So ein Festival hat ja stets das Problem zwischen den Stühlen zu sitzen. Filmkunst wird erwartet, Unterhaltung ebenfalls. Und was ist mit Genrefilmen? Viele Kinoabsitzer haben bis heute nicht verstanden, dass sich anspruchsvolle Qualität und wiederkehrende Handlungs- und Motivreihen nicht ausschließen müssen. Beim Filmfest Hamburg hat man dann noch die TV-Produktionen, die nichts von alledem erfüllen können, aber dennoch ihre "Berechtigung" dadurch erlangen, so auch den roten Teppich füllen zu können, der sonst nur verstauben bzw zur Bewahrung vor den Peinlichkeiten gar nicht erst ausgerollt werden würde. Wer dann darüber schreitet und das Blitzlicht auf sich konzentrieren darf, darüber soll hier lieber Stillschweigen gewahrt werden. Wir wollen ja nicht dem Filmfest zu Nahe treten. Und keine Gerichtsvorladung bekommen.
Einer der wenigen Filme, die vom Papier her sowohl den künstlerischen Gedanken, als auch Genrekonventionen erfüllen hätte können kam aus Thailand. The 8th Day von Chadchai Yoodsaranee handelt von dem Verschwinden eines Mädchens vom Spielplatz. Die schlaue Lösung, das geografisch naheliegendste Haus zu durchsuchen, wird nicht angedacht, und so kann das geistig verwirrte, aber nach außen hin harmlos wirkende Großmütterchen das Kind tagelang gefangen halten. Wir wissen das, weil auch unser Protagonist - ein Medizinstudent - das weiß. Und beobachtet, für seine Abschluss-Thesis. Das hört sich doch alles ganz fesch an, denkt man sich, und die Ausgangssituation würde sicherlich auch Fläche genug bieten, um daraus was Feines zu basteln. Allein es fehlt an weiterführenden Ideen. Die Prämisse wird 90 Minuten lang durchgespielt ohne wirklich voranzuschreiten. Die Auflösung ist banal, und dass der Film in schwarz-weiß gedreht wurde erfüllt nun nicht gerade im Alleingang den Kunstaspekt. Enttäuschung quer durch die Stuhlreihen.
Viele Kanadier gab es dieses Jahr zu sehen, und wir sind noch nicht am Ende angelangt. Der Preis für das beste Erstlings-Ahornblatt beim Toronto Filmfest ging dieses Jahr an Continental, a Film without Guns von Stéphane Lafleur. Hat man den Film gesehen weiß man warum. Lakonische Abrisse und ineinanderfassende Geschichten dominieren den distanziert-unterkühlten Schelm, sowas kommt gut an, frag mal den Kaurismäki, nur hat der mehr Charme.
Centerpiece
Kommen wir zum wichtigen Teil des Abends. Auf Kiyoshi Kurosawas neusten Streich freute ich mich insgeheim am Meisten, denn nach meinem Einstand in sein Oevre mit Pulse scheint er einer der spannensten Regisseure unserer Zeitepoche zu sein. Nun, mit Tokyo Sonata legt er ein für ihn ungewöhnliches Drama vor, dass sich weiteren Genreklassifizierungen in seiner Breitfächrigkeit zunächst einmal verschließt und damit festivalgeeignet genug scheint. Wir beginnen mit einer Familie, deren Vater arbeitslos wird. Da dies in unserer Gesellschaft mit dem kühlen Blick fürs Wesentliche (Geld und Status), und der Japanischen im Speziellen, nicht so gern gesehen ist, spielt er seiner Familie vor, alles sei in Ordnung. Bei der Essensausgabe für Obdachlose lernt er einen weiteren gescheiterten Mann in Anzug und Krawatte kennen und beide freunden sich an. Unser Familienoberhaupt lässt sich - zur Wahrung der Identität seines neuen Freundes - dann auch mal zum Abendessen einladen, damit dessen Familie sieht: Alles super, auch die Arbeitskollegen kommen mal vorbei. Wenig später streift unser Papa am Haus des Kumpanen vorbei, und muss mit Erschrecken von der Haushälterin erfahren: Der Mann hat sich und seine Familie im Schlaf vergast...
Soweit, so gesellschaftkritisch. Die Gesellschaftssatire, die Kurosawa hier aufbaut fühlt sich im ersten Drittel wie eine beißende Kritik an einer kapitalistischen Normung an, bitter, kalt und nicht im entferntesten witzig. Doch die Absurdität der Situation macht es möglich, die Tragik mit trockenem Humor zu begegnen. Die Leichtigkeit, die sich trotz des Schocks beim Zuschauer einstellt, ist entfesselnd, atemberaubend und wunderschön.
Wir sind wie gesagt immer noch nicht bei der Hälfte angekommen, als die Mutter des Hauses zum ersten Mal die Bühne - Kurosawa, das wird gegen Ende ganz deutlich, rekuriert stets aufs Theater und inszeniert seinen Film nicht weit weg davon - betritt und spitz kriegt, dass ihr Mann wohl arbeitslos ist. Während dieser sich gegenüber seinen beiden Söhnen - unter dem Druck und Verlust seiner Autorität als Arbeitsloser - von nun an wie ein wild gewordener Patriarch aufführt, mildert seine Frau die Umstände ab - und entwickelt sich über die Lauflänge des Films hinweg vom stillen Mäuschen (wörtlich, von ihr ist am Anfang weder etwas zu hören, noch zu sehen) zum selbstbewussten, sich aus den Klammern befreienden Individuum. Auch den Söhnen werden ganz eigene, motivisch noch weit fassendere Geschichten auf den Leib gezimmert und somit baut Kurosawa seinen Film im Mittelteil zu einem Kaleidoskop einer Familientragik aus.
Was dann folgt - es wird noch vieles sein, eine gewisse "Vollgestopftheit" kann man dem Film wohl vorwerfen - formuliert das Drama noch weiter aus. Gegen Ende erlaubt sich Kurosawa seinem Werk einen Drall zu geben, der so weitreichende Konsequenzen beinhaltet um Tokyo Sonata berechtigterweise als existenzialistisches Drama bezeichnen zu können. Bergman schaut herein, der olle Namensvetter aus dem eigenen Lande ebenfalls. Manche Szenen sind pures Theater, gestelzt und doch so lebendig. Im Schlussbild hören wir ein Klavierkonzert des jüngsten Sohnes. Die Eltern weinen. Die Fachkundigen versammeln sich vor Erstaunung über das Talent des Jungen. Das komplette Stück wird ausgespielt, einen Moment Ruhe, der Junge und seine Eltern gehen an der Kamera direkt vorbei und die Zuschauer bestaunen: Uns. Die Zuschauer. Abspann, in welchem aus den Boxen die gleichen Laute wie aus dem Saal kommen - wir verlassen diesen Ort.
