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Sonntag, 8. März 2009

Fantasy Film Fest 2008 # 7

2 x Frankreich: Crossfire ist ein solider französischer Copthriller, der mit einer feinen Assault on Precinct 13 Hommage - einem schön anzuschauenden Shootout - endet. Der französische Silence of the Lambs heißt Melody's Smile und kommt einige Jahre verspätet könnte man meinen. Auch bei diesem Profiler-Thriller solides Handwerk an vorderster Front. Besitzt ein gut getimetes Ende, wenngleich sich stets zu augenscheinlich fleißig von den Vorbildern bedient wurde.

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Ein Film wie der griechische (dort gibt es eine Filmindustrie?) Tale 52 hat es bei so einem Festival schwer. Der Body Cinema Psychotrip ist schwere Arthousekost mit Sorgenfalten auf der Stirn, und nicht so wirklich massenkompatibel. Arthouse wollte irgendwie auch das seltsame Remake von Sasori sein - Als hätte eine Wong Kar Wai Epigone einen B-Movie im vollkommen neuen Gewand nachgedreht.

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Was vom Sommer übrig blieb? Summer Scars - der britische Low-Budget-Jugend-Krimi. In der Ästhetik eines Filmhochschulabschlussfilms. Seltsam. Ideenlos. Downloading Nancy in bewährter Sundance-Optik mit provokantem Thema, dass alles in allem aber solide und unaufgeregt umgesetzt wird. Kein Grund zum Feiern, keiner zum Ausrasten.

Montag, 2. März 2009

Fantasy Film Fest 2008 # 6

Wer hat es jetzt nicht in die begehrten, ersten 5 Einträge geschafft?

Zum Einen wäre dort Mirrors zu nennen. Zu dem könnte man jetzt lange Abhandlungen schreiben, wie man als talentierter Regisseur eben keinen solchen Film in Hollywood drehen sollte. Oder man beschwert sich nur kurz darüber, dass Alexandre Ajas Neuster zwar gründlich und überzeugend inszeniert sein mag, sich aber doch nur uralter Motive bedient, ohne dem Geisterhausgenre etwas hinzuzufügen. Hollywoodhorror pur, die Brutalität der Morde wird schnell ausgeglichen durch Sutherlands starkes Familien-Erretter-Motiv. Die Auflösung aus dem übernatürliche Verschwörung vs Schizophreniekonflikt kennt man nun auch schon.

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Hier im zusammengekratzten Rest zu erscheinen, bedeutet aber bitte schön nicht automatisch großer Mist gewesen zu sein. Ich kam in das Vergnügen die Manga-Spielerei Afro Samurai gleich zweimal sehen zu dürfen. Der feine Genremix aus asiatischen und afroamerikanischen Motiven zeigt das Leben als steten Kampf, das Spektakel benötigt keine Narration und verliert sich in den vorbei fliegenden Bildern. Da die Chose mit der Zeit ziemlich monoton wird, muss man sich erbauen am - von Wu-Tanger RZA beigesteuerten - Score und der grimmigen Attitüde, die Afro Samurai doch äußerst sympathisch dauerbelebt.

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Ole Bornedal zeigt sich nach einigen Jahren auf Tauchgang wieder gleich mit zwei Filmen. The Substitute habe ich noch nicht gesehen, Just Another Love Story auf dem Festival. Der stark überkonstruierte Neo-Noir bewegt sich zunächst technisch noch im Zickzack, wird später dann aber inkohärenter Weise ruhiger. Seine Schauspieler (Nikolaj Lie Kaas) sind ihm übergeordnet wichtig, dass schon (wieder) etwas Hollywoodflavour aufkommt. Er besteht auf den emotionalen Impakt, den seine versponnene Story aber nicht mehr her gibt.

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Der koreanische Abschlussfilm The Chaser ist ein opulentes Narrativik-Kaleidoskop, düster, virulent, böse. Ein enthusiastischer Drehkreisel, der hier und da an Schwung verliert in seinem Bestreben traditionelle Plotlinien zu durchbrechen, doch am Ende eindrucksvoll zurückschlägt, indem er - ganz altmodisch - die Tragik am klassischen Schuldmotiv entfaltet.

Sonntag, 1. März 2009

Fantasy Film Fest 2008 # 5

Dieses letztjährige Fantasy Filmfest wäre nicht fertig besprochen ohne Mad Detective erwähnt zu haben. Johnnie To und Wai Ka Fai erzählen die Geschichte eines schizophrenen Cops in subjektiver Perspektive. Das wilde Unterfangen gelingt überraschenderweise, dank der Stilsicherheit mit der die beiden Regisseure das Genre des Hong Kong Cop Thrillers perspektivisch neu formatieren. Der Gestus eines postklassischen Noirs trifft auf eine tragische Komödie, welche sich dank der liebevollen Annäherung der Macher an ihre Figuren entwickeln darf. Trotz des durchweg angenehmen Tons lässt sich der schreiende Pessismismus, den der Film transportiert, nicht unterkriegen. Technisch versiert, audiovisuell brillant und äußerst experimentierfreudig endet der Schelm in einem Oldschool-Spiegel-Shootout, welches den unerwarteten Reißer letztlich angemessen abrundet.

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Dieses letztjährige Fantasy Filmfest wäre nicht denkbar ohne den Festival-Radikalo Martyrs. Pascal Laugiers Versuchsanordnung im Folterfilm-ABC heutiger Tage ist echtes Körperkino, ein Brecher, blutig, aber nicht laut; schockierend, aber kein affektheischendes Kino. Er kennt seine Vorbilder der jüngsten Vergangeheit und wendet sich doch von ihnen ab. Ein banales Gut-Böse-Schema wird nicht aufgemacht, an einer reinen Rachegeschichte ist es ihm nicht gelegen. Vielmehr bricht er diese, indem er auf Anti-Karthatische Weise eine Erzählrichtung wählt, die trotz der narrativen Verästelungen der - so scheint es manchmal - etwas desorientierten Geschichte, unangenehm ungebrochen auf den Zuschauer losgelassen wird. Martyrs erzählt zunächst von Traumata und Schizophrenie, schaut im Mittelteil in den "Keller" der mittelständischen, glücklichen Familie und beendet sein Szenario mit einem kaum noch reflektierbaren, stoischen Spiel des "torture porn", dessen Begrifflichkeit sich hier so beileibe nicht mehr anwenden lässt. Ob das nun sehr abgefeimt oder zynisch ist, mag ich gar nicht beurteilen. Ein Film, der einen in der Ratlosigkeit zurück Gebliebenen zur Zweitsichtung auffordert.

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Das letztjährige Fantasy Film Fest bekam einen hübschen Schub auch durch einen kleinen, bösen Briten: Donkey Punch von Oliver Blackburn beginnt als stylischer Trip in jugendlichen Hedonismus. Drei schicksenhafte Mädels und drei schnöselige Machos machen einen Trip auf einer Yacht vor der Küste Mallorcas. Drogen, Sex und Musik machen dem vergnügungssüchtigen Publikum Spass, so lange bis die unangenehme Realität einbricht. Der Film wendet sich vom Videoclip zum hysterischen Szenario, in dem es heißt: Hier denkt jeder nur an seine eigene Haut, das Tier Mensch wird zum unberechenbarsten Gegner, alles endet in Mord- und Totschlag wie es schon die Bibel predigt. Auch wenn der Film nach seinem geschickt bedienten Affirmations-/Kritikdualismus am Ende in purer Metzelei untergeht, macht er in seiner Kammerspiel-Dystopie doch Sinn und hat tatsächlich mehr zu erzählen als der durchschnittliche Genrevertreter.

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Das letztjährige Fantasy Film Fest wäre nicht, was es war, gäbe es da nicht diesen Geheimtipp, den sich irgendwie niemand angesehen hat. Noch so ein kleiner Brite, und noch so ein Kammerspiel, dass einen gesamtgesellschaftlichen Moment erfasst. Sehr reduziert und fokussiert auf sein Anliegen erzählt Senseless die Geschichte eines Mannes, der von maskierten Kidnappern in einem weißen, leeren Raum gefangen gehalten wird, und tagtäglich Gliedmaßen verliert, muss mit seinem Körper buchstäblich für die Weltpolitik seines Landes, der USA herhalten. Dem exploitativen Gestus Politik mit Horror, Folter und Ekel zu verbinden, liegt weitaus mehr inne als man es vom Papier her annehmen könnte. Simon Hynd geht es um ideologische Grabenkämpfe und gefühlskalten Antihumanismus, der sich in der Verteidigung vermeintlich richtiger Werte Bahn brechen kann. Im Grunde genommen handelt es sich bei Senseless um eine Skizze eines modernen Terrorismus, funktional eingebettet in einen schockierenden Erzählartefakt.

