht-Stellungbeziehen in gewisser Weise doch zum passiven Redner wird.

Omega Man

70er B-Movie-Blaxploitation, die seine Chance auf eine beklemmende Atmosphäre und Horrorelemente kaum nutzt. Sattdessen verwebt er eine Masse an diffusen Motiven (Gleichheit, Religiösität, Rassenkunde) zum Endgegner. Der Hipster kann dafür an anderer Stelle punkten, ist immer funky und soundbesessen. Noch fehlen hier die Zombies, dafür ist Hestons all natural weapon loving body stets blendend in Szene gesetzt.

Mittwoch, 25. Juni 2008

La Graine et le mulet

Abdellatif Kechiche, Frankreich/Tunesien 2007
-------------------------------------------------------------------------------------
Kechiches Familienkaleidoskop öffnet den Blick. In charmantester und naiver Weise wirbelt eine Kamera zwischen unzähligen Figuren einer maghrebinischen Großfamilie in Marseille umher. Schreiereien, Diskussionen, hier kommt man nicht hinterher, dort entdeckt man einen großartigen Dialog. Vollkommen losgelassen zelebriert Kechiche seine Figuren, meist ganz ohne Psychologisierungen, ohne sie zu denunzieren. Einfach ein öffnender Blick.

COUSCOUS MIT FISCH ist Komödie und Tragödie, Familien- und Liebesgeschichte, Sozial- und Migrantendrama, und doch überaus lebensfroh. Der Film ist roh, langsam, lang (151 Minuten), fordernd (mindestens die volle Aufmerksamkeit), eigentlich fast ausverschämt, weil man in seinem sozialen Realismus zunächst wenig filmische Finesse vermuten mag.

Kechiche teilt seinen Film in ein überlanges Sprachwirrwarr aus Diskussionen, alltäglichem Nebenbei, wichtigen Lebensplanungen, affektiven Streitereien und schmissigen Dialogen. Alles bleibt in der Familie. Dann wird er - eine halbe Stunde vor Apfiff - fast unerwartet exzessiv. Intensiv war er schon die komplette Laufzeit über, doch nun wird COUSCOUS MIT FISCH zur puren Extase. Die beiden Hauptfiguren (die sich auch erst jetzt als diese so richtig herauslesen lassen), nämlich der Vater (Habib Boufares) und die Stieftochter (unglaublich betörend und präsent: Hafsia Herzi) werden gegeneinander montiert. Sie rettet die Einweihungsfeier seines Restaurants mit einer nicht enden wollenden Bauchtanzeinlage, in der sie sich vollkommen hingibt. Er versucht verzweifelt dem verlorenen Couscous hinterher zu rennen. Vergeblich und tragisch. Extase, Musik und Tragödie treffen aufeinander, wenngleich die Hoffnung und die Ironie nicht aus dem Bild genommen werden.

LA GRAIN ET LE MULET ist ein warmherziger Film, in dem die Frauen kämpferisch, pfiffig und überlebenswillig - selbstredend damit einhergehend auch zutiefst hysterisch und affektiv - die Männer hingegen im Bild des Vaters als melancholisch, stur und vom Leben gezeichnet gezeigt werden. Das Geschrei ist kaum auszuhalten (der Höhepunkt ist eine 10 minütige Sequenz, in der sich der Vater von einer betrogenen Schwiegertochter anhören muss, dass sein Sohn der größte Arsch der Welt ist), und doch mag man der sinnlichen Zuneigung der Kamera zum Weibe wie zum Manne gerne zuschauen. Kechiche gelingt echtes Weltkino, dem mit Kraft und Anstrengung zu begegnen ist. In den Familienverband integriert, steht man dies aber nur allzu gerne durch.

Dienstag, 24. Juni 2008

The Devil came on Horseback

Anne Sundberg & Ricki Stern, USA 2007
-------------------------------------------------------------------------------------
Eine der besten - und eine der überhaupt wenigen von außen unberührten - Sequenzen ist ein unfassbarer Moment, in der ein sudanesischer alter Mann sich bei Steidle und seiner Schwester bedankt und dabei vor Rührung fast zusammenbricht. Er sagt "Thank You America! Thank you free world!" und dies etwa 10 Mal. Steidle und seine Schwester besitzen in diesem Moment eine vollkommen unsichere Gestik und wissen mit dieser überwältigenden Menschlichkeit offensichtlich nicht umzugehen. Händeschütteln. Ein paar "Appreciate that!"s. Das war's. Die furchtbare Kamera verfolgt lieber den weinenden Alten als er sich zurückziehen will, anstatt bei den überforderten Soldaten zu bleiben.