Neben diesem augenzwinkernden, intelligenten Schlussbild weist das Werk - das im Übrigen als einziger Film ohne Gäste auf dem ganzen Festival Applaus bekam (bei halbgefülltem Kino) - so viele erstaunliche Merkmale auf, dass ich versucht bin hier das böse Wort mit M zu verwenden. Bei der Zweitsichtung vielleicht. Wahrscheinlich.
Der langgezogene Höhepunkt
Nach so einer Bombe hat es der nächste Film bekanntlich schwer, und so stürzte ich ohne grosse Erwartungen ins Kino nebenan um mir Thomas McCarthys (The Station Agent) neue Tragikomödie The Visitor anzuschauen. "Von den Produzenten von Sideways" stand da noch auf dem Plakat an der Eingangstür des Kinos und ich dachte mir schon "Na dann man tau Jungs...".
Der Film erst einmal unaufgeregt. Keine Spirenzchen, keine blöden Gags, keine Anbiederungen ans Publikum. Gefiel mir. Und wurde dann sogar richtig gut.
Der New Yorker Professor Walter Vale (Richard Jenkins) reist in seine Zweitwohnung im Big Apple und findet dort ein illegal eingemietetes Pärchen aus Afrika vor. Der Syrer Tarek (Haaz Sleiman) und die Senegalesin Zainab (Danai Jekesai Gurira) ziehen sich freundlich und dankbar zurück, doch der unterkühlte, stets mit besorgter Mine versehene Prof fasst sich ein Herz und bietet ihnen an noch ein paar Tage zu bleiben, bis eine neue Bleibe gefunden ist. Er freundet sich mit dem lebensfreudigen Tarek an und legt gar seine Verkrampftheit ab um Trommeln vom jungen Wirbelwind zu lernen. Nachdem der unbedarfte Tarek in der U-Bahn überprüft und von der Einwanderungsbehörde festgenommen wird, kommt heraus, dass unser Pärchen nicht nur rechtswidrig gewohnt, sondern auch illegal im Land ist. Da auch Zainab und Tareks Mutter Mouna (Hiam Abbass) - die auf der Suche nach ihm beim Professor unter- und später diesem auch näherkommt - dank eigener Illegalität nicht mit ihm reden können, ist Vale der Einzige, der vermitteln und kommunizieren kann. Der einst so leblos wirkende Griesgram verstrickt sich in eine emotional heikle Geschichte...
McCarthys Film ist vor allem deswegen so gut, weil er - wie alle starken Exemplare der New Sincerity Welle - sich selbst zurücknimmt und seine Figuren und Schauspieler reden und agieren lässt. Letztes Jahr beim Filmfest gab es bereits exakt das gleiche Phänomen mit dem mich ebenfalls aus den Schuhen gehauen habenden The Savages. Man spürt die Spielfreude, die Freiheiten, die der Film ihnen gibt, die Natürlichkeit des Ausdrucks. Keine falsche political correctness, die sich bei dem Thema doch so anbieten würde, keine Suche nach Pointen oder Momenten der unreflektierten Überwaltigung. Die Geschichte ist traurig genug, bei einem ehrlichen Umgang mit den Figuren funktioniert sie ohne dramaturgische Fitzchen. Auch keine falschen Moralspiele. Das Plädoyer gegen die Einwanderungspolitik der westlichen Industriestaaten versteht sich ohne Belehrungen abzugeben als leises, schnörkelloses Drama. Eines der Intensivsten des Jahres.
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Montag, 6. Oktober 2008
Sonntag, 5. Oktober 2008
Filmfest Hamburg 2008 # 5
Ein Staunen ernte ich regelmäßig, wenn es wieder auf geht zum nächsten Filmfestival. Nun, das ist inzwischen 5 Mal im Jahr der Fall, also staunt meine Umgebung gewohnheitsgemäß häufig. Wie ich denn so viele Filme verarbeiten könne? Hintereinander weg! Wie ich denn den ganzen Inhalt behalten könne? Wie ich denn mit so wenig Schlaf auskäme? Tja, wenn die wüssten wie gut man in Kinosesseln schlafen kann und den Kinosaal als Traumvorkammer akzeptieren kann. Und das mit dem Verarbeiten? Da kommst du nun ins Spiel, liebes Filmtagebuch...
Bei aller Kritik, die meiner Cinedrogensucht von vielen Seiten entgegen gebracht wird, ein Argument bleibt einem doch immer noch: Den ganzen Tag Filme gucken ist immerhin besser als euer 9 to 5 Job! Der Protagonist aus Bill Plymptons neusten Streich Idiots and Angels wäre so einer, wenn er nicht wie der Titel besagt ein Idiot wäre. Nun ja, seinen täglichen Weg in die Alkikneipe könnten man allerdings irgendwie auch als 9 to 5 Tätigkeit verstehen. Irgendwann wachsen ihm Flügel, die er erstmal rabiat abrupft, doch irgendwann akzeptieren muss und menschliche Züge annimmt. Plymptons gesellschaftsbeißender Cartoon macht in seiner kurzweiligen Art Spass und lässt die "Spaßfilme" solch eines Festivals auch gerne mal auf der Strecke.
Einer von diesen wäre etwa Terribly Happy vom Dänen Henrik Ruben Genz. Nun ja, ein Spaßfilm ist das nicht direkt, aber einer der seine Kauzigkeit gerne in die Waagschale wirft und damit so eine Art Understatement-Humor etablieren möchte, wie man es die letzten Jahre bis zur Ermüdung aus Skandinavien typischerweise erleben musste. Diese Film-Schrulle handelt von einem City-Polizisten, der aufs misstrauische Dorf versetzt wird und dort den Dienst zwischen seltsamen und verschlossenen gestalten absitzen soll. Allein diese Synopsis verrät alles über den Film. Ein Konstrukt, dass zum Gähnen zwingt. Irgendwann erstickt er dann die Frau vom Dorfalki aus Versehen und der wird beschuldigt und blah blah blah. Am Ende erfreuen sich alle der kauzigen Schnoddrigkeit, mit der diese jederzeit berechenbare Genreware vom vereisten, skandinavischen Fließband seinen üblichen Weg geht. Dass der Film in Karlovy Vary den Hauptpreis gewonnen hat, lässt mich zum ersten Mal in meinem Leben ein Filmfest von der Liste der noch zu besuchenden Festivals herunterstreichen.