Freitag, 27. Februar 2009

Fantasy Film Fest 2008 # 4

Was gibt es Schöneres als eine bitter-böse Sozialdystopie auf einem stets dem fiesen Grinsen verschriebenen Festival wie diesem?! Der Däne How to get Rid of the Others bleibt nur im allerätzendsten Sarkasmus erträglich. Der rotzfreche Roundhousekick spielt die Stammtischparolen durch und erstellt ein Szenario, in welchem die BILD nichts mehr zu schreiben hätte, würden ihre Empörungen doch standesgemäß Konsequenzen nach sich führen: Sozialschmarotzer und solche, als welche die Masse der Gesellschaft sie brandmarkt (Behinderte, Alkis, Künstler) werden in Schulgebäude interniert und per Schnellprozess zum Tode verurteilt, so sie denn den Staat mehr kosten, als sie ihm einbringen. Schluss mit dem Gerede, jetzt unternimmt der Staat mithilfe seines Militärs endlich einmal etwas. Anders Rønnow Klarlund schaffte in seinem zwischen Zynismus und Erschrecken pendelndem Werk den vermutlich schockierensten Film des ganzen Festivals. Rezeptionstechnisch immer wieder interessant zu beobachten, wie das Publikum herausgefordert wird, und solch einem ehrlichen Werk nicht standhalten kann, seine innere Unruhe bekämpft, indem es viel zu häufig in selbstberuhigendes Gelächter ausbricht. Dem monströsen Screenplay, welches den Grundgedanken ideenreich ausformuliert, lasten ein paar Fussel an, Spielereien, Komödiantisches, Überzogenes. Nichtsdestotrotz findet sich in How to get Rid of the Others eine politisches, durchaus sehr ernst gemeintes Anliegen, welches eine größere Bühne verdient hätte.

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Was gibt es Schöneres als einen kitschigen Liebesfilm auf einem vornehmlich dem Nerdtum verschrieben Festival wie diesem?! Der belgisch-niederländische Blind erzählt ein Märchen über 2 Außenseiter, die zueinander finden und sich doch über gesellschaftliche Barrieren, Normvorstellungen und das eigene niedrige Selbstwertgefühl hinwegsetzen müssen, um zu ihrem eigentlich so einfachen Ziel zu gelangen. Ruben ist blind und wird von der Albino Marie als Hausmädchen gehütet. Als er nach einer Augenoperation wieder sehen kann, flüchtet Marie aus Angst nun die Liebe zu verlieren. Das Selbstzerstörerische, was dieser altmodischen, farbentfilterten und schneeweißen, tieftraurigen und von Regieneuling Tamar van den Dop virtuos inszenierten Geschichte innewohnt ist kaum auszuhalten. Voll poetischer Nostalgie rauscht der Film dank seiner grandiosen Optik, dem Score und den starken Darstellerleistungen beinahe leise und bedächtig an einem vorbei. Wieder so ein Fall von Aufmerksamkeitsmangel der größeren Festivals, wieder muss man einen lauten Seufzer ausstoßen.

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Was gibt es Schöneres als eine als Vampirfilm deklarierte einfache und romantische Coming-of-Age-Geschichte auf so einem nach Monstern und Mythen schreienden Festival?! Der inzwischen allseits bekannte Schwede Let the Right One In erzählt - ähnlich dem oben erwähnten Blind - eine Geschichte von 2 Außenseitern, die in einer feindlichen Umgebung zueinander finden. Oskar ist ein Verstoßener von allen Seiten (geschiedene Eltern, Schulstress, drangsalierende Mitschüler) und Eli braucht trotz humanistischem Profil Blut, dass ihr gealterter Liebhaber (hier nun Vaterersatz) als sich Aufopfernder heran schafft. Die Spannung des sehr leisen, ebenfalls in nüchternen, unterkühlten Bildern eingefangenen Tragiestücks ergibt sich aus den Überlegungen über die Konsequenzen: Was für eine Zukunft hat diese aufblühende Zuneigung zwischen den beiden Kindern? Mit diesem stets über der Geschichte lauernden Gedanken wirkt Let the Right One In wie der große, ernste Bruder von Blind.

Freitag, 6. Februar 2009

Fantasy Film Fest 2008 # 3

Talking about Trash: Wenig Gutes gab es da zu berichten. Gefallen hat der überschwenglich-überbordende 36 PASOS aus Argentinien. Ein Low-Budget-Digital-Sonnengemüt, dass zwischen funktionsuntüchtigem Slasher, blendend gelaunter Daily Soap und Softsexsatire seinen ganz eigenen Weg geht. Nichts als ungewollter Trash war für meine Begriffe auch der zweite Opener des Festivals in meiner Stadt AN EMPRESS AND THE WARRIORS. Der Chinese ist ein hochkitschiger, pathetischer Low-Budget-Hochglanz, der die ewige Liebe, Heldenverehrung und Stolz herausstellt und dabei primitiv zwischen kinderfreundlichem Familienfilm, Bollywoodkitsch und Hollywoodpopanz tänzelt, dass es vor unfreiwilliger Komik nur so spritzt.Ein ganz unorigineller Versuch das zu toppen machte IT'S ALIVE, ein furchtbar biederer und lahmer Fötenhorror, der nach 70 Minuten Langeweile - wohl vor allem aus eigenem Unvermögen - erst entscheidet trashig zu werden. Na dann, Prost Mahlzeit. Einer, der es da schon ernster meint mit seinem Spassfaktor ist DANCE OF THE DEAD, Kinderquatsch mit Michael für die Nachtschiene, in Ironie getunktes Klischeetheater. In die gleiche Richtung streckt sich der Niveau-Bungee-Athlet THE RAGE. Und dann noch Grütze ohne Geschmack: LADY BLOOD, furchbarer mit Gore versetzter Krimi auf Tatort-Niveau. Kommt davon, wenn man einen Film einlädt, den das Festival selbst vorher nicht gesehen hat.

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Kommen wir zum gehobenen Trash. JACK BROOKS: MONSTER SLAYER. Durchaus mit anzusehen, wie die Monster im Schulflur zur Strecke gebracht werden. Hat immerhin keinen "Haha"-Anspruch, den er dann nicht einlösen kann, sondern will nicht mehr sein als nette Actionunterhaltung. MY NAME IS BRUCE - Naja, vielleicht noch so ein wenig rustikaler Charme, aber eigentlich leider nur ein laues Lüftchen. Der andere Selbstreferenzo, von dem das ganze Festival sprach und der dann final auch den Fresh Blood Award mit nahm: J.C.V.D natürlich. Jean-Claude van Damme im Dickicht seines eigenen Mythos. Präsentiert und einen nicht so ganz stimmigen Mix aus Gaunerkomödie und selbstreferentiellem Trockenhumor, wobei Zweiteres funktioniert und den Film goutierbar macht. Van Dammes improvisierter Monolog in der Mitte des Films kann in seiner offensichtlichen Ehrlichkeit sowohl als lächerlich oder auch aufrichtig gesehen werden. Aber doch lieber positiv besetzten das Ganze. Haben sie sich verdient, unsere Muscles from Brussels.

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2 Filme außer Trashkonkurrenz: Dario Argentos MOTHER OF TEARS Meinte ich der Monster Slayer wäre der beste Trash des Festivals? Falsch, natürlich ist Argentos okkulter Kindergrusel noch amüsanter. Höhepunkt: Udo Kier als der Geistliche Johannes. Hab zugunsten einer etwas günstigeren Nahverkehrsanbindung dennoch auf die letzten 20 Minuten verzichtet. Sorry, Dario! bis dahin aber schon unvergleichlich. Dem obszönen Assi-Brett MUM & DAD hingegen fieberte ich wild entgegen und wurde enttäuscht. Leider zu uninspirierte Umsetzung eines Themas aus dem man mehr hätte machen müssen. Manchmal einfach nur auf billigen Effekt (=Ekel) setzend, versuchen die Macher sich an einer Satire - ein Vorhaben, welches nur streckenweise gelingt - und befördern damit auch die Distanz zwischen Figuren und Zuschauer. Am Ende bleibt nicht mehr als der Eindruck eines bizarren Low-Budget-Meuchlers im Stile eines Neighborhood Watch vom FFF 06.