THE DEVIL CAME ON HORSEBACK ist eine Dokumentation, die trotz bestem Willen und bester Absichten viel zu vieles falsch macht. Es geht um den Sudan, um den Genozid in Darfur. Es geht aber viel mehr um Brian Steidle, einen amerikanischen Soldaten, der zum Beobachten 2003 in die Region geschickt wurde, als nach dem Waffenstillstandsabkommen die Jagd der arabischen Reitermilizen auf die Afrikaner began. Steidle ist offensichtlich nicht allzu helle, und schockiert darüber, das sein Land nicht eingreift. Er redet davon doch eigentlich mit 38 in Vorruhestand gehen zu wollen, und brüstet sich nun damit, dies nach dem Gesehenen nicht mehr tun zu können, ganz so als sei er der Held dieser Dokumentation.

Aber es ist eben nur diese fetzig geschnittene Doku - eine, die ihre schlimmen Bilder zur richtig getimeten Dramaturgie einsetzt - welche Steidle zu diesem macht. Bewirkt hat der Soldat nämlich wenig bisher. Und weil so eine Doku, die ja auch meist noch etwas erreichen möchte, kaum im Angesicht des Schocks enden kann (wo sie realistisch enden muss), treibt sie der Geschichte einen Drive ein, und einen fast verrückten Hoffnungsschimmer ins Gesicht. Steidle wird zum narrativ nötigen, zentralen Element gemeißelt, und erzählt ungeachtet seiner teilweise zum Zerbersten dummen Beiträge ("könnte man die Welt von diesen seelenlosen Teufeln befreien, sie wäre um so viel besser.") seine Lebensgeschichte als Abgleich mit der Leidensgeschichte der Schwarzafrikaner.

Die amerikanische Sicht - eine jederzeit dreist aufgesetzte - gerät zur Zentralperspektive. Armer, weißer Soldat. Was musste er nur alles mit ansehen? Dass THE DEVIL CAME ON HORSEBACK dabei auch die Absicht erfüllt, aufzuklären und wach zu rütteln, rettet ihn vor einem völligen Abstrafen.

Freitag, 20. Juni 2008

AlleAlle

Pepe Planitzer, Deutschland 2007
-------------------------------------------------------------------------------------
Das Klischee des grauen Ostens setzt sich seither gerne durch, in Planitzers Film tut es dies in allen erdenklichen Facetten eines ausgestellten Losertums, das im Angesicht von Countrymusik, Alkoholismus, Frauenschlägern und dem Irrenhaus einer trist-öden Lethargie das Wort redet, die auf komplette Betriebsblindheit zurück verweist.

Heavenly Creatures

Peter Jackson, Neuseeland/Großbritannien/Deutschland 1994
-------------------------------------------------------------------------------------
Viel zu hysterischer, zu wild gewordener Fiebertraum aus Fantasy und Drama, aus poetisch Überhöhtem und Nacherzähltem based on true events. Die wild gewordene Jacksonsche Zoomkamera wird dem Sujet kaum gerecht, wenngleich die Entscheidung durchzudrehen für diese Kritik an einer verengten Gesellschaft in den 50ern Neuseelands nachvollziehbar ist. Verwunderlich bleibt, wie es Jackson gelungen ist, mit diesem Film und dessen Vorgängern in den Mainstream Hollywoods einzuziehen, den er mit dem gähnend langweiligen The Frighteners erreichte und mit der Lord of the Rings Serie mitbestimmte.

Donnerstag, 19. Juni 2008

Rescue Dawn

Werner Herzog, USA 2006
-------------------------------------------------------------------------------------
Was für ein seltsames Stück, dass vor allem nach 80er Jahre Videozusammenschnitt aussieht, und nach fanatischem Enfant terrible riecht.
Herzog erschafft an beiden Enden patriotischen Humus der billigsten Sorte ("This is the final cut we see, and I can say i'm really proud of every picture") und zwischendrin eine mysthische Dschungelschlacht im alten Stil, Aguirre auf amerikanisch und doch ungleich abgehalfterter. Unheimlich immernoch, doch wunderlich heruntergekommen. Man ist fast ein wenig entsetzt, ob der in quadratische Holzmeter eingeteilten Papp-Fragmente.

Mittwoch, 18. Juni 2008

Hancock

Peter Berg, USA 2008
-------------------------------------------------------------------------------------
Der zwangsläufige Weg eines sich immer intensiver auf Selbstreflexion gründenden postmodernen Kinos ist mit HANCOCK einer, der sich einem der uramerikanischen Genremythen annimmt und es aufs Gröbste verformt.