Besser an kam da schon der weitaus durchdachtere Däne Fear Me Not von Dogma-Veteran Kristian Levring. Ulrich Thomsen spielt einen Mann, der vom Familienvater zum Psychopathen mutiert durch - wie er glaubt - Medikamententests an denen er teilnimmt. Gut, das mutet schon seltsam an, dass Thomsen mit seiner Familie am vielleicht paradiesischsten Ort der Welt lebt (ein Riesenhaus mit Riesenfenstern am Riesensee mit Riesenwald) und doch an gefährlichen Pillenschluckereien für ein paar müde Mark teilnimmt. Der "Placebo-Witz", der hier schon herumgeisterte und den man auch nach durchlesen der Synopsis vorausahnen kann, ist für den eigentlichen Film so nichtig, dass auch ich ihn hier gerne vorwegnehme. Fear Me Not ist vielmehr bedächtiges, angenehmes Schauspielerkino auf recht hohem Niveau. Ein Film über die Abhängigkeiten, die eine Person gerade in seiner Hybris in seinem Umfeld schaffen kann. Durchaus keine Offenbarung, aber da hätte durchaus Schlimmeres um die Ecke schielen können.
Die Amis zum Beispiel. Die bewiesen am Abend meines fünften Filmtages leider nur Geschmacklosigkeit. Mit Sunshine Cleaning erdreistet sich der gezeigte Film nicht nur, schon im Pretext auf den Erfolf von Little Miss Sunshine aufspringen zu wollen, sondern formuliert dieses Vorhaben in all seinen wieder gewählten Mechanismen zu jeder Sekunde aus. Christine Jeffs bewies mit Rain bereits, dass sie nur Intuitionsfilmchen für postpubertäre Weibchen drehen kann und bekommt hier von den Sunshine-Produzenten (beide Filme) ein exaktes Konstrukt vorgesetzt. Alan Arkin ist wieder als Kauz mit dabei. Das kleine Mädchen wird diesmal von einem kleinen Jungen gespielt. Nur ein Vater fehlt. Dafür wird unmissverständlich klar gemacht: Lesben und Behinderte gehören auch in unsere Gesellschaft und dürfen angedeuteter Weise (!!) vielleicht (!) eventuell (?) auch mal geliebt werden. Das wird im Film aber nicht gemacht. Wäre ja auch schon wieder zu direkt. Hier reicht dann das Ausstellen der dysfunktionalen Familie, zu mehr Konventionsbrüchen ist solch ein kalkuliertes Schmunzeltränen-Kino nicht bereit.
Bei Morgan Spurlocks Where in the World is Osama Bin Laden? musste man schon vor Filmbeginn ein schlechtes Gewissen haben, konnte man doch schon erahnen, dass diesen Humbug wohl die allermeisten klar bei Verstand seienden meiden würden. Spurlock möchte sein Neugeborenes vor dieser bösen Welt schützen und macht sich deshalb auf die Suche nach dem Bösewicht der Bösewichter. Was er eigentlich macht sind aber lauwarme Scherze auf einer kleinen Urlaubsreise in den nahen und mittleren Osten. Das tatsächlich Interessanteste an Spurlocks Eskapaden sind die Reiseeindrücke, die man mit ihm gewinnen kann. Das tatsächlich Enervierendste an Spurlocks Juxereien ist Spurlock selbst. Als aufgeblasener Hampelmann im schlimmsten Raabschen Egomanentum umkreist er stets sich und seine all american family, welche mit den Kulturen abgeglichen wird und am Ende doch ernsthaft in einem pathethisch verkitschtem Schwall gefeiert wird. Das toppt nur noch Spurlock selbst mit seiner finalen Aussage/Einsicht, dass alle Menschen doch friedlich und nett miteinander auskommen sollten, weil es - oh, da schau her - ja überall auch freundlich gesonnene Wesen gibt. Überreicht doch dem Mann mal bitte einer den FIPRESCI-Preis. Am Besten Papst Bene.
Donnerstag, 2. Oktober 2008
Filmfest Hamburg 2008 # 4
Eröffnungs- und Abschlussfilme sind so eine Sache. Da das Filmfest Hamburg kein wirkliches Profil besitzt, und vor allem keinen richtigen Wettbewerb kann die Wahl dieser beiden Filmchen der Veranstaltung wenn schon kein Gesicht dann doch zumindest eine Maske geben. Als Opener wählt man nun regelmäßig deutsche Gebrauchsware, und hieß es erst noch der bestimmt ganz großartige Schnapschuss ins Techno-Submilieu Berlin Calling solle dies sein, änderte das Fest es noch zum nicht minder bemittelten Nordwand. Viel Spass dabei! Tradition verpflichtet. Auch Schlechte.
Der Abschlussfilm immerhin hörte sich zumindest auf dem Papier an als ob man dazu morgens um 10 sein Nickerchen fortsetzen kann, da man sich doch nicht allzu sehr über den Schmonzes auf der Leinwand aufregt. Eldorado handelt von 2 Männekens, die gemeinsam in die weite Welt ziehen, einer ein Griesgram mit weichem Herz, der andere eine bemitleidenswerter Drogie. Stilsicher wandelt der Film dann zwischen traurig sein machen und Schmunzeln so breit die Mundwinkel reichen. Nanu, sowas kennt man doch nur aus Skandinavien?! Nee, die Belgier können das auch ganz gut, und wenn das jetzt schon dort angekommen ist, könnte man dann nicht mal drüber nachdenken sich auch mal wieder an anderen, ehrlicheren Humor umzusehen? Wenn dieser Film ein Profil des Festivals umreißen soll, dann könnten man sich fast schämen hier Dauergast zu sein.
Ein ganz anderes Kaliber dann schon Adhen von Rabah Ameur-Zaïmeche. Der Algerier bringt den Arbeiterfilm zurück aufs Parkett, Marx würde sich da vielleicht freuen. Fragmentarisch erzählt das Werk von einer Schar nordafrikanischer Einwanderer in Frankreich, die sich in einer Paletten-Fabrik verdingen. Es geht um Religion und Arbeit, um Traditionen und Anpassung. Alles mündet in einen offenen Konflikt und Streik. Der Film ist eine Sitzprobe sondergleichen, bleibt ästhetisch naiv und simpel und entfaltet dadurch seine Kraft - wenn man nicht schon längst das Kino verlassen hat.