Donnerstag, 5. Februar 2009

Fantasy Film Fest 2008 # 2

Wenn sich das Fantasy Film Fest noch immer als vornehmliches Genrefestival versteht, dann erwartet man allerdings auch den einen oder anderen wirklich anständigen Beitrag vor die Augen zu bekommen. So ganz Aussieben lässt sich bei 70 Filmen der Schrott ja nie, aber umso größer ist die Freude, wenn dann mal wieder eine kleine Perle reinster Genreliebe an Bord ist. In 100 FEET spielt Famke Janssen eine frisch frei gekommene Frau, die eine Weile im Knast saß, weil sie ihren brutalen Cop-Ex-Mann umbrachte. Der trachtet ihr im alten Ehe-aka-Spuk-Haus nach dem Leben und dumm nur dass sie die Auflage hat sich nicht weiter als 100 Feet von eben diesem zu entfernen. Neben dieser Panic Room meets Geisterhaus-Geschichte ist 100 Feet auch ein großes Stück Geschichte über Trauma und Traumabewältigung. Die erste Einstellung gleitet alsdann von einem Riesenfriedhof zur New Yorker Skyline, selbstredend ohne die beiden Türme. Da heutzutage kaum mehr ein Film ohne eine starke Frauenfigur auskommt, sehen wir Milf Janssen kämpfen ("This is my house!"), sich ein Post-Noirsches Spielchen mit dem Ex-Partner ihres getöteten Ehemanns Bobby Cannavale liefern und als "next step in life" den Nachbarsjungen verführen. Dessen Todeskampf mit dem gehörnten Geist des Hauses gehört auch zum Eindrucksvollsten und Brutalsten, was ich dieses Jahr auf der Leinwand zu sehen bekam. Das feurige Ende von Eric Reds Grusel-Mix ist dann zwar etwas over the top, aber das stört nicht mehr nach 100 Minuten bester Unterhaltung.

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100 Feet sollte man sich beim diesjährigen Festival auch nicht vom Gelände wagen, denn was einen da hinter dem Kinopalast erwartete war der passende Grusel zum im Kino dargebotenen. Überall existieren ja die "urban legends" über die Wäldchen, in welchen Homosexuelle sich wortlos und zumeist unverabredet zum rein körperlichen Liebesakt treffen. Ich nun meinerseits gehe in den Pausen zwischen den Filmen gerne ein wenig frische Luft schnappen und da ist der Park hinterm Kino geradezu perfekt geeignet. So kam es dann auch, wie es kommen muss und ich konnte interessanten Schauspielen beiwohnen. Nicht falsch verstehen, man lasse jedem seine schmutzigen kleinen Geheimnisse. Nur, umso häufiger und umso länger man dort sitzt, desto größer die Wahrscheinlichkeit ungewollt bald selbst Teil der Vorgeplänkel zu werden. Raus in den Busch, rein in den Busch, wieder raus und nochmal gucken ob der junge Mann auf der Parkbank (moi) nicht doch mit in den Busch will. Höhepunkt war dann ein älterer Herr, der es schaffte innerhalb von 5 Minuten acht Mal an meiner Bank vorbei zu gehen mit klaffend großen, geifernd gaffenden Augen. Erst ein "Nee, danke" meinerseits konnte die Szene dann auflösen. [CDU-Modus on]Nicht mal im Park hat man mehr seine Ruhe vor diesen Gestalten[CDU-Modus off]

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Ein weiterer von mir mit freundlichem Lächeln bedachter Zeitgenosse war der Opener EDEN LAKE, der das Festival zugleich gebührend einleutete. Nachdem der Film von allen erdenklichen Seiten ja gebasht wurde, musste ich schon meine Stirn runzeln, die Verrisse allerorten konnte ich aber kaum nachvollziehen. James Watkins Backwood-Horror ist ein kleiner, äußerst pessimistischer Genrefreund, der das in England aktuelle Thema der Jugendgewalt thematisiert und gleichzeitig die Frage aufwirft, wer denn hier Angst hat vorm "white trash". Anstatt nun aber die bösen Kids gegen die guten Urbanistas abzugrenzen, greifen diese - ganz dem klassischen Revenge-Motiv - selbst zur Brutalität als Gegenmittel. Tier bleibt eben Tier und die zivilisatorischen Errungenschaften bleiben auf der Strecke. England bleibt sprichwörtlich im Reifen stecken und wird von überbordendender Gruppenaggression zunichte gemacht - das schwächste Glied in der Gruppe der Jungs wird von diesen mit Benzin übergossen und verbrennt. Unter dem tierischen Schild der Aggression strukturieren sich Hierarchien. Wie bei 100 Feet braucht es dann hier auch die starke Post-Feministin, die ihren im angriffslustigen Akt für das Desaster verantwortlichen Mann blutig verteidigt. Das Ende ist dann nochmal ein brachial-pessimistischer Draufhauer und lässt auch die 20 Liebeskitsch-Minuten aus dem Mittelteil vergessen, welche den Film kurzzeitig aus der Bahn geworfen haben.

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Und noch ein Genrefilm der stärkeren Sorte: THE STRANGERS ist ein Terrorfilm par exellence. Pärchen wird im Haus von drei maskierten Unbekannten beobachtet und dann gemächlich nach und nach verängstigt. Feinstes Affektkino, in welchem nach sich Zeit nehmendem Spannungsaufbau der Hammer vollends zuschlägt. Bryan Bertinos Film lotet geschickt sein Raumgefüge (Haus, Vorhof, Wald) aus und spielt mit der nötigen Eleganz aus Zeigen und Nicht-Zeigen mit den Unsicherheiten seines Publikums. Affektkino, die Zweite - HUSH - Ein ebenso gelungener Genrevertreter wie The Strangers mit den gleichen Schwächen, über die man hinwegblicken muss. Eine kleine - leicht Dueleske - Abhandlung über menschlichen Egoismus, die gegen Ende aber nicht vertieft wird. Wird den Erwartungen aber durchaus gerecht.

Mittwoch, 4. Februar 2009

Fantasy Film Fest 2008 # 1

Besser viel zu spät als nie. Eine kleine Nachbetrachtung des Fantasy Film Fests des letzten Jahres, denn 8 geschlagene Tage im Kino zu sitzen ohne daraus dann ein wenig Wortsalat zu basteln ist ja doch ein wenig unverschämt.

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Ein dezenter Hinweis genügt - mancherlei Filme sah ich bereits im Vorfeld - Shiver und Transsiberian auf der Berlinale, The Art of Negative Thinking gesondert, Waltz with Bashir nun bereits ein zweites Mal.
Zur Waltz Sichtung auf dem Filmfest aber noch soviel: Ich hatte das grandiose Unglück hinter mir zwei höchst uninteressierte, filmapathische und unsensible Zeitgenossen im Rücken zu haben. Wer den Film kennt weiß ja, das die Endsequenzen Magengrubenschaufeln der heftigen Art sind. Wer diesen Bildern nun zynischst manipulative Wirkung zuschreibt oder sie gar den kompletten Film verneinen sieht, der würde damit wohl kein Problem gehabt haben - die beiden Herren hinter mir tauschten sich jedenfalls eifrigst über ihre Abendgestaltung und Zeitpläne aus und, obwohl ich ein Verfechter eines gelassenen Umgangs miteinander im Kinosaal bin (Böse Blicke bringen mich meist zum Schmunzeln), war das doch zuviel des Schlechten. Blöd nur, dass einem ja gerade die Spucke, als selbstverständlich auch die Worte wegbleiben in solch einem Moment.

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Enttäuscht ist man in solchen Situationen vom Menschen an und für sich. Fragen drängen sich auf. Warum geht der Großteil des Volkes eigentlich ins Kino, wenn die Sensibilität für Kunst gleich null ist? Kino gilt heutzutage als Beschäftigungsangebot gleich neben ins Freibad gehen und Eis essen. Jeder tut's. Schön ist das, und doch befremdlich, weil so viele Laien hineinströmen in die Säle und irgendwie stets "einen anderen Film schieben" als derjenige, der dort gezeigt wird. Oder irgendwie nur verdutzt sind und mehr als den Inhalt und ein "irgendwie interessant" dazu nicht abgeben können. Zu Hause wartet ja auch wieder der Abwasch und der Film ist schneller vergessen als politische Missetaten von hochrangigen Amtsträgern.

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Aber glücklicherweise gibt's ja auch Ausnahmen. José aus Mexiko ist eigentlich Informatiker und gibt seine gesamte Freizeit und das gut verdiente Geld für Filme und Kino aus. Wir schauen gemeinsam den Midnight Meat Train. Ein Film, wie er auf dieses Festival gehört. In schicker Videoclipästhetik ("Jeder shot ein Foto!") und Game-Optik verfolgt Butcher Vinnie Jones unseren Protagonisten, der sich als Fotograf seinem Objekt der Begierde annähert, und diese Tatsache am Ende auch den Trieb zur dunklen Seite überstrapazieren lässt. World's gonna mad. Und dem Individuum kann's ob seiner aggressiven, zivilisatorisch verdeckten Aura nur recht sein. Zuvor erstrahlt der Butcher im hellen Licht der kleinen Kamera. Als Mittelpunkt gefällt er sich, obwohl das Spiel für beide Seiten doch so gefährlich ist. Voyeurismus gehört eben zum menschlichen Geschäft. Auf der Strecke bleibt da nur die Liebe zum holden Weibe, dass es hier ausnahmsweise einmal nicht schafft den Mann in die heilere, warme Welt zurückzuführen. Stattdessen wird sie anal penetriert und am Ende umgebracht. That's life.