Die legitime Frage ist also, was passiert wenn der Superheld eine Depression bekommt. Noch genauer ist die Frage: Was ist, wenn er ein misanthroper Zyniker ist? Menschen retten, wenn's sein muss. Aber dann bleibt ein krawalliger Knall nicht aus, denn: Gewalt gegen Dinge ist in jedem Fall okay.

Der gutmenschelnde PR-Berater wird zum Retter des Retter. Der vielleicht unrealistischste aller unrealistischen Aspekte des Films. Gegen Mitte ist dann kein Klimax erreicht, sondern der Abschluss von Geschichte Nr.1: Der Superheld wieder auf die richtige Bahn gebracht. Es folgt Geschichte Nr.2: Der Superheld findet sein weibliches Pendant, es konstituiert sich die Liebesgeschichte.

Geschichte Nr.3 ist nur eine Nebensächliche: Die Bösewichte (angeführt von Charakterfresse Eddie Marsan, zuletzt in HAPPY-GO-LUCKY zu sehen) wollen Rache nehmen. Interessiert aber keinen, auch nicht den Zuschauer. Dann die spektakuläre Konstellation am Ende - happy american family und zerbrochenes Herz des einsamen Steppenwolfs auf einmal. Und doch wird es eine Zukunft geben, auch für ihn und seine Liebe. Nicht unklug.

Vielleicht hätte man sich die Engelsgeschichte sparen können, den Mythos vom Gottgesandten braucht der Film nun wirklich nicht (aber brauchte es vielleicht um Will Smith mit an Bord zu bekommen, siehe I AM LEGEND). Ansonsten bleibt HANCOCK Blockbusterkino, das dank einem punktenden Humor eher auf der Gewinnerseite aller Superheldenfilme steht.

Dienstag, 17. Juni 2008

The Incredible Hulk

Louis Leterrier, USA 2008
-------------------------------------------------------------------------------------
Das Hulk-Franchise ist sicherlich eine der spannendsten Comic-Serien, die eine mediale Wandlung durchgemacht haben. Nach der TV-Serie aus den späten 70ern und frühen 80ern, die sich bis in die Mitte 90er noch hoher Pupularität erfreuen durfte, holte man 2003 mit dem ersten Kinofilm - einer durchaus gelungenen, sehr eigenartigen und doch einer Comicvorlage unheimlich gerecht werdenden Verfilmung vom Arthouse-Ästheten und perfektionierten Melodramatiker Ang Lee - den Mythos zurück auf die Leinwand.

Verwunderlich ist nun, dass man sich nach dem mäßigen finanziellen Erfolg des Films nochmals an den Stoff gewagt hat. Als Hollywoodskeptiker konnte man nicht annehmen, dass eine Linie beibehalten würde, die einer ernsthaften Auseinandersetzung treu bleiben würde, zudem mit Louis Leterrier ein relativ unbekannter Regisseur (lediglich das Actionvehikel TRANSPORTER 2 geht bisher auf seine Kappe) als Frontmann eingesetzt wurde.Umso überraschender das Ergebnis: THE INCREDIBLE HULK ist ein praktisch durchweg gelungenes Stück Blockbusterkino, weitgehend anders als Ang Lees Version (sicherlich auch was Massenkompatiblität angeht), und doch ansprechend und enthusiastisch inszeniert. Die Liste der positiven Auffälligkeiten ist lang: Allein die rasante Anfangssequenz in den Straßenschluchten Rio de Janeiros zeigt, dass die Macher etwas von Körper- und Affektkino verstehen. Edward Norton als gebrochener Mann ist ideal besetzt, ein grandioses Bild beispielsweise wie er auf den Straßen der dritten Welt bettelnd um Geld zum Überleben kurzzeitig sein Dasein fristen muss (ein verhungernder Superheld, wo hat man das schon gesehen?). Die Liebesgeschichte erstreckt sich minutiös detailiert über weite Passagen des Films, Leterrier ist sein Werk nicht zu schade melodramatische Töne heftig anzuschlagen (eine Gemeinsamkeit mit Lee).

Weiter geht's mit dem offensichtlichen Antimilitarismus, der konsequent durch den Film getragen wird. Die subversiven Betätigungsfelder finden ihren Höhepunkt im "Endgegner", einem zum ehrgeizigen Supersoldaten mutierten Anti-Hulk (Tim Roth), der im Moment der absoluten Macht alles und jeden tötet.