Spannender da schon, was Pablo Larrain in Tony Manero veranstaltet. Verrückt ist das, bekloppt, hanebüchen, unangenehm. Er schickt uns auf die Reise mit einem Unsympathen, John Travolta-Verehrer und Serienmörder. Letztgenannter Fakt ist ebenso im Nebenbei zu betrachten wie die Pinochet-Diktatur, die dort im Hintergrund rauscht. Denn das Ganze spielt im Chile der 70er Jahre. Da werden Menschen auch mal gefoltert und abgeführt. Das findet aber Off-screen statt, denn unsere Kamera interessiert sich nur für das Ekel Raoul. Der NebenAffekt bedeutet damit auch: Die Morde des Mannes, dessen Schweißperlen wir stets sehen können machen uns mehr zu schaffen als das gesellschaftliche Klima, das wir - wie er - nur partiell wahrnehmen. Ein dreckiger kleiner Film ist das, der bei mir noch Stunden nach der Sichtung für vollkommene Unschlüssigkeit sorgte. Inzwischen weiß ich: Diese Schweinerei gefällt mir. Und eine Zweitsichtung ist nötig.
Glanz und Glorie verbinden sich mit dem Namen Versailles - in Pierre Schöllers gleichnamigen Film sieht der europäische Edelort für gelangweilte Touristen auf einmal ganz düster, dreckig und grau aus. Er erzählt die Geschichte eines Kindes, das immer wieder aufs Neue verstoßen wird. Zunächst von der noch jungen Mutter im Stich gelassen, wächst es bei Aussteigern im Wald auf. Später dann kommt es in eine gutbürgerliche Familie, doch die Bindungsschäden sind inzwischen zu stark sichtbar. In Frankreich läuft etwas gewaltig schief mit dem sozialen Netz. Das verstoßene Kind darf - muss aber auch nicht - gerne sinnbildlich gesehen werden für die Schäden des Rechtsrucks, den die Bürger ertragen müssen. Der Film funktioniert auch deshalb so gut, weil alle Figuren glaubhaft vermittelt werden und die Narben ihrer eigenen Geschichte tragen.
Versailles ist auch deshalb ein schöner Film, weil er keine Künstlichkeit prätendiert. Das Hauptproblem eines der Centerpieces des Festivals - Nuri Bilge Ceylans Three Monkeys. Der Film beschaut sich die Auswirkungen eines Lügenkonstrukts. Ein Vater und Chauffeur für einen führenden Politiker geht für diesen in den Knast. In dieser Zeit vergnügt sich die Ehefrau mit dem selbstverliebten Mann, der die anstehende Wahl trotz der nicht herausgekommenen Affären haushoch verliert. Irgendwann bekommt der Sohn die Situation spitz, der Vater kommt aus dem Knast und die Lage eskaliert... Ceylans Film strotzt nur so vor Schwerfälligkeit in seinen getönten Bildern. Die schroffe Aura, die poetische Tragik in jedem transportierten Bild, die Wortlosigkeit, alles sorgt dafür, dass Three Monkeys lange Zeit ein intensives Filmerlebnis ist. Irgendwann aber wird der Zuschauer dem Gehabe überdrüssig. In Cannes schliefen die Hälfte der Kritiker während der Vorführung ein. Das ist auch kein Wunder, denn wer möchte sich schon 110 Minuten in dieser konstruierten Prätention ergehen? Ceylan macht durch sein Bestehen auf die bleierne Bedachtsamkeit auf die Überlänge erstreckt seinen Film und dessen Wirkung kaputt. Ein interessantes, aber unbefriedigendes Filmerlebnis.
Bliebe noch eine Runde Entspannung: Tokyo! umfasst drei ca 30 Minüter von drei uns bekannten Namen. Michael Gondry präsentiert uns in Interior Design einen Studentenfilm, jeder der mal in einer viel zu kleinen Butze bei Freunden untergekommen ist wird sich hier wiederfinden dürfen. Gondry inszeniert Tokyo wie es für kleines Geld eben aussieht. Enger Raum für junge Menschen. Leos Carax legt es da schon bunter und lauter an: In Merde lässt er ein koboldähnliches Wesen (Denis Lavant) auf die Japaner los, dass diese nicht ausstehen kann und terrorisiert. Carax Parabel auf Terrorismus, Fanboytum und Medien lässt sich kritisch an und erfreut sich des Bumors eines Jean-Pierre Jeunet. Kann also gar nicht so schlecht sein. Joon-ho Bong schaut am Ende noch mit seinem Märchen Shaking Tokyo in die Runde. Ein soziopathischer Einzelgänger und Zwangi schließt sich in seine Wohnung ein bis eines Tages eine Gleichgesinnte seine Denke durcheinanderwirbelt. Für den sympathischen Schnuckel gilt wie für viele Episodenwerke. Schön anzusehen, aber Druck und Erwartungen nicht zu hoch ansetzend eben auch nur verarbeitete Ideechen ohne Anspruch auf allzu große Seriösität.
Der Abschlussfilm immerhin hörte sich zumindest auf dem Papier an als ob man dazu morgens um 10 sein Nickerchen fortsetzen kann, da man sich doch nicht allzu sehr über den Schmonzes auf der Leinwand aufregt. Eldorado handelt von 2 Männekens, die gemeinsam in die weite Welt ziehen, einer ein Griesgram mit weichem Herz, der andere eine bemitleidenswerter Drogie. Stilsicher wandelt der Film dann zwischen traurig sein machen und Schmunzeln so breit die Mundwinkel reichen. Nanu, sowas kennt man doch nur aus Skandinavien?! Nee, die Belgier können das auch ganz gut, und wenn das jetzt schon dort angekommen ist, könnte man dann nicht mal drüber nachdenken sich auch mal wieder an anderen, ehrlicheren Humor umzusehen? Wenn dieser Film ein Profil des Festivals umreißen soll, dann könnten man sich fast schämen hier Dauergast zu sein.