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Ryûhei Kitamura inszeniert diese oldschoolig anmutenden Blutleckerei ziemlich postmodern, doch das trägt nur zur angenehmen Kurzweil bei. Der Film ist ein wirklich süßer Bastard und feinste Genrekost. Das konnte man von vielen anderen Slashern und Blutklauberern nicht sagen. Der amerikanische XII stellte sich beispielsweise als Rebell in Turnschuhen heraus. Billigste DV-Ästhetik und ein dramaturgisches Desaster auf dem Niveau einer Daily Soap. Auch der Minimal-Versuch Shuttle leidet an einer zerfahrenen Grundausstattung. Ein schmächtiger Busfahrer kidnapped 5 Jugendliche im Shuttlebus. Und die kommen da nicht frei? Das Ende und sein hübsches Anliegen retten den Film nicht mehr, machen ihn aber zur immerhin besseren DV-Kost. Und nochmal Australien: Dying Breed ist ein gradlinig haushaltender Backwood-Slasher. Immerhin keine "Ich zeig dir mal wie Low-Budget ich bin, Digger" Nummer. Dafür aber auch nicht wirklich inspirierend.

Montag, 6. Oktober 2008

Filmfest Hamburg 2008 # 6

So ein Festival hat ja stets das Problem zwischen den Stühlen zu sitzen. Filmkunst wird erwartet, Unterhaltung ebenfalls. Und was ist mit Genrefilmen? Viele Kinoabsitzer haben bis heute nicht verstanden, dass sich anspruchsvolle Qualität und wiederkehrende Handlungs- und Motivreihen nicht ausschließen müssen. Beim Filmfest Hamburg hat man dann noch die TV-Produktionen, die nichts von alledem erfüllen können, aber dennoch ihre "Berechtigung" dadurch erlangen, so auch den roten Teppich füllen zu können, der sonst nur verstauben bzw zur Bewahrung vor den Peinlichkeiten gar nicht erst ausgerollt werden würde. Wer dann darüber schreitet und das Blitzlicht auf sich konzentrieren darf, darüber soll hier lieber Stillschweigen gewahrt werden. Wir wollen ja nicht dem Filmfest zu Nahe treten. Und keine Gerichtsvorladung bekommen.

Einer der wenigen Filme, die vom Papier her sowohl den künstlerischen Gedanken, als auch Genrekonventionen erfüllen hätte können kam aus Thailand. The 8th Day von Chadchai Yoodsaranee handelt von dem Verschwinden eines Mädchens vom Spielplatz. Die schlaue Lösung, das geografisch naheliegendste Haus zu durchsuchen, wird nicht angedacht, und so kann das geistig verwirrte, aber nach außen hin harmlos wirkende Großmütterchen das Kind tagelang gefangen halten. Wir wissen das, weil auch unser Protagonist - ein Medizinstudent - das weiß. Und beobachtet, für seine Abschluss-Thesis. Das hört sich doch alles ganz fesch an, denkt man sich, und die Ausgangssituation würde sicherlich auch Fläche genug bieten, um daraus was Feines zu basteln. Allein es fehlt an weiterführenden Ideen. Die Prämisse wird 90 Minuten lang durchgespielt ohne wirklich voranzuschreiten. Die Auflösung ist banal, und dass der Film in schwarz-weiß gedreht wurde erfüllt nun nicht gerade im Alleingang den Kunstaspekt. Enttäuschung quer durch die Stuhlreihen.

Viele Kanadier gab es dieses Jahr zu sehen, und wir sind noch nicht am Ende angelangt. Der Preis für das beste Erstlings-Ahornblatt beim Toronto Filmfest ging dieses Jahr an Continental, a Film without Guns von Stéphane Lafleur. Hat man den Film gesehen weiß man warum. Lakonische Abrisse und ineinanderfassende Geschichten dominieren den distanziert-unterkühlten Schelm, sowas kommt gut an, frag mal den Kaurismäki, nur hat der mehr Charme.

Centerpiece
Kommen wir zum wichtigen Teil des Abends. Auf Kiyoshi Kurosawas neusten Streich freute ich mich insgeheim am Meisten, denn nach meinem Einstand in sein Oevre mit Pulse scheint er einer der spannensten Regisseure unserer Zeitepoche zu sein. Nun, mit Tokyo Sonata legt er ein für ihn ungewöhnliches Drama vor, dass sich weiteren Genreklassifizierungen in seiner Breitfächrigkeit zunächst einmal verschließt und damit festivalgeeignet genug scheint. Wir beginnen mit einer Familie, deren Vater arbeitslos wird. Da dies in unserer Gesellschaft mit dem kühlen Blick fürs Wesentliche (Geld und Status), und der Japanischen im Speziellen, nicht so gern gesehen ist, spielt er seiner Familie vor, alles sei in Ordnung. Bei der Essensausgabe für Obdachlose lernt er einen weiteren gescheiterten Mann in Anzug und Krawatte kennen und beide freunden sich an. Unser Familienoberhaupt lässt sich - zur Wahrung der Identität seines neuen Freundes - dann auch mal zum Abendessen einladen, damit dessen Familie sieht: Alles super, auch die Arbeitskollegen kommen mal vorbei. Wenig später streift unser Papa am Haus des Kumpanen vorbei, und muss mit Erschrecken von der Haushälterin erfahren: Der Mann hat sich und seine Familie im Schlaf vergast...

Soweit, so gesellschaftkritisch. Die Gesellschaftssatire, die Kurosawa hier aufbaut fühlt sich im ersten Drittel wie eine beißende Kritik an einer kapitalistischen Normung an, bitter, kalt und nicht im entferntesten witzig. Doch die Absurdität der Situation macht es möglich, die Tragik mit trockenem Humor zu begegnen. Die Leichtigkeit, die sich trotz des Schocks beim Zuschauer einstellt, ist entfesselnd, atemberaubend und wunderschön.

Wir sind wie gesagt immer noch nicht bei der Hälfte angekommen, als die Mutter des Hauses zum ersten Mal die Bühne - Kurosawa, das wird gegen Ende ganz deutlich, rekuriert stets aufs Theater und inszeniert seinen Film nicht weit weg davon - betritt und spitz kriegt, dass ihr Mann wohl arbeitslos ist. Während dieser sich gegenüber seinen beiden Söhnen - unter dem Druck und Verlust seiner Autorität als Arbeitsloser - von nun an wie ein wild gewordener Patriarch aufführt, mildert seine Frau die Umstände ab - und entwickelt sich über die Lauflänge des Films hinweg vom stillen Mäuschen (wörtlich, von ihr ist am Anfang weder etwas zu hören, noch zu sehen) zum selbstbewussten, sich aus den Klammern befreienden Individuum. Auch den Söhnen werden ganz eigene, motivisch noch weit fassendere Geschichten auf den Leib gezimmert und somit baut Kurosawa seinen Film im Mittelteil zu einem Kaleidoskop einer Familientragik aus.

Was dann folgt - es wird noch vieles sein, eine gewisse "Vollgestopftheit" kann man dem Film wohl vorwerfen - formuliert das Drama noch weiter aus. Gegen Ende erlaubt sich Kurosawa seinem Werk einen Drall zu geben, der so weitreichende Konsequenzen beinhaltet um Tokyo Sonata berechtigterweise als existenzialistisches Drama bezeichnen zu können. Bergman schaut herein, der olle Namensvetter aus dem eigenen Lande ebenfalls. Manche Szenen sind pures Theater, gestelzt und doch so lebendig. Im Schlussbild hören wir ein Klavierkonzert des jüngsten Sohnes. Die Eltern weinen. Die Fachkundigen versammeln sich vor Erstaunung über das Talent des Jungen. Das komplette Stück wird ausgespielt, einen Moment Ruhe, der Junge und seine Eltern gehen an der Kamera direkt vorbei und die Zuschauer bestaunen: Uns. Die Zuschauer. Abspann, in welchem aus den Boxen die gleichen Laute wie aus dem Saal kommen - wir verlassen diesen Ort.

Neben diesem augenzwinkernden, intelligenten Schlussbild weist das Werk - das im Übrigen als einziger Film ohne Gäste auf dem ganzen Festival Applaus bekam (bei halbgefülltem Kino) - so viele erstaunliche Merkmale auf, dass ich versucht bin hier das böse Wort mit M zu verwenden. Bei der Zweitsichtung vielleicht. Wahrscheinlich.