Nochmal der enttäuschende, herzlose Vater (auch das bekannt aus Lees Film), und am Ende ein doppelter Gimmick: Zuerst der notwendige Rückzug des Helden (in der wuseligen Masse eines Großstadtmolochs klappte es nicht, nun ist es die Wildnis als Einzelgänger), und nein, selbst buddhistische Yogaübungen können das Innerste nicht zurückhalten. Dann kurz vor dem Abspann noch angedeutete Heldencocktails, auch die exzellente Musik und der Gastauftritt von buddy Lou Ferrigno sei noch erwähnt. Ja, THE INCREDIBLE HULK ist gelungen und lässt die Franchise zur vielleicht vielseitigsten und stärksten in Sachen Comicverfilmungen werden.

Montag, 16. Juni 2008

Der rote Kakadu

Dominik Graf, Deutschland 2006
-------------------------------------------------------------------------------------
Mit der Aufarbeitung der DDR Geschichte tut sich der deutsche Film bekanntlich pathologisch schwer. Zwischen gut gemeinter Absicht, Ostalgie und einem Nicht-verprellen-wollen des ost- wie westdeutschen Publikums findet sich die Wahrheit für die grellgrauen Komödchen der letzten Jahre. Man kann es sich eigentlich kaum mehr mit ansehen, bei jedem neuen Projekt schwindet das Interesse sich mit dem Stoff überhaupt auseinandersetzen zu wollen. Bei DER ROTE KAKADU nun machte lediglich der Name Dominik Graf aufmerksam. Tatsächlich lohnt sich ein Blick auf das Werk zu werfen. Graf geht die Sache nämlich gänzlich "eigen" an. Wie er selbst sagt, entstand das Projekt im Nebenher, ein fließender Prozess, über einzufangende Luft des Zeitgeistes und sich von selbst ergebende filmische Momente wird da geredet. Nun muss man die Worte eines Filmemachers immer auch kritisch hinterfragen, bei Graf allerdings scheint dies angesichts der offensichtlichen Ehrlichkeit kaum nötig zu sein.

DER ROTE KAKADU erzählt eine wilde, fast wirre Geschichte um eine Dreiecksbeziehung in Dresden kurz vor dem Mauerbau 1961. Rock'n'Roll, eine (noch) Unbeschwertheit und Ähnliches spielen die Hauptrolle im Leben der Studenten. Wie in einem Fiebertraum arbeitet Graf einzelne "Orte" ab. Mal verschlucken die Figuren ganze Sätze, mal zoomt Graf seine Bilder euphorisch durcheinander, dann wieder wild farbige Settings (alles auch immer als Hommage an ein gänzlich anders liegendes Genre, Mario Bava und co zu lesen). Die Dramaturgie holpert damit so dahin, aber wie gesagt, Graf ging es um die "Momente", nicht um eine stringente, runde Story, die womöglich noch eine Moral bereit hält. Stattdessen eine extrem langgezogene Love Story, im Grunde genommen sogar eine ziemlich mutige, weil dem Publikum nicht mehr Beachtung als notwendig geschenkt wird. Graf tut sich im Kontext des "DDR-Geschichte-Aufarbeitungs-Films" wohltuend hervor. Allein, ein Aha-Erlebnis ist DER ROTE KAKADU damit nicht unbedingt geworden. Eher ein ganz seltsamer, ganz eigensinniger Trip.

Sonntag, 15. Juni 2008

Walk the Line

James Mangold, USA 2005
-------------------------------------------------------------------------------------
Ich glaube die grundsätzliche Problematik von Bio-Pics besteht darin zumeist weder einem diskursiven Anspruch, noch einem ästhetischen Mehrwert gerecht werden zu können. Neben dem dramaturgischen Lapsus - dem sich das Genre seit jeher automatisch aussetzt, will es doch eine "wahre" Geschichte erzählen - kann sich so ein Film seltenst behaupten.

WALK THE LINE ist da keine Ausnahme, sondern nur die harmlose Bestätigung dieser Gedanken. Mangold bricht die Figur Johnny Cash herunter auf einen nicht verarbeiteten Brudertod, einen Vater-Sohn-Konflikt und eine Liebesbeziehung, die ihren Weg erst nach 120 Minuten hin und her findet. That's it! Kein Nachstöbern in Zeit und Gesellschaft, kein Interesse für den musikalischen Werdegang und vor allem kein Wort zu einer Ikonografie des Verdammten, die an der Figur stets das Besondere ausmachte.