Ein ganz anderes Kaliber dann schon Adhen von Rabah Ameur-Zaïmeche. Der Algerier bringt den Arbeiterfilm zurück aufs Parkett, Marx würde sich da vielleicht freuen. Fragmentarisch erzählt das Werk von einer Schar nordafrikanischer Einwanderer in Frankreich, die sich in einer Paletten-Fabrik verdingen. Es geht um Religion und Arbeit, um Traditionen und Anpassung. Alles mündet in einen offenen Konflikt und Streik. Der Film ist eine Sitzprobe sondergleichen, bleibt ästhetisch naiv und simpel und entfaltet dadurch seine Kraft - wenn man nicht schon längst das Kino verlassen hat.
Spannender da schon, was Pablo Larrain in Tony Manero veranstaltet. Verrückt ist das, bekloppt, hanebüchen, unangenehm. Er schickt uns auf die Reise mit einem Unsympathen, John Travolta-Verehrer und Serienmörder. Letztgenannter Fakt ist ebenso im Nebenbei zu betrachten wie die Pinochet-Diktatur, die dort im Hintergrund rauscht. Denn das Ganze spielt im Chile der 70er Jahre. Da werden Menschen auch mal gefoltert und abgeführt. Das findet aber Off-screen statt, denn unsere Kamera interessiert sich nur für das Ekel Raoul. Der NebenAffekt bedeutet damit auch: Die Morde des Mannes, dessen Schweißperlen wir stets sehen können machen uns mehr zu schaffen als das gesellschaftliche Klima, das wir - wie er - nur partiell wahrnehmen. Ein dreckiger kleiner Film ist das, der bei mir noch Stunden nach der Sichtung für vollkommene Unschlüssigkeit sorgte. Inzwischen weiß ich: Diese Schweinerei gefällt mir. Und eine Zweitsichtung ist nötig.
Glanz und Glorie verbinden sich mit dem Namen Versailles - in Pierre Schöllers gleichnamigen Film sieht der europäische Edelort für gelangweilte Touristen auf einmal ganz düster, dreckig und grau aus. Er erzählt die Geschichte eines Kindes, das immer wieder aufs Neue verstoßen wird. Zunächst von der noch jungen Mutter im Stich gelassen, wächst es bei Aussteigern im Wald auf. Später dann kommt es in eine gutbürgerliche Familie, doch die Bindungsschäden sind inzwischen zu stark sichtbar. In Frankreich läuft etwas gewaltig schief mit dem sozialen Netz. Das verstoßene Kind darf - muss aber auch nicht - gerne sinnbildlich gesehen werden für die Schäden des Rechtsrucks, den die Bürger ertragen müssen. Der Film funktioniert auch deshalb so gut, weil alle Figuren glaubhaft vermittelt werden und die Narben ihrer eigenen Geschichte tragen.
Versailles ist auch deshalb ein schöner Film, weil er keine Künstlichkeit prätendiert. Das Hauptproblem eines der Centerpieces des Festivals - Nuri Bilge Ceylans Three Monkeys. Der Film beschaut sich die Auswirkungen eines Lügenkonstrukts. Ein Vater und Chauffeur für einen führenden Politiker geht für diesen in den Knast. In dieser Zeit vergnügt sich die Ehefrau mit dem selbstverliebten Mann, der die anstehende Wahl trotz der nicht herausgekommenen Affären haushoch verliert. Irgendwann bekommt der Sohn die Situation spitz, der Vater kommt aus dem Knast und die Lage eskaliert... Ceylans Film strotzt nur so vor Schwerfälligkeit in seinen getönten Bildern. Die schroffe Aura, die poetische Tragik in jedem transportierten Bild, die Wortlosigkeit, alles sorgt dafür, dass Three Monkeys lange Zeit ein intensives Filmerlebnis ist. Irgendwann aber wird der Zuschauer dem Gehabe überdrüssig. In Cannes schliefen die Hälfte der Kritiker während der Vorführung ein. Das ist auch kein Wunder, denn wer möchte sich schon 110 Minuten in dieser konstruierten Prätention ergehen? Ceylan macht durch sein Bestehen auf die bleierne Bedachtsamkeit auf die Überlänge erstreckt seinen Film und dessen Wirkung kaputt. Ein interessantes, aber unbefriedigendes Filmerlebnis.
Bliebe noch eine Runde Entspannung: Tokyo! umfasst drei ca 30 Minüter von drei uns bekannten Namen. Michael Gondry präsentiert uns in Interior Design einen Studentenfilm, jeder der mal in einer viel zu kleinen Butze bei Freunden untergekommen ist wird sich hier wiederfinden dürfen. Gondry inszeniert Tokyo wie es für kleines Geld eben aussieht. Enger Raum für junge Menschen. Leos Carax legt es da schon bunter und lauter an: In Merde lässt er ein koboldähnliches Wesen (Denis Lavant) auf die Japaner los, dass diese nicht ausstehen kann und terrorisiert. Carax Parabel auf Terrorismus, Fanboytum und Medien lässt sich kritisch an und erfreut sich des Bumors eines Jean-Pierre Jeunet. Kann also gar nicht so schlecht sein. Joon-ho Bong schaut am Ende noch mit seinem Märchen Shaking Tokyo in die Runde. Ein soziopathischer Einzelgänger und Zwangi schließt sich in seine Wohnung ein bis eines Tages eine Gleichgesinnte seine Denke durcheinanderwirbelt. Für den sympathischen Schnuckel gilt wie für viele Episodenwerke. Schön anzusehen, aber Druck und Erwartungen nicht zu hoch ansetzend eben auch nur verarbeitete Ideechen ohne Anspruch auf allzu große Seriösität.
Sonntag, 28. September 2008
Filmfest Hamburg 2008 # 1+2
From low culture to low culture
Eine hochgeschätzte Schreiberin aus der taz erquickt sich regelmäßig daran, dass auf Filmfestivals (v.a. Venedig) auch mal B-Movies oder von ihr betitelte Abbildungen der "low culture" ihren Platz finden. Dass sollte auch auf dem Filmfest Hamburg nicht anders sein, und so startete die Filmrundschau für mich persönlich dieses Jahr mit dem Sundance-Erfolg und potentiellen San Sebastian Sieger Frozen River von Courtney Hunt (nein, den Opener Nordwand habe ich mir wohlweislich nicht gegeben. Nichts kann einem schlechtere Laune bereiten als die trendige deutschtümelnde "Geschichtsaufarbeitung"). Der kleine Ami konzentriert sich auf das White Trash Milieu im State of New York und beobachtet eine vom Leben gezeichnete Mutter bei ihren Bemühungen durch das Schleusen illegaler Einwanderer das letzte, nötige Cash zusammenzukratzen. Wo Überlebenkampf endet und Menschlichkeit anfängt beschreibt das verschneite Drama in ruhigen Bildern. Eine "low culture" beschreibt auch der argentinische Zeitdehner Liverpool von Lisandro Alonso. Der Film gehört zu den Kandidaten, die ihre ungläubig zu bestaunenden Landschaftsbilder ausstellen (das ländliche Argentinien von Schnee bedeckt) und meinen damit alles gesagt zu haben. Die Geschichte des blass-trüben Seemanns, der seine Mutter, die ihn nicht mehr wiedererkennt, besucht könnte jedenfalls nicht unmaßgeblicher sein. Die Kamera bleibt hängen an ihren elend-langen Einstellungen und penetriert die Nerven des Zuschauers. Die Hälfte des Publikums hat dies nicht durchgehalten.