Der langgezogene Höhepunkt
Nach so einer Bombe hat es der nächste Film bekanntlich schwer, und so stürzte ich ohne grosse Erwartungen ins Kino nebenan um mir Thomas McCarthys (The Station Agent) neue Tragikomödie The Visitor anzuschauen. "Von den Produzenten von Sideways" stand da noch auf dem Plakat an der Eingangstür des Kinos und ich dachte mir schon "Na dann man tau Jungs...".

Der Film erst einmal unaufgeregt. Keine Spirenzchen, keine blöden Gags, keine Anbiederungen ans Publikum. Gefiel mir. Und wurde dann sogar richtig gut.

Der New Yorker Professor Walter Vale (Richard Jenkins) reist in seine Zweitwohnung im Big Apple und findet dort ein illegal eingemietetes Pärchen aus Afrika vor. Der Syrer Tarek (Haaz Sleiman) und die Senegalesin Zainab (Danai Jekesai Gurira) ziehen sich freundlich und dankbar zurück, doch der unterkühlte, stets mit besorgter Mine versehene Prof fasst sich ein Herz und bietet ihnen an noch ein paar Tage zu bleiben, bis eine neue Bleibe gefunden ist. Er freundet sich mit dem lebensfreudigen Tarek an und legt gar seine Verkrampftheit ab um Trommeln vom jungen Wirbelwind zu lernen. Nachdem der unbedarfte Tarek in der U-Bahn überprüft und von der Einwanderungsbehörde festgenommen wird, kommt heraus, dass unser Pärchen nicht nur rechtswidrig gewohnt, sondern auch illegal im Land ist. Da auch Zainab und Tareks Mutter Mouna (Hiam Abbass) - die auf der Suche nach ihm beim Professor unter- und später diesem auch näherkommt - dank eigener Illegalität nicht mit ihm reden können, ist Vale der Einzige, der vermitteln und kommunizieren kann. Der einst so leblos wirkende Griesgram verstrickt sich in eine emotional heikle Geschichte...

McCarthys Film ist vor allem deswegen so gut, weil er - wie alle starken Exemplare der New Sincerity Welle - sich selbst zurücknimmt und seine Figuren und Schauspieler reden und agieren lässt. Letztes Jahr beim Filmfest gab es bereits exakt das gleiche Phänomen mit dem mich ebenfalls aus den Schuhen gehauen habenden The Savages. Man spürt die Spielfreude, die Freiheiten, die der Film ihnen gibt, die Natürlichkeit des Ausdrucks. Keine falsche political correctness, die sich bei dem Thema doch so anbieten würde, keine Suche nach Pointen oder Momenten der unreflektierten Überwaltigung. Die Geschichte ist traurig genug, bei einem ehrlichen Umgang mit den Figuren funktioniert sie ohne dramaturgische Fitzchen. Auch keine falschen Moralspiele. Das Plädoyer gegen die Einwanderungspolitik der westlichen Industriestaaten versteht sich ohne Belehrungen abzugeben als leises, schnörkelloses Drama. Eines der Intensivsten des Jahres.

Sonntag, 5. Oktober 2008

Filmfest Hamburg 2008 # 5

Ein Staunen ernte ich regelmäßig, wenn es wieder auf geht zum nächsten Filmfestival. Nun, das ist inzwischen 5 Mal im Jahr der Fall, also staunt meine Umgebung gewohnheitsgemäß häufig. Wie ich denn so viele Filme verarbeiten könne? Hintereinander weg! Wie ich denn den ganzen Inhalt behalten könne? Wie ich denn mit so wenig Schlaf auskäme? Tja, wenn die wüssten wie gut man in Kinosesseln schlafen kann und den Kinosaal als Traumvorkammer akzeptieren kann. Und das mit dem Verarbeiten? Da kommst du nun ins Spiel, liebes Filmtagebuch...
Bei aller Kritik, die meiner Cinedrogensucht von vielen Seiten entgegen gebracht wird, ein Argument bleibt einem doch immer noch: Den ganzen Tag Filme gucken ist immerhin besser als euer 9 to 5 Job! Der Protagonist aus Bill Plymptons neusten Streich Idiots and Angels wäre so einer, wenn er nicht wie der Titel besagt ein Idiot wäre. Nun ja, seinen täglichen Weg in die Alkikneipe könnten man allerdings irgendwie auch als 9 to 5 Tätigkeit verstehen. Irgendwann wachsen ihm Flügel, die er erstmal rabiat abrupft, doch irgendwann akzeptieren muss und menschliche Züge annimmt. Plymptons gesellschaftsbeißender Cartoon macht in seiner kurzweiligen Art Spass und lässt die "Spaßfilme" solch eines Festivals auch gerne mal auf der Strecke.
Einer von diesen wäre etwa Terribly Happy vom Dänen Henrik Ruben Genz. Nun ja, ein Spaßfilm ist das nicht direkt, aber einer der seine Kauzigkeit gerne in die Waagschale wirft und damit so eine Art Understatement-Humor etablieren möchte, wie man es die letzten Jahre bis zur Ermüdung aus Skandinavien typischerweise erleben musste. Diese Film-Schrulle handelt von einem City-Polizisten, der aufs misstrauische Dorf versetzt wird und dort den Dienst zwischen seltsamen und verschlossenen gestalten absitzen soll. Allein diese Synopsis verrät alles über den Film. Ein Konstrukt, dass zum Gähnen zwingt. Irgendwann erstickt er dann die Frau vom Dorfalki aus Versehen und der wird beschuldigt und blah blah blah. Am Ende erfreuen sich alle der kauzigen Schnoddrigkeit, mit der diese jederzeit berechenbare Genreware vom vereisten, skandinavischen Fließband seinen üblichen Weg geht. Dass der Film in Karlovy Vary den Hauptpreis gewonnen hat, lässt mich zum ersten Mal in meinem Leben ein Filmfest von der Liste der noch zu besuchenden Festivals herunterstreichen.
Besser an kam da schon der weitaus durchdachtere Däne Fear Me Not von Dogma-Veteran Kristian Levring. Ulrich Thomsen spielt einen Mann, der vom Familienvater zum Psychopathen mutiert durch - wie er glaubt - Medikamententests an denen er teilnimmt. Gut, das mutet schon seltsam an, dass Thomsen mit seiner Familie am vielleicht paradiesischsten Ort der Welt lebt (ein Riesenhaus mit Riesenfenstern am Riesensee mit Riesenwald) und doch an gefährlichen Pillenschluckereien für ein paar müde Mark teilnimmt. Der "Placebo-Witz", der hier schon herumgeisterte und den man auch nach durchlesen der Synopsis vorausahnen kann, ist für den eigentlichen Film so nichtig, dass auch ich ihn hier gerne vorwegnehme. Fear Me Not ist vielmehr bedächtiges, angenehmes Schauspielerkino auf recht hohem Niveau. Ein Film über die Abhängigkeiten, die eine Person gerade in seiner Hybris in seinem Umfeld schaffen kann. Durchaus keine Offenbarung, aber da hätte durchaus Schlimmeres um die Ecke schielen können.
Die Amis zum Beispiel. Die bewiesen am Abend meines fünften Filmtages leider nur Geschmacklosigkeit. Mit Sunshine Cleaning erdreistet sich der gezeigte Film nicht nur, schon im Pretext auf den Erfolf von Little Miss Sunshine aufspringen zu wollen, sondern formuliert dieses Vorhaben in all seinen wieder gewählten Mechanismen zu jeder Sekunde aus. Christine Jeffs bewies mit Rain bereits, dass sie nur Intuitionsfilmchen für postpubertäre Weibchen drehen kann und bekommt hier von den Sunshine-Produzenten (beide Filme) ein exaktes Konstrukt vorgesetzt. Alan Arkin ist wieder als Kauz mit dabei. Das kleine Mädchen wird diesmal von einem kleinen Jungen gespielt. Nur ein Vater fehlt. Dafür wird unmissverständlich klar gemacht: Lesben und Behinderte gehören auch in unsere Gesellschaft und dürfen angedeuteter Weise (!!) vielleicht (!) eventuell (?) auch mal geliebt werden. Das wird im Film aber nicht gemacht. Wäre ja auch schon wieder zu direkt. Hier reicht dann das Ausstellen der dysfunktionalen Familie, zu mehr Konventionsbrüchen ist solch ein kalkuliertes Schmunzeltränen-Kino nicht bereit.
Bei Morgan Spurlocks Where in the World is Osama Bin Laden? musste man schon vor Filmbeginn ein schlechtes Gewissen haben, konnte man doch schon erahnen, dass diesen Humbug wohl die allermeisten klar bei Verstand seienden meiden würden. Spurlock möchte sein Neugeborenes vor dieser bösen Welt schützen und macht sich deshalb auf die Suche nach dem Bösewicht der Bösewichter. Was er eigentlich macht sind aber lauwarme Scherze auf einer kleinen Urlaubsreise in den nahen und mittleren Osten. Das tatsächlich Interessanteste an Spurlocks Eskapaden sind die Reiseeindrücke, die man mit ihm gewinnen kann. Das tatsächlich Enervierendste an Spurlocks Juxereien ist Spurlock selbst. Als aufgeblasener Hampelmann im schlimmsten Raabschen Egomanentum umkreist er stets sich und seine all american family, welche mit den Kulturen abgeglichen wird und am Ende doch ernsthaft in einem pathethisch verkitschtem Schwall gefeiert wird. Das toppt nur noch Spurlock selbst mit seiner finalen Aussage/Einsicht, dass alle Menschen doch friedlich und nett miteinander auskommen sollten, weil es - oh, da schau her - ja überall auch freundlich gesonnene Wesen gibt. Überreicht doch dem Mann mal bitte einer den FIPRESCI-Preis. Am Besten Papst Bene.
   