Statt dessen Groupies, Drogen, der Oscar. Seine Kinder ebenso wenig im Bild wie alle anderen außer June (Reese Witherspoon) und Cash selbst (Joaquin Phoenix). Am Ende wird geheiratet und sich sogar in gewisser Weise mit dem Papa versöhnt. Sonst nichts, nicht mal ein Blinzeln. Walk the average!

Dienstag, 10. Juni 2008

Wolke 9

Andreas Dresen, Deutschland 2008
-------------------------------------------------------------------------------------
Andreas Dresen ist in letzter Zeit nicht mehr so unumstritten, wie er es vielleicht noch war, als er mit HALBE TREPPE 2002 einen frischen, jungen und unabhängigen Stil in die festgefahrene deutsche Filmlandschaft brachte. Inzwischen hat sich dieser "Berliner Schnauze Stil" schon fast eingebürgert (etwa in Bernd Böhlichs DU BIST NICHT ALLEIN vom letzten Jahr), und auch in den Interviews in Cannes 2008, zu welchem WOLKE 9 in der Nebensektion Un Certain Regard eingeladen war, stellte sich Dresen als Nörgler, Antielitarist und bewusst Ostdeutscher dar.

Das ist alles eigentlich gar nicht so schlimm, und doch löst es ein gewisses Unbehagen aus, war und bin ich doch jemand, der Dresens Filme immer wieder verteidigen musste. Waren seine letzten Werke jedoch auch stets von einer legeren Heiterkeit geprägt, ändert Dresen den Modus bei WOLKE 9 entscheidend und inszeniert erstmals eine reine Tragödie.

Die wohlmeinenden Worte des Feuilletons hat er nun damit, dass er ein offensichtliches Tabuthema anbricht. Sex im Rentenalter, überhaupt das Motiv der entschwindenden Liebe, die sich mit 70 noch einmal neu gesucht wird. Im Extremfall hat der Spießbürger früher gesagt, dass "eine Ehe bis dass der Tod euch scheide" gehen müsse. An ein Auseinanderbrechen von Ehen im hohen Alter ist selbst heute nicht zu denken, die moral-gesellschaftlichen Grundstrukturen der ältesten Generation geben das noch nicht her.

Inge (Ursula Werner) verliebt sich nach 30 Jahren Ehe mit Karl (Horst Westphal) in den Rentner Werner (Horst Rehberg). Noch funktionierende Beziehungsstrukturen brechen zusammen beim Geständnis der Frau. Sie entscheidet sich für "ihre Träume, Sehnsüchte und Wünsche" wie sie argumentiert und verlässt Karl.

Die Entscheidung des Films seine Figuren mit niedrigem Intellekt zu versehen, wirkt zunächst denunziatorisch. Wir lachen viel über die Charaktere, etwa wenn Karl zur Beruhigung eine Schallplatte mit Dampflokgeräuschen auflegt oder wenn Inge im Chor süffisante Folklore singt. Das alles kennt man von Dresen, die ironische Bebilderung eines Alltags, die fast ins Groteske abgleitet. Deutsche Tugenden, die noch niemand so gut präsentieren konnte wie es Dresen seit jeher tut.

Das Erstaunliche ist nun, dass die Figurenempathie dadurch trotzdem nicht leidet. Im Gegenteil vermittelt sich über die klare Sprache und Emotionslage eine Kommunikations- und Wortlosigkeit, welche die Situation für den Zuschauer greifbarer werden lässt. Waren HALBE TREPPE und SOMMER VORM BALKON Filme, deren Themen überwiegend humorvoll ausgehandelt wurden, so verschiebt dich bei WOLKE 9 der größere Anteil in die Dramatik. Der langsame Niedergang des alten Ehepaares, die offensichtlichen Lebenslügen bei gleichzeitigem, liebevollem Arrangement im Eheverband, die Aufdeckung von Mechanismen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart, das alles erschüttert den Zuschauer ungemein.

Am Ende wird Dresen unverhohlen moralisch. Er kann kaum anders, weil die Dramaturgie sonst nicht geschlossen wäre, der Film an sich verlangt es so. Inge wählt den Weg des Egoismus, verdrängt die eigene Verantwortung für einen anderen Menschen und lässt ihren Mann am Ende zurück. Dafür wird sie bitter büßen und sich in die Schuld begeben müssen. Wer einen Zeigefinger dahinter vermutet, liegt sicherlich richtig, die korrekte Entscheidung Dresens war es dennoch - hier wird der Zuschauer der Erschütterung tatsächlich nicht mehr Herr.