Filmfest hin oder her, unglücklicherweise wurde ein weiterer, großer Event der low culture auf diesen Freitag gelegt, nämlich das Fußballrowdytum, das sich allwöchentlich über Testosteron - besser: Bierbauch-Deutschland legt, hatte einen Pflichttermin zu verbuchen: Nach 6 Jahren spielte der FC St.Pauli wieder bei Hansa Rostock. Das bedeutete in vergangenen Tagen (den 90ern) 10% rechte Stiernacken-Hools und 90% durchtrainierte Bierbauch-Bauern treffen auf allerlei linkes Gesindel vom gemäßigten Pädagogik-Studenten bis zum radikalen Antifa. Heutzutage sieht das Bild nicht viel anders aus, doch irgendwie sind alle müde geworden und hängen nur noch schlaff in der Kurve. So fuhren wir auch gleich in einer Karre mit einem Rostocker Anhänger (30-jähriger Ex-BWL-Student, Gel-Haar, Kennzeichen: markige Runterbuttersprüche) und einem Pauli-Fan (19, Zivi, Ziegenbärtchen). Alles nicht mehr so dicke mit der Feindschaft, und so sah das behäbige 3:0 auch wie ein Sieg gegen jeden anderen Gegner aus, wenngleich die Fans ihre kreativen "Scheiß Pauli" Rufe gut und gerne alle 5 Minuten erneut aufführten. Das heilige Ritual von Menschenähnlichem hinter mir bepöbelt und angemacht zu werden durfte nicht fehlen, hier zeigte sich Fußballgott allerdings ungleich kreativer als beim Spiel an sich und ließ eine Dorfdiscopille mit dem Charme einer echten Nordostdeutschen die Worte "Du Scheiß Eunuch!" mehrmals wiederholen. Mein Beklatschen zur kreativen Wortwahl wurde mit Bespucken quittiert. Das ist doch mal ein fairer Gestenabklatsch oder?!
From low culture to high culture
Zurück beim Filmfest heute in aller Herrgottsfrühe erwartete mich zunächst einmal filmkünstlerisch Hochwertiges: Der Brite Terence Davies erschafft mit Of Time and the City eine Hommage an Liverpool, eine Filmcollage mit viel Archivfootage und Elegie, deren Bilder leider anscheinend nicht für sich selbst stehen können und einen Märchenerzähler an die Seite gestellt bekommen, der die Tonspur durchweg dominiert. Der große mexikanische Abräumer beim Festival in Guadalajara The Desert Within im Anschluss benötigt solcherlei Erzählmodus nicht. Das bleischwere katholische Drama berichtet vom Vater, der seinem Fehler das Leben eines Priesters durch den Egoismus sein Kind unbedingt taufen lassen zu wollen aufs Spiel setzt, in religiösem Übereifer ummünzt und die Schuld auf das getaufte Kind projiziert. Die Tiefe Tragik und der herunterziehende Gemüt des Films ändern nichts an den zwei möglichen Lesarten - neben jener der Kritik eines religiösem Fanatismus gibt es auch den Präsenzgestus, der an Erhabenheit und tiefer Erfurcht vor dem Katholizismus nichts vermissen lässt. Technisch perfekt umgesetzt, schwitzt man als Betrachter ob des Popanz doch etwas.
Gut und gerne als schwarz/weiß-Reinfall möchte ich All That She Wants von der "kanadischen Arthouse-Hoffnung" (Programmheft) Denis Côté bezeichnen. In lässiger Lethargie wird hier kanadischer White Trash (Aha, wieder unten angekommen!) gezeigt, und irgendwo zwischen den "Schockbildern" einer angedachten Vergewaltigung einer minderjährigen Russin und dem Stemmen gegen eine "männerdominierte Welt" (nochmal Programmheft) darf sich jeder seinen eigenen Reim auf einen Film machen, dessen Figuren nicht kaltherziger gezeichnet hätten werden können. Das Gleiche in schwarz (man verzeihe mir diesen Kalauer) dann im Anschluss aus Südafrika mit Darrell Roodts Zimbabwe, nur ungleich naiver, arthousebefreiter, moralverseuchter und technisch abgefuckter. An die Digitalkamera ohne Windschutz muss man sich erstmal gewöhnen, irgendwann klappt es aber und wir bekommen die Geschichte eines Mädchens erzählt, das nach dem HIV-Tod der Eltern nacheinander von Tante, Cousin, Zwischenhändler, Aufsichtsperson und weißem Chef und Chefin (bei denen sie putzt) ausgenutzt wird. Dem schnurgeraden Filmchen steht es da gut zu Gesicht, dass er seine Figuren rund um die Hauptfigur bitterböse zeichnet und am Ende nicht davor zurückschreckt gleich auf 3 Vergewaltigungen anzuspielen. Keine Frage, die Weißen sind hier vor allem die Bösewichter in ihren Stahlzaunkolossen in Johannesburg, aber damit möchte ich eigentlich kein Problem haben. Eher vielleicht mit dem zu stark im Vordergrund stehenden Dilettantismus und der simplen Moral am Ende.