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Filmfest Hamburg 2008 # 4

Eröffnungs- und Abschlussfilme sind so eine Sache. Da das Filmfest Hamburg kein wirkliches Profil besitzt, und vor allem keinen richtigen Wettbewerb kann die Wahl dieser beiden Filmchen der Veranstaltung wenn schon kein Gesicht dann doch zumindest eine Maske geben. Als Opener wählt man nun regelmäßig deutsche Gebrauchsware, und hieß es erst noch der bestimmt ganz großartige Schnapschuss ins Techno-Submilieu Berlin Calling solle dies sein, änderte das Fest es noch zum nicht minder bemittelten Nordwand. Viel Spass dabei! Tradition verpflichtet. Auch Schlechte.

Der Abschlussfilm immerhin hörte sich zumindest auf dem Papier an als ob man dazu morgens um 10 sein Nickerchen fortsetzen kann, da man sich doch nicht allzu sehr über den Schmonzes auf der Leinwand aufregt. Eldorado handelt von 2 Männekens, die gemeinsam in die weite Welt ziehen, einer ein Griesgram mit weichem Herz, der andere eine bemitleidenswerter Drogie. Stilsicher wandelt der Film dann zwischen traurig sein machen und Schmunzeln so breit die Mundwinkel reichen. Nanu, sowas kennt man doch nur aus Skandinavien?! Nee, die Belgier können das auch ganz gut, und wenn das jetzt schon dort angekommen ist, könnte man dann nicht mal drüber nachdenken sich auch mal wieder an anderen, ehrlicheren Humor umzusehen? Wenn dieser Film ein Profil des Festivals umreißen soll, dann könnten man sich fast schämen hier Dauergast zu sein.

Ein ganz anderes Kaliber dann schon Adhen von Rabah Ameur-Zaïmeche. Der Algerier bringt den Arbeiterfilm zurück aufs Parkett, Marx würde sich da vielleicht freuen. Fragmentarisch erzählt das Werk von einer Schar nordafrikanischer Einwanderer in Frankreich, die sich in einer Paletten-Fabrik verdingen. Es geht um Religion und Arbeit, um Traditionen und Anpassung. Alles mündet in einen offenen Konflikt und Streik. Der Film ist eine Sitzprobe sondergleichen, bleibt ästhetisch naiv und simpel und entfaltet dadurch seine Kraft - wenn man nicht schon längst das Kino verlassen hat.

Spannender da schon, was Pablo Larrain in Tony Manero veranstaltet. Verrückt ist das, bekloppt, hanebüchen, unangenehm. Er schickt uns auf die Reise mit einem Unsympathen, John Travolta-Verehrer und Serienmörder. Letztgenannter Fakt ist ebenso im Nebenbei zu betrachten wie die Pinochet-Diktatur, die dort im Hintergrund rauscht. Denn das Ganze spielt im Chile der 70er Jahre. Da werden Menschen auch mal gefoltert und abgeführt. Das findet aber Off-screen statt, denn unsere Kamera interessiert sich nur für das Ekel Raoul. Der NebenAffekt bedeutet damit auch: Die Morde des Mannes, dessen Schweißperlen wir stets sehen können machen uns mehr zu schaffen als das gesellschaftliche Klima, das wir - wie er - nur partiell wahrnehmen. Ein dreckiger kleiner Film ist das, der bei mir noch Stunden nach der Sichtung für vollkommene Unschlüssigkeit sorgte. Inzwischen weiß ich: Diese Schweinerei gefällt mir. Und eine Zweitsichtung ist nötig.

Glanz und Glorie verbinden sich mit dem Namen Versailles - in Pierre Schöllers gleichnamigen Film sieht der europäische Edelort für gelangweilte Touristen auf einmal ganz düster, dreckig und grau aus. Er erzählt die Geschichte eines Kindes, das immer wieder aufs Neue verstoßen wird. Zunächst von der noch jungen Mutter im Stich gelassen, wächst es bei Aussteigern im Wald auf. Später dann kommt es in eine gutbürgerliche Familie, doch die Bindungsschäden sind inzwischen zu stark sichtbar. In Frankreich läuft etwas gewaltig schief mit dem sozialen Netz. Das verstoßene Kind darf - muss aber auch nicht - gerne sinnbildlich gesehen werden für die Schäden des Rechtsrucks, den die Bürger ertragen müssen. Der Film funktioniert auch deshalb so gut, weil alle Figuren glaubhaft vermittelt werden und die Narben ihrer eigenen Geschichte tragen.

Versailles ist auch deshalb ein schöner Film, weil er keine Künstlichkeit prätendiert. Das Hauptproblem eines der Centerpieces des Festivals - Nuri Bilge Ceylans Three Monkeys. Der Film beschaut sich die Auswirkungen eines Lügenkonstrukts. Ein Vater und Chauffeur für einen führenden Politiker geht für diesen in den Knast. In dieser Zeit vergnügt sich die Ehefrau mit dem selbstverliebten Mann, der die anstehende Wahl trotz der nicht herausgekommenen Affären haushoch verliert. Irgendwann bekommt der Sohn die Situation spitz, der Vater kommt aus dem Knast und die Lage eskaliert... Ceylans Film strotzt nur so vor Schwerfälligkeit in seinen getönten Bildern. Die schroffe Aura, die poetische Tragik in jedem transportierten Bild, die Wortlosigkeit, alles sorgt dafür, dass Three Monkeys lange Zeit ein intensives Filmerlebnis ist. Irgendwann aber wird der Zuschauer dem Gehabe überdrüssig. In Cannes schliefen die Hälfte der Kritiker während der Vorführung ein. Das ist auch kein Wunder, denn wer möchte sich schon 110 Minuten in dieser konstruierten Prätention ergehen? Ceylan macht durch sein Bestehen auf die bleierne Bedachtsamkeit auf die Überlänge erstreckt seinen Film und dessen Wirkung kaputt. Ein interessantes, aber unbefriedigendes Filmerlebnis.

Bliebe noch eine Runde Entspannung: Tokyo! umfasst drei ca 30 Minüter von drei uns bekannten Namen. Michael Gondry präsentiert uns in Interior Design einen Studentenfilm, jeder der mal in einer viel zu kleinen Butze bei Freunden untergekommen ist wird sich hier wiederfinden dürfen. Gondry inszeniert Tokyo wie es für kleines Geld eben aussieht. Enger Raum für junge Menschen. Leos Carax legt es da schon bunter und lauter an: In Merde lässt er ein koboldähnliches Wesen (Denis Lavant) auf die Japaner los, dass diese nicht ausstehen kann und terrorisiert. Carax Parabel auf Terrorismus, Fanboytum und Medien lässt sich kritisch an und erfreut sich des Bumors eines Jean-Pierre Jeunet. Kann also gar nicht so schlecht sein. Joon-ho Bong schaut am Ende noch mit seinem Märchen Shaking Tokyo in die Runde. Ein soziopathischer Einzelgänger und Zwangi schließt sich in seine Wohnung ein bis eines Tages eine Gleichgesinnte seine Denke durcheinanderwirbelt. Für den sympathischen Schnuckel gilt wie für viele Episodenwerke. Schön anzusehen, aber Druck und Erwartungen nicht zu hoch ansetzend eben auch nur verarbeitete Ideechen ohne Anspruch auf allzu große Seriösität.

Sonntag, 28. September 2008

Filmfest Hamburg 2008 # 1+2

From low culture to low culture
Eine hochgeschätzte Schreiberin aus der taz erquickt sich regelmäßig daran, dass auf Filmfestivals (v.a. Venedig) auch mal B-Movies oder von ihr betitelte Abbildungen der "low culture" ihren Platz finden. Dass sollte auch auf dem Filmfest Hamburg nicht anders sein, und so startete die Filmrundschau für mich persönlich dieses Jahr mit dem Sundance-Erfolg und potentiellen San Sebastian Sieger Frozen River von Courtney Hunt (nein, den Opener Nordwand habe ich mir wohlweislich nicht gegeben. Nichts kann einem schlechtere Laune bereiten als die trendige deutschtümelnde "Geschichtsaufarbeitung"). Der kleine Ami konzentriert sich auf das White Trash Milieu im State of New York und beobachtet eine vom Leben gezeichnete Mutter bei ihren Bemühungen durch das Schleusen illegaler Einwanderer das letzte, nötige Cash zusammenzukratzen. Wo Überlebenkampf endet und Menschlichkeit anfängt beschreibt das verschneite Drama in ruhigen Bildern. Eine "low culture" beschreibt auch der argentinische Zeitdehner Liverpool von Lisandro Alonso. Der Film gehört zu den Kandidaten, die ihre ungläubig zu bestaunenden Landschaftsbilder ausstellen (das ländliche Argentinien von Schnee bedeckt) und meinen damit alles gesagt zu haben. Die Geschichte des blass-trüben Seemanns, der seine Mutter, die ihn nicht mehr wiedererkennt, besucht könnte jedenfalls nicht unmaßgeblicher sein. Die Kamera bleibt hängen an ihren elend-langen Einstellungen und penetriert die Nerven des Zuschauers. Die Hälfte des Publikums hat dies nicht durchgehalten.

Filmfest hin oder her, unglücklicherweise wurde ein weiterer, großer Event der low culture auf diesen Freitag gelegt, nämlich das Fußballrowdytum, das sich allwöchentlich über Testosteron - besser: Bierbauch-Deutschland legt, hatte einen Pflichttermin zu verbuchen: Nach 6 Jahren spielte der FC St.Pauli wieder bei Hansa Rostock. Das bedeutete in vergangenen Tagen (den 90ern) 10% rechte Stiernacken-Hools und 90% durchtrainierte Bierbauch-Bauern treffen auf allerlei linkes Gesindel vom gemäßigten Pädagogik-Studenten bis zum radikalen Antifa. Heutzutage sieht das Bild nicht viel anders aus, doch irgendwie sind alle müde geworden und hängen nur noch schlaff in der Kurve. So fuhren wir auch gleich in einer Karre mit einem Rostocker Anhänger (30-jähriger Ex-BWL-Student, Gel-Haar, Kennzeichen: markige Runterbuttersprüche) und einem Pauli-Fan (19, Zivi, Ziegenbärtchen). Alles nicht mehr so dicke mit der Feindschaft, und so sah das behäbige 3:0 auch wie ein Sieg gegen jeden anderen Gegner aus, wenngleich die Fans ihre kreativen "Scheiß Pauli" Rufe gut und gerne alle 5 Minuten erneut aufführten. Das heilige Ritual von Menschenähnlichem hinter mir bepöbelt und angemacht zu werden durfte nicht fehlen, hier zeigte sich Fußballgott allerdings ungleich kreativer als beim Spiel an sich und ließ eine Dorfdiscopille mit dem Charme einer echten Nordostdeutschen die Worte "Du Scheiß Eunuch!" mehrmals wiederholen. Mein Beklatschen zur kreativen Wortwahl wurde mit Bespucken quittiert. Das ist doch mal ein fairer Gestenabklatsch oder?!

From low culture to high culture
Zurück beim Filmfest heute in aller Herrgottsfrühe erwartete mich zunächst einmal filmkünstlerisch Hochwertiges: Der Brite Terence Davies erschafft mit Of Time and the City eine Hommage an Liverpool, eine Filmcollage mit viel Archivfootage und Elegie, deren Bilder leider anscheinend nicht für sich selbst stehen können und einen Märchenerzähler an die Seite gestellt bekommen, der die Tonspur durchweg dominiert. Der große mexikanische Abräumer beim Festival in Guadalajara The Desert Within im Anschluss benötigt solcherlei Erzählmodus nicht. Das bleischwere katholische Drama berichtet vom Vater, der seinem Fehler das Leben eines Priesters durch den Egoismus sein Kind unbedingt taufen lassen zu wollen aufs Spiel setzt, in religiösem Übereifer ummünzt und die Schuld auf das getaufte Kind projiziert. Die Tiefe Tragik und der herunterziehende Gemüt des Films ändern nichts an den zwei möglichen Lesarten - neben jener der Kritik eines religiösem Fanatismus gibt es auch den Präsenzgestus, der an Erhabenheit und tiefer Erfurcht vor dem Katholizismus nichts vermissen lässt. Technisch perfekt umgesetzt, schwitzt man als Betrachter ob des Popanz doch etwas.

Gut und gerne als schwarz/weiß-Reinfall möchte ich All That She Wants von der "kanadischen Arthouse-Hoffnung" (Programmheft) Denis Côté bezeichnen. In lässiger Lethargie wird hier kanadischer White Trash (Aha, wieder unten angekommen!) gezeigt, und irgendwo zwischen den "Schockbildern" einer angedachten Vergewaltigung einer minderjährigen Russin und dem Stemmen gegen eine "männerdominierte Welt" (nochmal Programmheft) darf sich jeder seinen eigenen Reim auf einen Film machen, dessen Figuren nicht kaltherziger gezeichnet hätten werden können. Das Gleiche in schwarz (man verzeihe mir diesen Kalauer) dann im Anschluss aus Südafrika mit Darrell Roodts Zimbabwe, nur ungleich naiver, arthousebefreiter, moralverseuchter und technisch abgefuckter. An die Digitalkamera ohne Windschutz muss man sich erstmal gewöhnen, irgendwann klappt es aber und wir bekommen die Geschichte eines Mädchens erzählt, das nach dem HIV-Tod der Eltern nacheinander von Tante, Cousin, Zwischenhändler, Aufsichtsperson und weißem Chef und Chefin (bei denen sie putzt) ausgenutzt wird. Dem schnurgeraden Filmchen steht es da gut zu Gesicht, dass er seine Figuren rund um die Hauptfigur bitterböse zeichnet und am Ende nicht davor zurückschreckt gleich auf 3 Vergewaltigungen anzuspielen. Keine Frage, die Weißen sind hier vor allem die Bösewichter in ihren Stahlzaunkolossen in Johannesburg, aber damit möchte ich eigentlich kein Problem haben. Eher vielleicht mit dem zu stark im Vordergrund stehenden Dilettantismus und der simplen Moral am Ende.

Angekommen in der Höchstkultur
Eigentlich mal Zeit für einen guten Film, oder?! Mit Adoration verband ich am heutigen Tage meine größten Hoffnungen. Der kanadische Arthouseliebling mit ägyptisch-armenischen Wurzeln - Atom Egoyan - bekam den Douglas-Sirk-Preis verliehen, und wie schon im letzten Jahr gab es in der Hamburger Gute-Laune-Kultur-Society erst einmal eine Laudatio. Eine doppelte wohlgemerkt, denn er bemüßigte sich nach dem selbstbeweihräucherndem Auftritt von Wim Wenders auch Vizebürgermeisterin Christa Goetsch auf die Bühne. Nachdem Wenders schläfrige olle Kamellen aus der Mottenkiste ausgepackt hatte (in den 80ern hat er seinen Preis in Montreal an den damals noch jungen Egoyan weitergereicht - Klatsch! Klatsch! Herr Wenders), durfte Goetsch den Namen des Geehrten auch nochmal falsch aussprechen, um sich dann über sein "Oevre", dass er ja besitzt wie Festivalleiter Albert Widerspiel so gedankenscharf feststellte, zu freuen. Die ganze Chose gab es ja im letzten Jahr bereits ebenfalls, nur konnte/wollte sich dort Laudator Matussek nicht so lange auf der Bühne halten wie es Wenders und Goetsch taten. Nach 45 Minuten durfte dann der Film beginnen. Mein erster Egoyan begann erwartet bedeutungsschwer, aufgeladen und verstrickt. "Assoziativ" wurde das genannt, nun ja, anstregend und figurendistanziert ist es zunächst. Das Besondere am neuen (und den alten?) Egoyan ist nun die langsam greifende Psychologisierung der Protagonisten. Weiter und weiter dringt man in ihre Welt vor, erfährt informationsmanagementmäßig hübsch gelöst viele charakterliche Wendungen und muss sich umorientieren. "Plottwists" mag der Film zwar auch, die sind aber tatsächlich nur Nebensache. Stattdessen dominieren zunächst viele angeschnittene Diskurse - Terrorismus und seine Argumentationslogik, Xenophobie, die Möglichkeit von Ver- und Misstrauen in der aktuellen Gesellschaft, Identitätsfindung bei gleichzeitiger Trauerverarbeitung. Alles bekommt seinen Spielraum, am Ende interessieren jedoch allein die Figuren. Wer hier welche Rolle hatte - das auch, aber weniger als etwa wer hier welche Gefühlsachterbahnen durchmachen musste. Ein schöner Film, der Lust auf mehr vom Egoyan macht, die glücklicherweise demnächst im Metropolis-Kino befriedigt werden darf. (oder auch nicht, wie ich gerade lese, da sich die Werkschau auf 3 Tage während des Fests beschränken)

Aus Belgien dann zum Abschluss des Tages 2 ein verknappter, entschlackter Michael Haneke: Happy Together von Geoffrey Enthoven erzählt von einer einer Bürgerlichkeit, die beim ersten Anzeichen von Misserfolg zusammenbricht. Das ist nicht besonders originell und durchaus plakativ, aber sowas sieht man allemal lieber als Steppenfilme über Bergbauern aus Kasachstan.