Angekommen in der Höchstkultur
Eigentlich mal Zeit für einen guten Film, oder?! Mit Adoration verband ich am heutigen Tage meine größten Hoffnungen. Der kanadische Arthouseliebling mit ägyptisch-armenischen Wurzeln - Atom Egoyan - bekam den Douglas-Sirk-Preis verliehen, und wie schon im letzten Jahr gab es in der Hamburger Gute-Laune-Kultur-Society erst einmal eine Laudatio. Eine doppelte wohlgemerkt, denn er bemüßigte sich nach dem selbstbeweihräucherndem Auftritt von Wim Wenders auch Vizebürgermeisterin Christa Goetsch auf die Bühne. Nachdem Wenders schläfrige olle Kamellen aus der Mottenkiste ausgepackt hatte (in den 80ern hat er seinen Preis in Montreal an den damals noch jungen Egoyan weitergereicht - Klatsch! Klatsch! Herr Wenders), durfte Goetsch den Namen des Geehrten auch nochmal falsch aussprechen, um sich dann über sein "Oevre", dass er ja besitzt wie Festivalleiter Albert Widerspiel so gedankenscharf feststellte, zu freuen. Die ganze Chose gab es ja im letzten Jahr bereits ebenfalls, nur konnte/wollte sich dort Laudator Matussek nicht so lange auf der Bühne halten wie es Wenders und Goetsch taten. Nach 45 Minuten durfte dann der Film beginnen. Mein erster Egoyan begann erwartet bedeutungsschwer, aufgeladen und verstrickt. "Assoziativ" wurde das genannt, nun ja, anstregend und figurendistanziert ist es zunächst. Das Besondere am neuen (und den alten?) Egoyan ist nun die langsam greifende Psychologisierung der Protagonisten. Weiter und weiter dringt man in ihre Welt vor, erfährt informationsmanagementmäßig hübsch gelöst viele charakterliche Wendungen und muss sich umorientieren. "Plottwists" mag der Film zwar auch, die sind aber tatsächlich nur Nebensache. Stattdessen dominieren zunächst viele angeschnittene Diskurse - Terrorismus und seine Argumentationslogik, Xenophobie, die Möglichkeit von Ver- und Misstrauen in der aktuellen Gesellschaft, Identitätsfindung bei gleichzeitiger Trauerverarbeitung. Alles bekommt seinen Spielraum, am Ende interessieren jedoch allein die Figuren. Wer hier welche Rolle hatte - das auch, aber weniger als etwa wer hier welche Gefühlsachterbahnen durchmachen musste. Ein schöner Film, der Lust auf mehr vom Egoyan macht, die glücklicherweise demnächst im Metropolis-Kino befriedigt werden darf. (oder auch nicht, wie ich gerade lese, da sich die Werkschau auf 3 Tage während des Fests beschränken)
Aus Belgien dann zum Abschluss des Tages 2 ein verknappter, entschlackter Michael Haneke: Happy Together von Geoffrey Enthoven erzählt von einer einer Bürgerlichkeit, die beim ersten Anzeichen von Misserfolg zusammenbricht. Das ist nicht besonders originell und durchaus plakativ, aber sowas sieht man allemal lieber als Steppenfilme über Bergbauern aus Kasachstan.
Eine hochgeschätzte Schreiberin aus der taz erquickt sich regelmäßig daran, dass auf Filmfestivals (v.a. Venedig) auch mal B-Movies oder von ihr betitelte Abbildungen der "low culture" ihren Platz finden. Dass sollte auch auf dem Filmfest Hamburg nicht anders sein, und so startete die Filmrundschau für mich persönlich dieses Jahr mit dem Sundance-Erfolg und potentiellen San Sebastian Sieger Frozen River von Courtney Hunt (nein, den Opener Nordwand habe ich mir wohlweislich nicht gegeben. Nichts kann einem schlechtere Laune bereiten als die trendige deutschtümelnde "Geschichtsaufarbeitung"). Der kleine Ami konzentriert sich auf das White Trash Milieu im State of New York und beobachtet eine vom Leben gezeichnete Mutter bei ihren Bemühungen durch das Schleusen illegaler Einwanderer das letzte, nötige Cash zusammenzukratzen. Wo Überlebenkampf endet und Menschlichkeit anfängt beschreibt das verschneite Drama in ruhigen Bildern. Eine "low culture" beschreibt auch der argentinische Zeitdehner Liverpool von Lisandro Alonso. Der Film gehört zu den Kandidaten, die ihre ungläubig zu bestaunenden Landschaftsbilder ausstellen (das ländliche Argentinien von Schnee bedeckt) und meinen damit alles gesagt zu haben. Die Geschichte des blass-trüben Seemanns, der seine Mutter, die ihn nicht mehr wiedererkennt, besucht könnte jedenfalls nicht unmaßgeblicher sein. Die Kamera bleibt hängen an ihren elend-langen Einstellungen und penetriert die Nerven des Zuschauers. Die Hälfte des Publikums hat dies nicht durchgehalten.
Filmfest hin oder her, unglücklicherweise wurde ein weiterer, großer Event der low culture auf diesen Freitag gelegt, nämlich das Fußballrowdytum, das sich allwöchentlich über Testosteron - besser: Bierbauch-Deutschland legt, hatte einen Pflichttermin zu verbuchen: Nach 6 Jahren spielte der FC St.Pauli wieder bei Hansa Rostock. Das bedeutete in vergangenen Tagen (den 90ern) 10% rechte Stiernacken-Hools und 90% durchtrainierte Bierbauch-Bauern treffen auf allerlei linkes Gesindel vom gemäßigten Pädagogik-Studenten bis zum radikalen Antifa. Heutzutage sieht das Bild nicht viel anders aus, doch irgendwie sind alle müde geworden und hängen nur noch schlaff in der Kurve. So fuhren wir auch gleich in einer Karre mit einem Rostocker Anhänger (30-jähriger Ex-BWL-Student, Gel-Haar, Kennzeichen: markige Runterbuttersprüche) und einem Pauli-Fan (19, Zivi, Ziegenbärtchen). Alles nicht mehr so dicke mit der Feindschaft, und so sah das behäbige 3:0 auch wie ein Sieg gegen jeden anderen Gegner aus, wenngleich die Fans ihre kreativen "Scheiß Pauli" Rufe gut und gerne alle 5 Minuten erneut aufführten. Das heilige Ritual von Menschenähnlichem hinter mir bepöbelt und angemacht zu werden durfte nicht fehlen, hier zeigte sich Fußballgott allerdings ungleich kreativer als beim Spiel an sich und ließ eine Dorfdiscopille mit dem Charme einer echten Nordostdeutschen die Worte "Du Scheiß Eunuch!" mehrmals wiederholen. Mein Beklatschen zur kreativen Wortwahl wurde mit Bespucken quittiert. Das ist doch mal ein fairer Gestenabklatsch oder?!
From low culture to high culture
Zurück beim Filmfest heute in aller Herrgottsfrühe erwartete mich zunächst einmal filmkünstlerisch Hochwertiges: Der Brite Terence Davies erschafft mit Of Time and the City eine Hommage an Liverpool, eine Filmcollage mit viel Archivfootage und Elegie, deren Bilder leider anscheinend nicht für sich selbst stehen können und einen Märchenerzähler an die Seite gestellt bekommen, der die Tonspur durchweg dominiert. Der große mexikanische Abräumer beim Festival in Guadalajara The Desert Within im Anschluss benötigt solcherlei Erzählmodus nicht. Das bleischwere katholische Drama berichtet vom Vater, der seinem Fehler das Leben eines Priesters durch den Egoismus sein Kind unbedingt taufen lassen zu wollen aufs Spiel setzt, in religiösem Übereifer ummünzt und die Schuld auf das getaufte Kind projiziert. Die Tiefe Tragik und der herunterziehende Gemüt des Films ändern nichts an den zwei möglichen Lesarten - neben jener der Kritik eines religiösem Fanatismus gibt es auch den Präsenzgestus, der an Erhabenheit und tiefer Erfurcht vor dem Katholizismus nichts vermissen lässt. Technisch perfekt umgesetzt, schwitzt man als Betrachter ob des Popanz doch etwas.
Gut und gerne als schwarz/weiß-Reinfall möchte ich All That She Wants von der "kanadischen Arthouse-Hoffnung" (Programmheft) Denis Côté bezeichnen. In lässiger Lethargie wird hier kanadischer White Trash (Aha, wieder unten angekommen!) gezeigt, und irgendwo zwischen den "Schockbildern" einer angedachten Vergewaltigung einer minderjährigen Russin und dem Stemmen gegen eine "männerdominierte Welt" (nochmal Programmheft) darf sich jeder seinen eigenen Reim auf einen Film machen, dessen Figuren nicht kaltherziger gezeichnet hätten werden können. Das Gleiche in schwarz (man verzeihe mir diesen Kalauer) dann im Anschluss aus Südafrika mit Darrell Roodts Zimbabwe, nur ungleich naiver, arthousebefreiter, moralverseuchter und technisch abgefuckter. An die Digitalkamera ohne Windschutz muss man sich erstmal gewöhnen, irgendwann klappt es aber und wir bekommen die Geschichte eines Mädchens erzählt, das nach dem HIV-Tod der Eltern nacheinander von Tante, Cousin, Zwischenhändler, Aufsichtsperson und weißem Chef und Chefin (bei denen sie putzt) ausgenutzt wird. Dem schnurgeraden Filmchen steht es da gut zu Gesicht, dass er seine Figuren rund um die Hauptfigur bitterböse zeichnet und am Ende nicht davor zurückschreckt gleich auf 3 Vergewaltigungen anzuspielen. Keine Frage, die Weißen sind hier vor allem die Bösewichter in ihren Stahlzaunkolossen in Johannesburg, aber damit möchte ich eigentlich kein Problem haben. Eher vielleicht mit dem zu stark im Vordergrund stehenden Dilettantismus und der simplen Moral am Ende.
Angekommen in der Höchstkultur
Eigentlich mal Zeit für einen guten Film, oder?! Mit Adoration verband ich am heutigen Tage meine größten Hoffnungen. Der kanadische Arthouseliebling mit ägyptisch-armenischen Wurzeln - Atom Egoyan - bekam den Douglas-Sirk-Preis verliehen, und wie schon im letzten Jahr gab es in der Hamburger Gute-Laune-Kultur-Society erst einmal eine Laudatio. Eine doppelte wohlgemerkt, denn er bemüßigte sich nach dem selbstbeweihräucherndem Auftritt von Wim Wenders auch Vizebürgermeisterin Christa Goetsch auf die Bühne. Nachdem Wenders schläfrige olle Kamellen aus der Mottenkiste ausgepackt hatte (in den 80ern hat er seinen Preis in Montreal an den damals noch jungen Egoyan weitergereicht - Klatsch! Klatsch! Herr Wenders), durfte Goetsch den Namen des Geehrten auch nochmal falsch aussprechen, um sich dann über sein "Oevre", dass er ja besitzt wie Festivalleiter Albert Widerspiel so gedankenscharf feststellte, zu freuen. Die ganze Chose gab es ja im letzten Jahr bereits ebenfalls, nur konnte/wollte sich dort Laudator Matussek nicht so lange auf der Bühne halten wie es Wenders und Goetsch taten. Nach 45 Minuten durfte dann der Film beginnen. Mein erster Egoyan begann erwartet bedeutungsschwer, aufgeladen und verstrickt. "Assoziativ" wurde das genannt, nun ja, anstregend und figurendistanziert ist es zunächst. Das Besondere am neuen (und den alten?) Egoyan ist nun die langsam greifende Psychologisierung der Protagonisten. Weiter und weiter dringt man in ihre Welt vor, erfährt informationsmanagementmäßig hübsch gelöst viele charakterliche Wendungen und muss sich umorientieren. "Plottwists" mag der Film zwar auch, die sind aber tatsächlich nur Nebensache. Stattdessen dominieren zunächst viele angeschnittene Diskurse - Terrorismus und seine Argumentationslogik, Xenophobie, die Möglichkeit von Ver- und Misstrauen in der aktuellen Gesellschaft, Identitätsfindung bei gleichzeitiger Trauerverarbeitung. Alles bekommt seinen Spielraum, am Ende interessieren jedoch allein die Figuren. Wer hier welche Rolle hatte - das auch, aber weniger als etwa wer hier welche Gefühlsachterbahnen durchmachen musste. Ein schöner Film, der Lust auf mehr vom Egoyan macht, die glücklicherweise demnächst im Metropolis-Kino befriedigt werden darf. (oder auch nicht, wie ich gerade lese, da sich die Werkschau auf 3 Tage während des Fests beschränken)
Aus Belgien dann zum Abschluss des Tages 2 ein verknappter, entschlackter Michael Haneke: Happy Together von Geoffrey Enthoven erzählt von einer einer Bürgerlichkeit, die beim ersten Anzeichen von Misserfolg zusammenbricht. Das ist nicht besonders originell und durchaus plakativ, aber sowas sieht man allemal lieber als Steppenfilme über Bergbauern aus Kasachstan.
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