Mittwoch, 23. Juli 2008

The Art of Negative Thinking

Bård Breien, Norwegen 2006
Die skandinavische Satire ist im Allgemeinen meist zu verspielt, zu sehr aufs Skurrile schielend und übermotiviert. Bård Breien nun macht in seiner Abhandlung über einen "humanen Zynismus" weitgehend alles richtig, was die Kollegen nur allzu gerne falsch machten. DIE KUNST DES NEGATIVEN DENKENS ist zunächst einmal nicht sonderlich "humorig" oder "witzig" - der Film weiß um sein Thema, weiß um das Ausmaß der Tragik und macht dies zum Ausgangspunkt.

Wieviel schwarzer Humor ist zulässig? Die Antwort: Eine Grenze kann es nicht geben. Die überhöhten Einzelschicksale der dargestellten Gruppe (Körperlähmungen und Depressionen) lassen einen gepflegten, gesellschaftlichen Umgang nicht mehr zu. Es entsteht sogar eine kurze Anti-Bewegung gegen das perfekte Ideal, dass im System bei der gestylten Werbekampagne genauso zum Ausdruck kommt wie im New-Age-Positive-Thinking-Wahnsinn. Leben ist Krieg - unser Protagonist schaut den ganzen Tag Kriegsklassiker von APOCALYPSE NOW bis THE DEER HUNTER - ein Urzustand des Krieges, der Wahnsinn, überträgt sich beim "nicht mehr fassen können" des eigenen Lebenszustandes. Die zerstörte Wohnung und der Alkoholexzess zeugen von der Übermacht, die einen Menschen ergreifen kann - so stark oder labil er sein mag.

Am Ende knickt der Film in seiner eigenen Courage ein. Keine Selbstmorde, keine Toten, sondern die Liebe steht im Endbild. Das wirkt nach 75 konsequenten Minuten wie ein Dramaturgiezwang und lässt den Film dennoch nicht in einem allzu schlechten Licht erscheinen. Breiens Abrechnung mit dem Menschen, der denkt, er könne alles bewältigen hat zu diesem Zeitpunkt schon längst gewonnen.

Donnerstag, 21. Februar 2008

58. Filmfestspiele Berlin 2008 - Kategorienfehler und Sektionismus

Wenn im Nachhinein über die Berlinale geredet wird sprechen alle gerne davon, dass der Wettbewerb ja wieder einmal blöd war - nicht selten einem Stil ähnlich klingend, der sich in Ressentiments gegen "das Hollywood-Kino" erschöpft. Passend dazu klärte auch ein täglich an allen Ecken und Enden ausgeteiltes Lifestyle-Magazin (Welches war es doch gleich?) den Berlinale-Gast frisch aus dem Kinosaal kommend auf: "Der Wettbewerb ist die Sektion, in der große, internationale Filmproduktionen, die später ins Kino kommen, gezeigt werden." Da nehmen sich dann die Vanity Fair (?) und der kunstbeflissene Filmfreund nicht mehr viel in der gemeinsamen Argumentation.

Schaue ich mir nun den Wettbewerb an, muss ich mich doch wundern. Lance Hammers BALLAST soll im Kino laufen? Wang Xiaoshuais ZUO YOU ist Mainstream-kompatible Massenware? Fernando Eimbckes LAKE TAHOE ist eine internationale Großproduktion?

Fakt ist doch, dass der Übergang der Sektionen qualitativ größtenteils recht beliebig ist. BALLAST hätte durchaus auch ins junge Forum gepasst. Das deutsche FEUERHERZ lief als "Cross-Section" Beitrag auch im Generationen-Programm. Der finnische MUSTA JÄÄ hätte auch bestens im öffentlich-rechtliche Fernsehen einen Platz haben können, ohne je von Kinoleinwänden gestreut werden zu müssen.

Kritikwürdig ist sicherlich der Punkt, dass die Entscheidungen für den Wettbewerb fast ausschließlich politische Natur sind. Alle Länder, alle Flaggen, möglichst breite Themenvielfalt, wenn's geht immer mit poltischem Einschlag. Große Namen sind gerne gesehen, Altstars wird gehuldigt, hübsche Damen vergrault man nicht in Nebensektionen. Alles durchaus sinnvoll angebrachte Kritik. Mit einem "der Wettbewerb ist doch langweilig/kommerziell/Mainstream" oder sonstwas ist es aber nicht getan.

Wenn fein gegen den Wettbewerb polemisiert wird, vergisst man nie, das Panorama und das Forum zu loben. Es stimmt vollkommen, hier positive Bemerkungen anzubringen, jedoch Überschätzungen sind noch keinem Film gut bekommen.

Das Panorama ist vor allem ein Ort des "Diversen" - Diverse Genres, diverse Stars, diverse Bodenlosigkeiten. Der Gangsterfilm JERUSALEMA von Ralph Ziman beispielsweise ist ein furchtbarer AMERICAN GANGSTER auf südafrikanisch. Ein klischeebelasteter B-Flick der affirmativ-unterhaltsamen Sorte. Negativ hervor stach auch Alex Riveras US-Mexikanischer SLEEP DEALER, der sich in dilettantischer, ernst nehmender Moralsoße als banales, politisches Manifest verstand. Dabei ist er nichts weiter als eine Science-Fiction-Love-Story mit sozialem Einschlag in der Optik der Power Rangers. Ein offensichtliches Desaster war auch die Vorführung von 3 DÍAS/BEFORE THE FALL vom Spanier F. Javier Gutiérrez. Vor grummeligem postapokalyptischen Hintergrund entspinnt sich zur Überraschung (und Ärger) des Zuschauers ein Serienmörder-Thriller, der ein ums andere Mal Haken schlägt und damit sein Publikum verliert. Der Clou des Films ist dann sein überzeichnetes Happy End im Angesicht des Weltuntergangs. Es setzte einige Buhrufe aus den Sesselreihen.

Die hätte es auch geben können beim spanischen Gruselfilmchen ESKALOFRÍO von Isidro Ortiz. Doch ehe man den Film als harmlose, konventionelle Variante des spanischen Geisterhausfilm liest, eröffnet sich von Seiten des Films (sicher aber nicht der Macher) glücklicherweise die Möglichkeit SHIVER als Trash abzufeiern. Die abstrus hingerotzte Idee des Wolfsmädchens im verknebelt konstruierten Grundgerüst, brachte die Berlinale-Kinoreihen zum herzlichen Schmunzeln.

Der - den Madonna-Schwachsinn mal abgesehen - meist erwartetste Film war sicherlich die internationale Co-Produktion TRANSSIBERIAN von Brad Anderson (Session 9). Er inszeniert eine durchweg schön anzusehende Geschichte, versucht sich als Hitchcock und auch ein kleiner Kulturclash liegt Zeitgeist atmend in der Luft. Das Ende jedoch - Andersons Fehler bleibt weiterhin der Zwang zur Pointe - könnte kaum banaler sein. Nach so etwas kann der geneigte Zuschauer trotz Mitfieberns und guter Miene nach 100 Minuten nur enttäuscht sein. Das Werk war zwar im Vergleich zu vielen anderen Genrebeiträgen sicherlich lange nicht so schlecht, doch aber eine nicht zu Ende gedachte Frechheit. Da wird dann schnell klar, warum der Film trotz Woody Harrelson, Ben Kingsley und Emily Mortimer nicht im Wettbewerb lief.

Wenn man - begrüßenswerter Weise - Genreware ins Arthouse-Festival holt sollte sie doch wenigstens den Mindestansprüchen genügen. Die Verantwortlichen tun sich keinen Gefallen mit Bodenhaftung zu prahlen, den Blick zu öffnen und dann qualitativ miese Produktionen zu programmieren und Jahr für Jahr schlechten Geschmack zu beweisen. Das Fantasy Filmfest würde sich bei den genannten Filmen jedenfalls milde lächelnd wegdrehen - es sei denn, sie haben noch einen Counterpart im 23:30 Uhr Slot übrig, für den sie partout keinen Lückenfüller finden können.